Strafrechtliche Risiken für den Hinweisgeber
Ist eine Straftat ein schützenswertes Geheimnis im Sinne der strafbewehrten Geheimhaltungsvorschriften?
Die Rechtsprechung befasst sich mit dem Thema Hinweisgeber (Whistleblower) überwiegend auf dem Gebiet des Privatrechts, insbesondere des Arbeitsrechts und des öffentlichen Rechts. Mit dem Strafrecht wird gedroht.1 Die finanziellen Folgen für Hinweisgeber können existenzvernichtend sein, wie beispielsweise der Fall der Tierärztin Dr. Marita Herbst, Bad Bramstedt, zeigt.
Einleiten möchte ich mein kurzes Statement zur strafrechtlichen Seite des Whistleblowing mit einem Zitat aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1970:
… Die Aufmerksamkeit und das Verantwortungsbewusstsein des Staatsbürgers, der Missstände nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern sich auch für deren Abstellung einsetzt, ist eine wesentliche Voraussetzung für den Bestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung. …
BVerfGE 28
Was soll der Hinweisgeberschutz aus strafrechtlicher Sicht bezwecken? Ziel ist die Aufklärung von (Wirtschafts- und Korruptions-)Straftaten, namentlich opferlose Delikte und deren Verhinderung. Diese Straftaten bewegen sich meistens im Dunkelfeld. Sie sind einer Aufdeckung und Aufklärung kaum zugänglich.
Whistleblowing und der strafbewehrte Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen stehen in einem rechtlichen Spannungsverhältnis. Die strafrechtliche Seite ist daher zwingend in die Diskussion zum Hinweisgeberschutz einzubeziehen. Die für den Whistleblower bestehenden strafrechtlichen Risiken ergeben sich insbesondere aus den strafbewehrten Geheimnisschutzvorschriften. In Betracht kommen Geheimnisschutzvorschriften aus dem Strafgesetzbuch (§§ 93 ff, 201 ff., 353b2, 355 StGB) und Vorschriften aus dem Nebenstrafrecht (§ 17 UWG, § 333 HGB, § 404 AktG, § 85 GmbHG, § 151 GenG, § 315 UmwG, § 19 PublG, § 120 BetrVG und § 138 VAG).
Wie ist das strafrechtliche Risiko eines Hinweisgebers einzuordnen?
Das strafrechtliche Risiko eines Hinweisgebers lässt sich durch die nachstehenden Fragen verdeutlichen:
- Was ist das Schutzgut? Wie weit soll ein im Rahmen einer rechtstaatlichen Ordnung mit Mitteln des Strafrechts zu schützendes Amts-, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses gehen? Soll und darf eine Straftat Gegenstand eines Amts- bzw. Betriebsgeheimnisses sein?3
- Wo sind die rechtlichen Grenzen?4
- Wie weit sollen gesetzliche Ge- und Verbote den Schutz begrenzen?
- Was ist Sinn und Zweck der Geheimhaltungsvorschriften?
- Gehen durch fehlende und unklare bzw. unvollständige Regelungen die strafrechtlichen Risiken zu Lasten des Hinweisgebers, die durch klare gesetzliche Regelungen beseitigt werden könnten?
- Worin liegt das öffentliche Interesse an einem Whistleblowing?
Hinweisgebersysteme in Bund, Ländern und Unternehmen tragen diesen Umständen nur ansatzweise Rechnung. Reichen die teilweise unterschiedlich ausgestalteten Systeme aus, einen Hinweisgeber in einem überschaubaren Rahmen vor strafrechtlichen Risiken zu schützen? Umfassende Regelungen zum Hinweisgeberschutz fehlen. Für die öffentliche Verwaltung darf von dem rechtlich vorgeschriebenen Dienstweg nur bei Korruptionsstraftaten abgewichen werden.5 Die unterschiedlich ausgestalteten Hinweisgebersysteme der Unternehmen verfolgen in erster Linie deren Interessen. Die Rechtsprechung behilft sich mit Rechtfertigungsgründen, wonach ein an sich verbotenes Handeln im Einzelfall ausnahmsweise gestattet ist.
Was sollen die strafbewehrten Geheimhaltungsvorschriften schützen?
Nach der Rechtsprechung wird die "Flucht in die Öffentlichkeit" eines Beamten/Soldaten, der sich an die Öffentlichkeit wendet, als (schweres) Dienstvergehen gewertet, da die Amtsverschwiegenheit eine rechtsstaatlich einwandfreie, zuverlässige und unparteiische Arbeit und ein einwandfreies Funktionieren des öffentlichen Sektors gewährleiste.
Als Geschäfts- und Betriebsgeheimnis wird grundsätzlich jede im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehende, nicht offenkundige Tatsache geschützt, die nach dem Willen des Betriebsinhabers aufgrund eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses geheim gehalten werden soll.
Mir fällt es schwer, eine Straftat als ein schützenwertendes Geheimnis im Sinne der strafbewehrten Geheimhaltungsvorschriften zu werten.6 Soll dem Hinweisgeber, der öffentlich Missstände anprangert, mit dem Damoklesschwert des Strafrechts gedroht werden? Einer strafrechtlichen Lösung bedarf es nicht. Eine Kriminalisierung eines Hinweisgebers ist in diesen Fällen kontraproduktiv.
Hält ein Hinweisgeber den rechtlich zulässigen und zumutbaren Weg nicht ein, sind die im Öffentlichen Recht und Arbeitsrecht bestehenden Ahndungsmöglichkeiten ausreichend. Es bedarf keiner Kriminalisierung. Die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze einer Rechtfertigung werden der Problemlage nicht gerecht.7
Forderung einer bundesrechtlichen Regelung
Gefordert werden sollten bundesrechtliche Regelungen, die dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgen und sich an die eingangs erwähnten Entscheidungen des BVerfG und BGH anlehnen. Sie sollten jedoch über die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Stufentheorie hinaus gehen und den Anforderengen der internationalen Übereinkommen gerecht werden.8
Hierbei sollten wir über die Staatsgrenzen hinaus zum United Kingdom schauen. Die dortigen Regelungen des Public Interest Disclosure Act 1998 (PIDA) entsprechen diesen Voraussetzungen. Diese enthalten eine den Verhältnismäßigkeitsgrundätzen entsprechende Stufentheorie und sollten bei unserer Forderung nach einer gesetzlichen Regelung zum Schutz von Hinweisgebern Berücksichtigung finden:
"Whistleblowing
The disclosure by an employee of information regarding his employer's business. In certain circumstances (with respect to disclosures of wrongdoing by the employer and provided the disclosure is made in the public interest) employees are given legal protection from retaliation by the employer. The Interest 1998 protects employees from dismissal, or subjection to any detriment, with respect to certain types of disclosures. Contractual provisions attempting to oust the operation of the Act (e.g. the use of 'gagging clauses' in an employment contract) are rendered void by the Act. Qualifying disclosures must be made in good faith and must pertain to any of the following: - criminal offences; - the breach of legal obligation9, - a miscarriage of justice; - a danger to the health or safety of any individual - damage to environment10; - deliberate covering up of information tending to show any of the above matters.
Qualifying disclosures may be made to the employer or (by means of internal procedures) to a legal adviser, a minister of the Crown, or a prescribed regulator. If an employee is unable to make disclosures to any of these named persons, or fears retaliation in making such disclosures, then wider disclosure may be made (as long as this is not for personal gain). Wider disclosure could be, for example, to the police, the media, a Member of Parliament, or a non-prescribed regulator. Workers and employees who are dismissed or subjected to a detriment as a result of making a qualifying disclosure to an appropriate recipient can, within three months of such action, make a complaint to an employment tribunal."
Der Autor Reiner Hüper war im Berufsleben zuletzt als Oberstaatsanwalt Abteilungsleiter der Korruptionsabteilung in Kiel. Seit einigen Jahren ist er Leiter der AG Strafrecht bei Transparency International Deutschland e. V. Der Text als Niederschrift eines Impulsreferats wurde im Nachhinein mit Fußnoten versehen. Die Quellangaben können unvollständig sein. Der Text stellt keine wissenschaftliche Arbeit dar, er soll als Diskussionsgrundlage dienen.
Der Text ist zuerst in RechtProgressiv veröffentlicht worden und steht unter der CC-Lizenz CC NC-SA-2.0