Studie zur Migration: Die AfD, ein Lobbyist und der Extremismus von oben

Dass es in Deutschland wegen der Migration bergab geht, ist nicht nur ein Mantra der AfD. Symbolbild: Lemke, Martin / CC-BY-4.0

Ein Ökonom warnt vor Migration als Billionen-Verlustgeschäft – die AfD greift es dankbar auf. Warum sich die wahre Agenda gegen die Mehrheit richtet. Ein Kommentar.

Die AfD frohlockt über das Erscheinen einer Studie des Ökonomen Bernd Raffelhüschen in der Reihe "Argumente zu Marktwirtschaft und Politik", die von der Stiftung Marktwirtschaft herausgeben wird. Titel: "Ehrbarer Staat? Fokus Migration. Zur fiskalischen Bilanz der Zuwanderung".

Wenn es ab sofort keine Zuwanderung mehr gäbe, würden sich dadurch 5,8 Billionen Euro einsparen lassen, fasste Prof. Raffelhüschen sein Studienergebnis laut einem Bericht der Bild vom Donnerstag zusammen. In den Raum gestellt wird die Zahl von 300.000 Personen pro Jahr, die sonst neu ankämen und sich nur langsam integrieren und qualifizieren würden.

Die AfD hat auf ihrer Homepage natürlich aufgerundet: "Einwanderung kostet 6 Billionen Euro: Remigration jetzt starten", fordert sie – wenige Tage, nachdem das Recherche-Netzwerk Correctiv über ein Treffen von einflussreichen AfD-Politikern mit "Identitären" und Unternehmern berichtet hat, auf dem Massenvertreibungsfantasien geäußert worden seien.

Der Mensch als Kostenfaktor

Wer sich die Raffelhüschen-Studie genauer anschaut, kann aber leicht erkennen, dass Migration hier nur als Teil eines Problems dargestellt wird. Insgesamt wird der Mensch als Kostenfaktor problematisiert – "Biodeutsche" eingeschlossen:

Die Migrationspolitik ist zwar von großer Bedeutung für die fiskalische Nachhaltigkeit in Deutschland, ist aber nicht dazu geeignet, die Folgen des demografischen Wandels zu kompensieren.

Der Hauptgrund dafür ist, dass der deutsche Staat insgesamt nicht nachhaltig aufgestellt ist, sondern seinen Bürgern mehr Leistungen verspricht als sie über ihren Lebenszyklus finanzieren. Das bedeutet, dass selbst eine erfolgreiche Migrationspolitik eine Anpassung der staatlichen Leistungen – insbesondere der altersspezifischen Sozialausgaben – nicht ersetzen kann.

Der Sozialstaat ist in seiner jetzigen Form sowohl für die in Deutschland lebende Bevölkerung als auch für Zuwanderer auf Dauer nicht bezahlbar.

Aus: "Ehrbarer Staat? Fokus Migration. Zur fiskalischen Bilanz der Zuwanderung" / Stiftung Marktwirtschaft / S. 3

Migration wäre laut Studie kleinerer Teil des Problems

Insgesamt würde die "Nachhaltigkeitslücke" laut Raffelhüschen auf 19,2 Billionen Euro anwachsen. Migration wäre also selbst nach seiner Berechnung für weniger als ein Drittel des Problems verantwortlich.

Der Freiburger Hochschullehrer und Lobbyist reitet hier nur auf einer populistischen Welle, um wieder einmal seine Agenda ins Gespräch zu bringen – und die richtet sich in Wahrheit gegen die Mehrheit der Bevölkerung: gegen alle, die nicht durch große Vermögen abgesichert sind.

Klar ist: Bernd Raffelhüschen und der Sozialstaat werden keine Freunde mehr – egal ob mit oder ohne Migration. Das hat er schon bei vielen Gelegenheiten deutlich gemacht.

Die Stiftung Marktwirtschaft ist eine Interessenvertretung

Von der Bild wurde Raffelhüschen dieses Mal als "Rentenpapst und Sozialexperte" vorgestellt – im Juni 2023 war er für das Blatt "Deutschlands führender Finanzexperte".

Die Stiftung Marktwirtschaft findet sich allerdings zu recht im Lobbyregister des deutschen Bundestags – es handelt sich um eine Interessenvertretung, die Spenden von Großkonzernen erhält.

Ergebnisoffene Forschung oder gar eine Forschung zu der Fragestellung, wie die sozialen Sicherungssysteme am besten erhalten und gestärkt werden können, ist hier nicht zu erwarten.

Reformvorschläge belasten Normal- und Geringverdiener

Raffelhüschen selbst ist Ko-Vorsitzender der Stiftung, immer wieder als Lobbyist der Versicherungswirtschaft in Erscheinung getreten, saß zeitweise auch im Aufsichtsrat der Ergo Group AG – und macht regelmäßig mit Reformvorschlägen von sich reden, die hohe Belastungen für Normal- und Geringverdienende bedeuten. An anderen Stellschrauben will er bewusst nicht drehen.

Dass Armutsrenten eine Folge von Niedriglöhnen sind, hat den "Rentenpapst" nie von der Notwendigkeit gesetzlicher Mindestlöhne überzeugen können – im Gegenteil, er hat sie als "arbeitsmarktpolitischen Wahnsinn" bezeichnet. Sein Rat gegen Altersarmut bestand immer nur darin, dass potenziell Betroffene sich eine private Altersvorsorge vom Mund absparen sollten.

Auch der Zugang zu medizinischen Behandlungen muss aus seiner Sicht teurer werden. Eine Bürgerversicherung im Gesundheitswesen oder die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze für Besserverdienende sind für ihn No-Goes.

Kein Erbarmen mit chronisch Kranken

Mit einkommensschwachen Schichten und chronisch Kranken – egal welcher Herkunft – kennt er kein Erbarmen: Laut seinem "Reformplan" sollen gesetzlich Versicherte pro Jahr die ersten 800 Euro für Arztbesuche aus eigener Tasche zuzahlen. Was darüber hinausgeht, soll zu 50 Prozent erstattet werden, bis 2.000 Euro zusammengekommen sind.

"Gesundheit ist für Menschen etwas, das nichts kostet. Sie können zum Arzt gehen, ohne zu zahlen. Das muss sich ändern. Preisfühlbarkeit muss her", begründete er im Juni 2023 sein Vorhaben gegenüber der Bild.

Jetzt legt er – bildlich gesprochen – seine Flinte auf die Schulter von Migranten, um die sozialen Sicherungssysteme sturmreif zu schießen.

Falsche Freunde für Menschen mit Existenzangst

Für Menschen mit berechtigten Existenzängsten – egal wie konservativ und "biodeutsch" – können sowohl er als auch die AfD nur falsche Freunde sein. Gleiches gilt aber auch für die CDU unter Friedrich Merz, dessen Ex-Büroleiter Michael Eilfort sich mit Raffelhüschen den Vorsitz der Stiftung Marktwirtschaft teilt.

All diese Personalien stehen für einen Extremismus von oben, der den Extremismus von rechts als spaltendes Element braucht, um eine solidarische Gegenwehr von unten zu erschweren.

Auch die aktuellen Regierungsparteien sind nicht frei davon. Der Sozialchauvinismus der Agenda-2010-Reformen unter einer "rot-grünen" Bundesregierung wurde vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder zwar nicht rassistisch kommuniziert, hat aber bald auch rassistische Mutationen mit sich gebracht.

Sarrazin als "Link" von der Agenda 2010 zur AfD-Rhetorik

Bestes Beispiel ist der damalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin, der es im Klassenkampf von oben generell auf Erwerbslose abgesehen hatte, aber insbesondere auf solche, die aus seiner Sicht "ständig neue kleine Kopftuchmädchen produzierten". Das kann wohl als direkter "Link" zur Rhetorik der 2013 gegründeten AfD bewertet werden.

Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen

Max Horkheimer

Inzwischen wurde Sarrazin aus der SPD ausgeschlossen, die nach 16 Jahren Unterbrechung wieder den Kanzler stellt. Asylrechtsverschärfungen und Kürzungen im Sozialbereich gibt es dennoch.

Warum Rassismus in diesem System nicht ausstirbt

Die kleinlich-egoistische Hoffnung, durch die Wahl einer rassistischen Partei das eigene bisschen Wohlstand retten zu können, wird sich kaum erfüllen.

Rassismus wird aber auch nicht aussterben, solange ein Großteil der politischen Klasse Neiddebatten gegen Schwächere führt und suggeriert, es sei nicht genug für alle da – obwohl es Multimilliardäre gibt, die zu großen Teilen von Erbschaften und fremder Arbeitskraft profitieren. Noch geht es um Verteilungsfragen.

Echter Mangel entsteht, wenn das Nachhaltigkeitsprinzip auf einer ganz anderen Ebene missachtet wird: auf der Ebene der natürlichen Lebensgrundlagen. Deshalb müssen sich heute 20- bis 50-Jährige auch mehr Sorgen um Versäumnisse in Sachen Umwelt- und Klimaschutz machen.

Davon hängt nämlich auch ab, wie viele Menschen aus dem globalen Süden und verschiedenen Küstenregionen in Zukunft ihre Heimat verlassen müssen.

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