Strafrechtliche Risiken für den Hinweisgeber
Fussnoten
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH 20, 342ff) und BVerfGE (Band 28, 191ff.) darf sich ein Bediensteter des öffentlichen Dienstes erst dann ohne strafrechtlich verfolgt werden zu können an die Öffentlichkeit wenden, wenn die Behörde schwer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen hat, also der Verstoß die gesamte Behördentätigkeit kennzeichnet und elementare Rechtsprinzipien des freiheitlichen demokratischen Staates verletzt sind.
Die vom BGH aufgestellten Grundsätze, der in seiner Begründung auf BVerfGE 28, 191 verweist, werden als "Stufentheorie" des BGH bezeichnet, welche zum Gang in die Öffentlichkeit berechtigt. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit ist je nach Einstufung der Schwere des Behördenmissstandes entweder sofort oder erst nach Ausschöpfen der internen Abhilfemöglichkeiten für Staats- und Dienstgeheimnisse gerechtfertigt.
Siehe hierzu im Einzelnen: Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 7 - 3000 - 158/16 "… Die Weitergabe von besonders geschützten Informationen und Geheimnissen kann zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Ob ein bestimmtes Verhalten in diesem Zusammenhang strafrechtlich geahndet werden kann, bestimmt sich nach den §§ 353b und 203 des Strafgesetzbuches (StGB) …
Strafrechtliche Konsequenzen bei der Weitergabe von Informationen können sich insbesondere aus § 353b StGB ergeben. Dieser sieht bei der Verletzung eines Geheimnisses in Abs. 1 einen Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor, während die Verletzung einer besonderen Geheimhaltungspflicht nach Abs. 2 einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe eröffnet. …"
Die oben aufgeführten Urteile des BGH und des BVerfG bieten die Möglichkeit den Schutz von Hinweisgebern rechtlich neu zu gestalten. Die obersten Gerichte haben einen Weg aufgezeigt, den Strafanspruch des Staates, hinsichtlich der seit 1936 strafbewehrten Verletzung der Verschwiegenheitspflicht zu begrenzen. Es liegt nahe, dass die Einfügung der Norm in das Strafgesetzbuch dem damaligen Zeitgeist entsprach.
Das Bundesverfassungsgericht hat zum Umfang des Geschäfts und Betriebsgeheimnis folgendes ausgeführt (Beschluss vom 14. März 2006 1BvR 2087/03): " … Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können …"
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse definiert das Bundesverwaltungsgericht wie folgt: "… Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Unternehmens stehende Umstände oder Vorgänge, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt, für Außenstehende aber wissenswert sind, die nach dem bekundeten Willen des Betriebs- oder Geschäftsinhabers geheim zu halten sind und deren Kenntnis durch Außenstehende dem Geheimnisschutzträger zu einem Nachteil gereichen kann. Allgemein bekannte Umstände und Vorgänge sind auch dann keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, wenn der Inhaber sie als solche bezeichnet …"
So ist nach den beamtenrechtlichen Regelungen des Bundes und der Länder die Mitteilung des Verdachts einer Korruptionsstraftat nach den §§ 331 bis 337 StGB gegenüber der zuständigen obersten Dienstbehörde und den Strafverfolgungsbehörden zulässig. In Schleswig - Holstein kann sich ein Hinweisgeber auch an die Kontaktstelle des Landes zur Bekämpfung der Korruption wenden.
Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung (s.o.) steht dieser Auffassung nicht entgegen, die als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge definiert. Zu beachten ist, dass die Geheimhaltungsvorschriften unter dem Vorbehalt rechtsstaatlicher Grundsätze stehen. Diese sind in einem Rechtstaat zwingend zu beachten. In dem Beschluss des BVerfG vom 2.7.2002 (1 BvR 2049/00) heißt es hierzu u.a. : "… Aber selbst bei dem vom Landesarbeitsgericht zu Grunde gelegten Sachverhalt, wonach der Beschwerdeführer "freiwillig" zur Staatsanwaltschaft gegangen sei, dort Aussagen gemacht und aufgrund eigenen Antriebs Unterlagen übergeben habe, hätte es diesem verfassungsrechtlichen Aspekt Beachtung schenken müssen. Auch die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren kann - soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden - im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abzuleiten. Das Landesarbeitsgericht spricht pauschal von "haltlosen Erklärungen" des Beschwerdeführers, ohne diese näher zu benennen und die auch aufgrund der Beweisaufnahme nicht nahe liegend sind. Ein derart substanzloser Vorwurf kann nicht als Grund für zivilrechtliche Nachteile dienen, die im Hinblick auf bestehende Pflichten und Rechte des Bürgers im Rahmen der Strafverfolgung grundsätzlich unzulässig sind (vgl. BVerfGE 74, 257 <261 ff.>). Eine zivilrechtliche Entscheidung, die dieses verkennt oder missachtet, verletzt den betroffenen Bürger in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip…"
Es handelt sich hierbei um eine Entscheidung im Einzelfall, die ein tatbestandliches Handeln ausnahmsweise rechtfertigt. Siehe hierzu auch Richard Schmid, Juristenzeitung 1970 S. 886, der die Stufentheorie des BGH ablehnt, weil sie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf der 2. Stufe missachtet (stillschweigende behördeninterne Abhilfe).
S. z.B. Art. 22 des Straßburger Strafrechtsübereinkommen über Korruption vom 27.1.1999 bzw. Art.9 des Straßburger Zivilrechtsübereinkommen über Korruption vom 4.11.1999.
Auch in diesen Fällen sollte der strafrechtliche Schutz entfallen. Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen (§ 134 BGB) oder sittenwidrig sind (§ 138 BGB) werden durch die Rechtsordnung nicht geschützt.
Diese Fälle sind nach den Bestimmungen im deutschen Umweltrecht kein Gegenstand eines Amts- und Betriebsgeheimnisses. So sehen §§ 53 ff BImSchG, §§ 21 a ff WHG, §§ 54 ff KrW-/AbfG fast gleichlautende Anzeigerechte und Anzeigepflichtenden des Unternehmers vor. Gegenstand der Anzeigepflicht sind Hinweise auf Mängel und Störfälle innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen. Zum Benachteiligungsverbot der als Beauftragte bestellte Arbeitnehmer siehe beispielsweise. §§ 58, 58d BImSchG.