Streiken sie schon - oder ist das noch "Service"?
Der erste Streiktag bei der Telekom verlief ohne große Unterschiede zum Normalbetrieb
Seit gestern wird bei der Telekom gestreikt. In der Festnetzsparte legten etwa 12.000 Mitarbeiter die Arbeit nieder. Auslöser des Arbeitskampfes war das Vorhaben des Konzerns, 50.000 Beschäftigte in "Service-Gesellschaften" auszulagern, wo sie für weniger Geld länger arbeiten sollen.
Insgesamt sind bei der Telekom 160.000 Mitarbeiter beschäftigt, davon 80.000 in der vom Streik betroffenen Festnetzsparte. Rund zwei Drittel von ihnen sind Mitglied der Gewerkschaft ver.di und bekommen Streiktage bezahlt. Dass man im normalen Telefonbetrieb nichts von dem Streik merkte, lag wahrscheinlich weniger an der von ver.di angekündigten Politik, Privatkunden zu "schonen", sondern daran, dass das Telefonnetz schon lange kein Fräulein vom Amt mehr benötigt, sondern von selbst läuft. Nötig sind Arbeitskräfte vor allem für die Ausführung neuer Aufträge und die Beseitigung von Störungen. Gestreikt wurde deshalb in den Call Centern, beim technischen Kundendienst und bei den Kabelnetzen. Bei Spiegel Online malte man sich die möglichen Folgen dieses Vorgehens wie folgt aus:
"Die Kunden werden den Arbeitskampf aber auf jeden Fall bemerken, wenn sie bei der Hotline wesentlich länger als sonst in der Warteschleife hängen, wenn der Techniker, der den neuen DSL-Anschluss installieren soll, nicht kommt, oder wenn eine Störung im Kabelnetz nicht sofort beseitigt wird."
Wer etwas Web-Archäologie betreibt, kommt zu dem Schluss, dass nach diesen Maßstäben bei der Telekom seit ungefähr 10 Jahren gestreikt werden muss - wie beispielsweise dieses Fundstück aus dem Jahr 1998 zeigt:
"Die für Probleme mit der T-Net-Box zuständige Hotline 0130 141414, die ich in kurzen Abständen mit der Wahlwiederholungstaste anrufe, meldet sich jedes Mal mit: 'Guten Tag und herzlich willkommen bei der T-Net-Hotline der Deutschen Telekom. Unser Team ist zur Zeit mit Anfragen beschäftigt. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal. Wir freuen uns auf ihren Anruf. Vielen Dank und auf Wiederhören.' So geht es den ganzen Tag, als ob sie streiken oder einer von ihnen Geburtstag hat. Ich versuche immer wieder auch andere Telefonnummern und lerne im Laufe des Tages viele freundliche Mitarbeiter der Deutschen Telekom kennen, denen ich mein Anliegen jedes Mal neu vortrage. Man bekommt normalerweise nicht zweimal denselben an die Strippe. Auch Herrn Strecker erreiche ich nie wieder. Die meiste Zeit höre ich Musik und: 'Bitte bleiben Sie in der Leitung, please hold the line', und wieder Musik, und manchmal ist nach einiger Zeit einfach Schluss, nichts mehr, Leitung tot."
So ging es - folgt man den Postings in Foren wie Heise, Teltarif und Nickles - allerdings nicht weiter. In den nächsten Jahren wurde der Service noch schlechter und die Mitarbeiter eher offen unverschämt als freundlich. Vor allem als T-DSL kam erreichte der wilde Streik einen neuen Höhepunkt. Den Umbau des DSL-Netzes, der häufig zu Ausfällen und Qualitätseinbußen für die Bestandskunden führte, nahm die Telekom ohne jede Information der Betroffenen vor. Geschädigte wurden von der Hotline standardmäßig auf Probleme mit ihren Betriebssystemen oder Netzwerkkarten verwiesen. Als DSL Anfang 2001 in manchen Gebieten wegen der vielen Anmeldungen zeitweise langsamer war als ISDN, meinte ein Hotlinemitarbeiter in einer selten ehrlichen Auskunft dazu, das sei "ganz normal" und werde auch noch eine Zeitlang so andauern.
Es war nie genau feststellbar, ob es nun mangelnde Kompetenz oder perfide Dienstanweisungen und Anreizsysteme waren, die den Eindruck entstehen ließen, dass die Telekom-Angestellten T-DSL und ISDN nicht auseinander halten konnten. Der häufigste Satz an der Hotline lautete "Moment, da verbind' ich sie mal weiter" - und das ging in den Telecom-Call-Centern ad infinitum. Allerdings erfolgte die Weiterverbindung selten zu jemandem, der wirklich etwas ausrichten konnte: Die Telefonnummern von Fachteams und Außendienstmitarbeitern konnte man an den zentralen "Servicenummern" nur mehr unter Einsatz von Tricks erfahren.
Absichtschaos oder Unfähigkeit?
Von zentralen Telefonnummern hielt man bei der Telekom viel - von zentraler, konsistenter Datenhaltung dagegen weniger. Wer sich bei einer der magentafarbenen Firmen über den Stand seiner bestellten T-DSL-Flatrate erkundigte, der bekam häufig die Antwort, dass keine Daten über einen Antrag vorhanden seien. Wenn jemand nun meinte, der Antrag sei verloren gegangen und er müsse deshalb einen neuen stellen, dann erlebte er oft eine böse Überraschung: Auf der Telefonrechnung konnten sowohl mehrere DSL-Anschlüsse als auch mehrere T-Online-Accounts auftauchen. Doch auch die Vermeidung einer Antragstellung half nicht immer: Häufig nahmen Call-Center-Mitarbeiter Beschwerden über Verzögerungen nämlich automatisch als Neuanträge auf.
Auch die Rechnungsdaten der Firmen T-Online und T-Com waren nicht synchronisiert und die Mitarbeiter verwiesen munter im Kreis: Zuständig war immer der andere, wobei kein Mitarbeiter der magentafarbenen Firmen ein Regelwerk nennen konnte, das die Zuständigkeiten für - offenbar ohne die geringste Plausibilitätsprüfung erstellte - fehlerhafte Rechnungen regelt. Angeblich soll sich Hitler mit einem ähnlichen Zuständigkeitschaos die alleinige Macht im Dritten Reich gesichert haben. Aber wem nützte es bei der Telekom? Sie zog zumindest einige Vorteile aus dem Chaos: Kunden wurden ohne ihr Wissen mit extrem teuren Tarifen "versorgt", wenn entweder der DSL-Anschluss oder die T-Online-Flatrate nicht rechtzeitig kam - was der Regelfall war. Daneben machte sich das Unternehmen noch einen unrühmlichen Namen als gnadenloses Inkassounternehmen für Dialer-Betrüger.
Auch jetzt, lange nach der groß angekündigten "Qualitätsoffensive", hat sich wenig geändert. Außer, dass bei Beschwerdeanrufen in den Call Centern verstärkt versucht wird, dem Kunden möglichst teure Angebote anzudrehen. Sieht man sich die neueren Einträge in den Foren an, scheint aber mittlerweile fast jeder gemerkt zu haben, dass man die Call Center niemals für echte Störfälle benutzen darf und alle Beschwerden ebenso wie Kündigungen per Einschreiben mit Rückschein oder über einen Gerichtsvollzieher zustellen lassen muss.
Offenbar deshalb ging die Telekom dazu über, ungefragt bei ihren Kunden anzurufen und ihnen mit fragwürdigen Methoden Verschlechterungen unterzuschieben. Musste man früher Kindern beibringen, nicht mit fremden Männern auf der Straße zu sprechen, so wurde es in den letzten Jahren zunehmend dringlicher, ihnen zu sagen, dass sie auf keinen Fall mit Telekom-Mitarbeitern sprechen und von ihnen um Gottes willen nichts annehmen durften: "Auflegen und fertig" konnte unerwünschte Tarife und "Rechnung Online" noch am ehesten verhindern helfen, doch auch diese Methode schützte nicht hundertprozentig.
Streik als Fortführung der Unternehmenspolitik
Der SPD-Politiker Rainer Wend meinte gegenüber der Oldenburger "Nordwest-Zeitung" zum Telekom-Streik: "Der Konzern steckt in großen Schwierigkeiten. In so einer Situation ist ein Arbeitskampf keine Hilfe". Wirklich nicht?
Weil die Aufträge auch den Wechsel von Telefon- und DSL-Anschlüssen zu Konkurrenten betreffen, kann sich die Telekom durch den Streik sogar noch eine Verschnaufpause verschaffen: Wechselwillige müssen jetzt länger auf den neuen Anschluss warten, und wer einen Antrag stellen will, der wird nun sicherlich das Ende der Verhandlungen abwarten, um nicht Wochen und Monate ohne Telefon und DSL verbringen zu müssen. So gesehen ist der Streik nur die konsequente Fortführung der Telekom-Politik der letzten Jahre: Kafkaesk schlechter Service, der die Kunden den Anschluss aus Angst nicht wechseln lässt (Vgl. Wenn der Kundenberater kommt).