Streit um Bombennacht von Kundus dauert an
Drei Jahre nach dem Angriff in Nordafghanistan schwelt der Konflikt um die Beurteilung des Geschehens und der Verantwortlichen weiter
Der schwerwiegendste tödliche Zwischenfall in der Geschichte der Bundeswehr bewegt nach drei Jahren noch immer die Gemüter: Bei dem Bombardement zweier Tanklastzüge in der Nacht zum 4. September 2009 nahe der nordafghanischen Stadt Kundus waren damals über 100 Menschen getötet worden, die meisten von ihnen Zivilisten. Neben der juristischen Auseinandersetzung des vermutlich rechtswidrigen Luftangriffs unter deutscher Verantwortung läuft inzwischen ein ideologischer Konflikt um den Befehlsgeber Georg Klein. Während Menschenrechtsaktivisten den Verantwortlichen des Angriffs vor Gericht sehen wollen, bereitet das zuständige Verteidigungsministerium seine Beförderung zum Brigadegeneral vor. Zum dritten Jahrestag des tödlichen Angriffs flammt der Streit um die Bombennacht von Kundus damit wieder auf.
Vor knapp einem Jahr hatten Juristen und Menschenrechtsaktivisten im Namen mehrerer Opferfamilien vor dem Landgericht Bonn Zivilklagen gegen die Bundesregierung eingereicht (Kundus-Angriff kommt vor deutsche Gerichte). Zugleich ist beim Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde gegen die Einstellung des Strafprozesses gegen Klein durch die Bundesanwaltschaft anhängig. Die Kritiker des Militärs argumentieren, dass bislang auch alle weiteren Verfahren eingestellt wurden. Auch ein Disziplinarverfahren der Bundeswehr gegen Klein verlief nach mehreren Monaten im Sande.
Dabei gilt es als nachgewiesen, dass der Bundeswehr-Oberst mit Falschangaben die im Verantwortungsbereich der Bundeswehr eingesetzten US-Piloten geradezu überredete, die beiden Tanklastzüge zu bombardieren. Die Piloten selbst hatten eine Gruppe Zivilisten ausgemacht, die aus den Tanks Benzin abzapften. Zweimal soll Klein im Funkverkehr mit den US-Kampfjets einen Angriff auf seine Einheit bestätigt haben. Erst daraufhin hätten die Piloten die beiden 500-Pfund-Bomben entkoppelt. Bei dem Angriff starben fast ausschließlich Zivilisten, darunter auch Kinder. Klein, so wird berichtet, soll sich nach Rückkehr ins Feldlager zum Gebet in die Kapelle zurückgezogen haben. Bis heute verweigert der Familienvater jede öffentliche Stellungnahme zu dem Angriff.
Generalsposten statt Gerichtssaal
Stattdessen drängen Bundeswehr und Bundesregierung offensichtlich auf eine Rehabilitierung des Oberst und seiner Truppe. Kurz vor dem dritten Jahrestag des Bombardements besuchte der ehemalige Militär und amtierende Entwicklungsminister Dirk Niebel das Bundeswehr-Feldlager in Kundus. Mit der Visite wolle er den Soldaten Anerkennung für ihren Dienst zollen, sagte der FDP-Politiker bei seiner Ankunft in dem zentralasiatischen Land. Zugleich bekräftigte Niebel seine Meinung, "dass die Menschen in Afghanistan zum ersten Mal seit langer Zeit eine Friedens- und Entwicklungsperspektive haben".
Niebels Besuch in Afghanistan folgte nur wenige Tage, nachdem bekannt geworden war, dass Klein von seinem bisherigen Dienstgrad als Oberst zum Brigadegeneral befördert werden soll. Derzeit steht er als Vizechef der sogenannten Stammdienststelle der Bundeswehr (http://www.streitkraeftebasis.de/portal/a/streitkraeftebasis/dienst/portraits/sdbw) vor, von der die Personalführung von Unteroffizieren und Mannschaften koordiniert wird. Demnächst soll der 51-jährige zum Abteilungsleiter im neugeschaffenen Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr aufsteigen. Dieser Schreibtischposten hat in der militärischen Hierarchie automatisch die Beförderung zum Brigadegeneral zu Folge, vermutlich bereits Ende des kommenden Jahres.
Befürwortet wurde der Schritt vom Bundeswehrverband, der nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur von einer "ganz normalen Beförderung" sprach. Die wenigen Medien, die sich des Vorgangs annahmen, reagierten eher mit Unverständnis. Klein sei gut damit bedient gewesen, dass er nach den Kundus-Befehlen Oberst bleiben konnte, wenn auch nicht mehr im Außeneinsatz, schrieb die "Ludwigsburger Kreiszeitung". Die Beförderung zum General aber sei eine Provokation. Die "Neue Osnabrücker Zeitung" sah ein "moralisches Dilemma". Und der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Stöbele sprach im Interview von einem "fatalen Signal gegenüber der afghanischen Bevölkerung".
Opferanwalt: Klein hat gelogen
Im Gespräch mit Telepolis kritisierte nun der Bremer Rechtsanwalt Karim Popal die Haltung der Bundesregierung. Es sei nicht richtig, wenn sie die Anwendung des deutschen Haftungsrechtes ablehnte, sagte Popal, der mehrere Opferfamilien bei den anhängenden Zivilklagen vertritt. "Richtig ist, dass Herr Klein während des Bombenangriffs gelogen hat", sagte der Jurist. Klein habe "wider besseres Wissens auf dem Angriff bestanden". Er habe im Kontakt mit den Piloten gesagt, dass er angegriffen worden sei. "Dabei ist sogar schon weniger strafbar, nämlich nur die Inkaufnahme ziviler Opfer", so Popal weiter. Nach Artikel 34 des Grundgesetzes müsse der Staat die Schuld übernehmen, wenn jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm obliegende Amtspflicht verletzt. "Unsere Forderung ist also rechtlich begründet", sagte Popal, der Klein vorwirft, mit dem befohlenen Angriff auf Zivilisten das Gebot des Schutzes der Zivilbevölkerung verletzt zu haben.
Kritisch sieht den bisherigen offiziellen Umgang mit dem Bombardement von Kundus auch der Berliner Jurist Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights. "Die Bundesregierung versucht, über ungeklärte Rechtsfragen und mit Verweis auf den Kriegszustand in Afghanistan einer Verurteilung zu entgehen", sagte Schüller auf Telepolis-Anfrage: "Krieg ist jedoch kein rechtsfreier Raum und deshalb erwarten wir von der Justiz, rechtliche Standards auch im Krieg anzuwenden und aufrecht zu erhalten." Innerhalb des europäischen Menschenrechtsschutzsystems seien Menschenrechte auch in Kriegszeiten eingeschränkt zu berücksichtigen, fügte Schüller an. Ein kompletter Ausschluss ganzer Rechtsgebiete, wie von der Bundesregierung gefordert, sei danach nicht haltbar.
Für nicht ausgeschlossen hält der Jurist weitere strafrechtliche Konsequenzen für Klein. Das Strafverfahren sei zwar nach Auswertung verschiedener Berichte und der Vernehmung der Beteiligten eingestellt worden. "Die Bundesanwaltschaft muss jedoch eigene Ermittlungen vornehmen, die staatsanwaltlichen und strafprozessualen Standards entsprechen", fügte er an: "Sie darf sich nicht auf politische und militärische Berichte allein verlassen, die in der Befragung von Zeugen und der Analyse des Vorfalls nicht auf eine Strafverfolgung der Täter ausgerichtet sind."
Die Beurteilung dieser Frage liegt momentan dem Bundesverfassungsgericht vor. Das Landgericht Bonn wird indes voraussichtlich für Anfang November die erste Anhörung zu den Zivilklagen ansetzen.