Studie: Wirtschaftsjournalisten verstehen ihr Fach nicht
Als Experten werden oft nur "marktfreundliche" männliche Ökonomen befragt. Das wirkt sich auf die Berichterstattung über Gerechtigkeits- und Ungleichheitsdebatten aus
Medienschaffende sollten gesellschaftliche Entwicklungen in ihrer Berichterstattung reflektieren können. Doch oft liegen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander, beim Wirtschaftsjournalismus zum Beispiel. Dies unterstreicht zumindest eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die im Mai veröffentlicht wurde.
"Aktuelle Forschungsbefunde zeigen zudem, dass bestimmte wirtschaftspolitische Themen wie etwa Gerechtigkeits- und Ungleichheitsdebatten kaum journalistisch aufgegriffen werden", heißt es in der Studie. Wenn Fachleute zurate gezogen werden, dann meist nur männliche Ökonomen, "die ähnliche ökonomische Theorieströmungen repräsentieren, welche meist marktfreundlich und staats-, regulierungs- und umverteilungskritisch ausgerichtet sind".
Die Vielfalt ökonomischer Theorieansätze bleibt auf der Strecke
Einen Grund für die Einseitigkeit im Wirtschaftsjournalismus sieht Studienautor Valentin Sagvosdkin in Mängeln während der Ausbildung. Angehenden Wirtschaftsjournalisten werde kaum die Vielfalt der ökonomischen Theorieansätze vermittelt und sie könnten die Problemlage auch kaum reflektieren. Über 300 Modulangebote aus 17 Studiengängen von sechs Universitäten und drei anderen Hochschulen wurden dafür untersucht. Ergebnis: Die wirtschaftsjournalistischen Zugänge zeichnen sich nicht durch inhaltliche Breite aus, sondern haben eine wirtschaftspolitische Schlagseite.
Vermutlich ist angehenden Wirtschaftsjournalisten kaum bewusst, dass sie in ihrer Ausbildung wenig Fachwissen aus den Wirtschaftswissenschaften, sondern überwiegend eine neoklassische Monokultur vermittelt bekommen. Eine Berichterstattung, die sich allein auf solche Expertise stützt, ist im besten Fall fachlich inadäquat, im schlechtesten Fall ist sie unabsichtlich politisch gefärbt.
Valentin Sagvosdkin
Das hat dazu geführt, dass Wirtschaftskrisen kaum erklärt werden konnten. Eine Diskursanalyse zeigte demnach, dass während der Finanzkrise zwei Deutungsrahmen unter Journalisten vorherrschten. Einmal wurde die Krise als "Krankheit" eines ansonsten idealen Wirtschaftssystems angesehen. Im anderen Deutungsrahmen kam die Störung von außen und wurde als eine Art Naturkatastrophe oder als Militärangriff beschrieben. Dass die Probleme aus den Widersprüchen des Kapitalismus selbst erklärt werden könnten, lag den Journalisten fern.
Das Wachstumsparadigma wird "weitgehend unreflektiert verteidigt"
Ähnlich bei der Klimakrise: Eine Untersuchung der westdeutschen Wirtschaftspresse seit dem Zweiten Weltkrieg kam zu dem Schluss, "dass - vermutlich mangels ideengeschichtlichen und historischen Wissens - das Wachstumsparadigma weitgehend unreflektiert verteidigt wird". Von Journalisten werde bisher kaum die Vielfalt der Positionen aufgegriffen, die sich in der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte finden ließen.
Bestimmte Themen werden sogar weitgehend ausgeblendet: "Es zeigte sich, dass das Thema Vermögens- und Erbschaftssteuer in der Berichterstattung abgesehen von kurzen Zeiträumen nur wenig vertreten ist: Insgesamt in nur 0,2 bis 0,6 Prozent aller Artikel". Wenn es doch einmal behandelt werde, liege der inhaltliche Fokus überwiegend auf der parteipolitischen Ebene, während ökonomische und gesellschaftliche Hintergründe kaum thematisiert würden.
Was die Ausbildung von Wirtschaftsjournalisten noch nicht vollzogen hat, steht in den Wirtschaftswissenschaften längst auf der Tagesordnung: "Eine plurale und zukunftsgewandte Ausrichtung entwickelt sich momentan zum Goldstandard in den Wirtschaftswissenschaften", sagte Sagvosdkin. Angesichts der Corona- und Klimakrise legten einige Studiengänge und Universitäten bereits besondere Schwerpunkte auf Krisenverständnis, Transformation und Nachhaltigkeit. "Wirtschaftsjournalistische Ausbildungen müssen jetzt nachziehen und das Spektrum der vermittelten Perspektiven erhöhen."
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