Straffreies Containern: Kein Ende der Debatte in Sicht

Politiker diskutieren, ob Containern weiter bestraft werden soll. Immer mehr Initiativen werden aktiv, um übriggebliebenes Essen gerecht zu verteilen. Der Kern des Problems ist systembedingt.

Das Café Raupe Immersatt in Stuttgart ist stets gut besucht. Erwachsene wie Kinder machen es sich an Tischen und auf Sofas gemütlich, genießen Getränke und essen Croissants, Brötchen oder Donuts. Sonntags gebe man so um die 400 Heißgetränke aus, schätzt Maximilian Kraft, Vereinsvorstand des ersten Foodsharing-Cafés in Deutschland. Das Café wird vor allem von ehrenamtlichen Lebensmittelrettern der Initiative Foodsharing mit Backwaren beliefert. Zudem bringen Privatpersonen sowie einige Gastronomie- und Catering-Betriebe regelmäßig überschüssiges Essen selbst vorbei.

"Wir erhalten die Lebensmittel kostenlos von Betrieben und Privatpersonen und teilen sie deshalb auch kostenlos", schreiben die Betreiber auf der Website. Lebensmittel sollen wieder einen echten ideellen Wert erhalten, das gehe am besten ohne Preis. Würde man Geld nehmen, um das Café zu finanzieren, wäre man von der Verschwendung abhängig.

Viele Lebensmittel können direkt im Café verzehrt werden (z.B. süße Stückchen, Kuchen, Obst, auch bereits fertig gekochte Gerichte wie Suppen). Andere werden erst zubereitet und können dann mitgenommen (z.B. Gemüse, Salate, Trockenware wie Reis oder Pasta) oder mit eigenen Aufstrichen zubereitet werden.

Die meisten Lebensmittel holen Retter der Initiative Foodsharing von den zahlreichen Bäckereien, Supermärkten, Biomärkten bis hin zu Cafés und Restaurants. Ferner beliefert Foodsharing Hunderte sogenannte Fairteiler-Regale und Schränke, zu denen jeder Lebensmittel hinbringen und auch mitnehmen darf.

Zum Teil werden sogar Lebensmittel von den Tafeln abgeholt, die dort nicht verkauft wurden. Zum Beispiel bei der schwäbischen Tafel in Stuttgart, bei der keine Lebensmittel mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) oder bereits zubereitete Speisen verkauft werden. Geteilt werden nur genießbare Lebensmittel mit MHD, die vorher geprüft wurden. Denn dieses sagt lediglich aus, wie lang ein Produkt haltbar ist, ohne wesentliche Geschmacks- und Qualitätseinbußen. Ein großer Teil der Lebensmittel ist jedoch bei korrekter Lagerung viel länger genießbar.

Das Netzwerk Foodsharing, das vor zehn Jahren von Filmemacher Valentin Thurn und Lebensmittelretter Raphael Fellmer gegründet wurde, setzt sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und für ein nachhaltiges Ernährungssystem ein. Für eine Welt, in der die meisten Lebensmittel aus lokalem Anbau stammen und nur ein kleinerer Teil zu fairen Bedingungen gehandelt wird, wie es in der Selbsterklärung heißt.

An erster Stelle stehe das Ziel, dass "jeder Mensch und jedes Unternehmen dafür Sorge trägt, dass produzierte Nahrung nicht vergeudet, sondern in dankbaren Mägen landet". Die Initiative sieht sich weniger als Konkurrenz, sondern mehr als bereichernde Ergänzung zu den Tafeln. Foodsharing ist vor allem in großen Städten aktiv, wie aus einer interaktiven Karte hervorgeht, auf der man Lebensmittel in einem digitalen Essenskorb eintragen kann.

Containern – ein Gewinn für alle Seiten?

Während Initiativen wie Foodsharing zeigen, wie überzählige Lebensmittel sinnvoll verwertet werden können, sind die Politiker noch uneins in der Frage, wie das umstrittene "Containern" zu bewerten sei. Im Januar warb Cem Özdemir (Grüne) dafür, die Strafen für das sogenannte Containern abzuschaffen.

Wer noch ess- oder trinkbare Lebensmittel aus Müllcontainern heraussuche, solle dafür nicht mehr belangt werden. Wenn sich Menschen weggeworfene Lebensmittel mit nach Hause nehmen, ohne eine Sachbeschädigung oder einen Hausfriedensbruch zu begehen, müsse dies nicht strafrechtlich verfolgt werden, erklärt auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).

Seither ist in der Sache rechtlich wenig passiert. Der Agrarminister hat offenbar Besseres zu tun: Anstatt endlich einen konkreten Gesetzesentwurf vorzulegen, lässt er sich medienwirksam im Tarnanzug der Bundeswehr feiern.

Dabei wäre jetzt konsequente Umsetzung angesagt, denn vom Handel kommt Gegenwind. Christian Böttcher etwa sieht in straffreien Containern einen völlig falschen Ansatz. Aus rechtlicher Perspektive brauche man diesen Änderungsvorschlag nicht, erklärt der Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Lebensmittelhandel.

Die Abfalltonnen im Handel seien in der Regel verschlossen oder stünden in abgeschlossenen Bereichen. Wer dort eindringe, begehe Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung. Zudem sei es potenziell gesundheitsgefährdend, wenn etwa verdorbene Lebensmittel im Mülleimer aussortiert und dann wieder von Menschen gegessen würden.

Allerdings wird beim Containern kein vergammeltes, sondern genießbares Essen aus der Tonne geholt. Nicht wenige Leute, vor allem in den Großstädten, ziehen Abend für Abend los, um gute Lebensmittel aus dem Müll von Supermärkten zu retten: hygienisch einwandfreies, abgepacktes Obst, Gemüse, Scheibenkäse, Kekse ...

Gleichzeitig protestieren sie gegen die Wegwerfkultur der Wohlstandsgesellschaft und werben für ein umweltfreundliches, ethisch vernünftiges Verhalten. Wie zum Beispiel Jonas aus Köln. Warum schließen einige Supermärkte ihre Tonnen überhaupt ab, fragt sich der Student? Was noch genießbar ist, sollte allen Menschen angeboten werden. So könnte man etwa eine Tonne offen stehen lassen für bedürftige Menschen. Er fühlt sich moralisch im Recht und möchte daher weitermachen.