Stühlerücken in Washington
Wer wird in Obamas Kabinett welchen Posten bekleiden?
In zehn Wochen wird die Bush-Regierung nur noch Geschichte sein. Hunderte Positionen im Washingtoner Politikapparat müssen bis dahin neu besetzt werden. Für den Präsidenten in spe sind die nun zu fällenden Personalentscheidungen eine heikle Angelegenheit – einerseits muss er seinem Wahlkampfmotto „Change“ gerecht werden und Schlüsselpositionen mit neuen Gesichter besetzen, andererseits ist er auf erfahrene Politinsider angewiesen, will er sich nicht bereits zu Beginn seiner Amtszeit eine blutige Nase holen.
Am 20. Januar wird der 44. Präsident der Vereinigten Staaten auf die Bibel schwören, dass er das Amt getreulich ausüben und die Verfassung erhalten, schützen und verteidigen wird. Wenn er sich danach an seinen Schreibtisch im Oval Office setzt, muss seine Regierung auch sofort die Amtsgeschäfte übernehmen. Damit dies reibungslos funktioniert, nahm sein „Übergangsteam“ bereits am Wahlabend die Arbeit auf. Im Pentagon wurden bereits 50 Arbeitsplätze für das Übergangsteam freigemacht – seit 40 Jahren gab es keinen Regierungswechsel mehr, der in Kriegszeiten stattfand. Verteidigungsminister Robert Gates hat 250 politischen Beamten bereits einen Fragebogen übergeben, in dem sie angeben sollen, ob sie sich vorstellen können, dass sie im Amt bleiben wollen, wenn sie gefragt werden und die CIA beliefert nach Eigenaussagen in der Übergangszeit zwei Kunden – das Weiße Haus und das Übergangsteam.
Besonders eng soll in Zeiten der Finanzkrise im Finanzministerium mit der zukünftigen Regierung zusammengearbeitet werden. Gestern stellte Barack Obama ein siebzehnköpfiges Expertenteam zusammen, dem unter anderem der ehemalige Notenbankchef Paul Volcker, die ehemaligen Finanzminister Lawrence Summers und Paul Rubin, der Multimilliardär Warren Buffet sowie die Vorstandsvorsitzenden von Google und Xerox angehören. Bereits Ende nächster Woche werden Obama und sein Expertenteam als Schattenregierung der USA beim Sondergipfel der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Washington teilnehmen, auf dem die Zukunft des internationalen Finanzsystems diskutiert werden soll.
Chicago-Boys und Washington-Insider
Obamas engste Vertraute und Berater kommen aus seiner politischen Heimat Chicago und stehen vorbehaltlos hinter dem neuen Präsidenten. Die „Chicago-Boys“ um seinen Wahlkampfmanager David Axelrod gelten jedoch in Washington als Außenseiter, die zwar überzeugend Obamas Schlachtruf „Change“ vermitteln können, sich im Dickicht der Bürokratie auf dem Capitol Hill jedoch schnell ein blaues Auge holen können. In Washington ist das Aufbauen von Netzwerken elementar, will man seine politischen Ideen in die Realität umsetzen. Die letzten beiden Präsidenten der Demokraten, Jimmy Carter und Bill Clinton, legten nach ihrem Amtsantritt einen grandiosen Fehlstart hin, da sie die Politikkultur in Washington nicht aus dem Effeff kannten. Um dies zu vermeiden, wird Obama nicht auf Politinsider aus der Clinton-Ära verzichten können. Obama hat auch im Vorfeld der Wahlen bereits angekündigt, höhere Ministerposten auch parteiübergreifend besetzen zu wollen, um den pragmatischeren Flügel der Republikaner mit in seine Regierung einzubinden. Taktisch ist dies sicher ein schlauer Zug, es bleibt allerdings abzuwarten, wie Obamas Anhänger auf unpopuläre Personalentscheidungen reagieren werden.
Eine Schlüsselrolle in Obamas Kabinett wird der zukünftige Vizepräsident Joe Biden einnehmen. Letzten Monat gab er dem „New Yorker“ ein Interview, in dem er sagte, dass er den Posten des Vizes nur unter der Bedingung angenommen habe, dass er in breiten Bereichen der Politik des Weißen Hauses eine Schlüsselrolle in der Entscheidungskette einnehmen wird und nicht nur für einen bestimmten Bereich zuständig sein wird. Die enge Kooperation mit Biden kann für Obama nur von Vorteil sein, schließlich gilt Biden, der in zwei Wochen 66 Jahre alt wird und bereits seit 36 Jahren im Senat sitzt, als politisches Urgestein, das sich in Washington bestens auskennt.
Mit seiner Wahl, Rahm Emanuel als seinen Stabschef zu ernennen, hat Obama bereits ein glückliches Händchen bewiesen. Emanuel, der den Spitzenamen „Rahmbo“ trägt, vereint in sich die beiden Wunscheigenschaften, die Obama an seine Mitarbeiter stellt. Er ist einerseits ein Vertrauter aus Chicago, der beste Kontakte zu Obamas „Chefstrategen“ David Axelrod pflegt und kein Bestandteil des Washingtoner Politklüngels ist, andererseits verfügt er aber über beste Netzwerke in Washington. Emanuel war es, der bei den Kongresswahlen 2006 half als Kampagnenchef die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus wiederzuerlangen. Der ehemalige Strategieberater von Bill Clinton gilt allerdings als Heißsporn. In Washington kursieren wilde Gerüchte über den Mann, der in jedem zweiten Satz das F-Wort benutzt und den Hillary Clinton deshalb während der Amtszeit ihres Ehemannes bereits aus dem Weißen Haus werfen wollte. Politischen Gegnern soll er mal einen toten Fisch zugeschickt haben und es ist überliefert, dass er einen politischen Disput in einem Washingtoner Restaurant damit beendete, dass er ein Messer in die Tischplatte rammte. An Durchsetzungsvermögen mangelt es ihm also nicht, aber vielleicht an der Diplomatie, die für einen solchen Schlüsselposten nötig ist.
Der Fuchs im Hühnerstall
Während früher die Besetzung des Außenministeriums die wichtigste Personalentscheidung des designierten Präsidenten war, kommt dieses Jahr diese Rolle wohl dem Finanzministerium zugute. Es gilt als sicher, dass der zukünftige Finanzminister aus Obamas siebzehnköpfigem Expertenteam rekrutiert wird. Als chancenreichste Kandidaten gelten dabei Lawrence Summers und Timothy Geithner. Summers war bereits während des Wahlkampfes Mitglied des Obama-Teams. Der ehemalige Finanzminister unter Clinton beriet Obama in finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen. Summers blickt trotz seines vergleichsweise jungen Alters von 54 Jahren bereits auf eine lange Karriere in hohen Positionen zurück. Der Harvard-Ökonom war von 1991 bis 1993 Chefökonom der Weltbank und hat danach Bill Clinton in verschiedenen Positionen gedient.1999 bis 2001 war er unter Clinton Finanzminister. Mit dem Regierungswechsel zog sich Summers aus der Politik zurück und wurde Präsident der Harvard-Universität. Dieses Amt musste er 2005 aufgeben, nachdem er in die „Political-Correctness Falle“ getappt ist. Er hatte einen schwarzen Professor entlassen und sich gegen die Quotenregelung für weibliche Wissenschaftler ausgesprochen. Nicht zuletzt deshalb steht die mögliche Nominierung Summers im Kreuzfeuer der Kritik „linker“ Bürgerrechtsgruppen. Profunder ist da schon die Kritik an Summers ökonomischer Ausrichtung. Er galt in der Clinton-Ära als schonungsloser Deregulierer der Finanzmärkte – obgleich er seine damaligen finanzmarktpolitischen Ansichten bereits mehrfach widerrufen hat, gilt er vielen Kritikern als Fuchs im Hühnerstall.
Summers aussichtsreichster Konkurrent ist sein wissenschaftlicher Ziehsohn Timothy Geithner. Dieser ist seit fünf Jahren Chef der New Yorker FED und damit in der amerikanischen Finanzpolitik die Nummer Drei hinter dem Finanzminister und dem Notenbankchef. In dieser Funktion hatte Geithner eine Schlüsselrolle bei der Ausarbeitung des Bailout-Plans und bei den Rettungsaktionen für Bear Stearns und die AIG inne. Die New Yorker FED gilt allerdings auch als Ohren und Augen des FED-Systems. Geithner zeichnet daher auch für das Versagen der Bankenaufsicht im Vorfeld der Finanzkrise verantwortlich. Dennoch gilt Geithner als pragmatische Stimme, die in den letzten Monaten hauptsächlich dafür verantwortlich war, dass Notenbankchef Bernanke und Finanzminister Paulson, die beide eigentlich Marktfundamentalisten sind, den Staat als Hauptakteur zur Rettung des Finanzsystems auserkoren haben. Geithner hat sich bereits seit längerer Zeit für eine größere Transparenz bei strukturierten Finanzinstrumenten eingesetzt und soll sich beim Kollaps von Lehman Brothers, der die heftigen Turbulenzen an den Kapitalmärkten erst auslöste, für eine Rettung der Investmentbank eingesetzt haben.
Es gilt als wahrscheinlich, dass das Finanzministerium an Summers oder Geithner gehen wird. Sollte der zukünftige Finanzminister Geithner heißen, wird allgemein angenommen, dass Summers Bernanke als Notenbankchef ablösen wird.
Bleibt Gates?
Seitdem Obama kundgetan hat, dass er beabsichtige, auch Republikaner in sein Kabinett aufzunehmen, wird immer wieder der Name Robert Gates genannt. Gates ist als Nachfolger von Donald Rumsfeld seit zwei Jahren im Bush-Kabinett als Verteidigungsminister tätig. Der frühere CIA-Chef gilt als pragmatischer Politiker, der sich mehrfach offen gegen die neokonservativen „Bush-Krieger“ gestellt hat und amerikanische Alleingänge ablehnt. Beobachtern zufolge hat Gates bereits damit begonnen, am Übergang mitzuarbeiten und entsprechenden Gerüchten hat er nie offen widersprochen. Bevor Gates Verteidigungsminister war, arbeitet er im Council of Foreign Relations zusammen mit Obama-Berater Zbigniew Brzezinski an einer gemeinsamen Iran-Strategie, die den Dialog und die Kooperation als Mittel der Wahl empfiehlt. In seiner Amtszeit sprach er sich mehrfach gegen ein hartes Vorgehen gegenüber Iran aus. Gates saß auch in der Baker-Hamilton Study Group, die den Abzug der Kampftruppen aus dem Irak empfohlen hat. Doch damit haben sich die politischen Gemeinsamkeiten zwischen Gates und Obama auch bereits erschöpft – Gates hält Obamas Plan, die Truppen binnen 16 Monaten aus dem Irak abzuziehen, für zu kurzfristig und die Entwicklung neuer Atomwaffen einzustellen, für falsch. Ferner gilt Gates vielen Beobachtern als Mann des „militärisch-industriellen Komplexes“, mit dem eine Streichung des Verteidigungsbudgets schwer zu verwirklichen ist.
Als Alternative zu Gates wird immer wieder Richard Danzig genannt. Unter Clinton war Danzig Staatssekretär für die Marine. Im Wahlkampf war Danzig bereits als Berater für Sicherheitsfragen in Obamas Team. Politisch zeichnete sich Danzig bereits früh durch seine Gegnerschaft zum Irakkrieg und seine Fundamentalkritik am so genannten „Krieg gegen den Terrorismus“ aus. Danzig widerspricht Bushs Dogma, dass der Terrorismus mit militärischen Mitteln besiegt werden kann und vergleicht Fragen der Nationalen Sicherheit auch schon mal gerne mit dem Märchen von „Pu dem Bären“ – "wenn es Dir selbst zu viel Schmerzen zufügt, versuche lieber etwas anderes."
Interventionist oder Realist
Die Frage, wer Außenminister in Obamas Kabinett wird, stellt Beobachtern zufolge bereits Weichen für die außenpolitische Ausrichtung. Im Wahlkampf hat Obama stets einen multilateralen Ansatz der internationalen Beziehungen in den Kernpunkt seiner Außenpolitik gestellt. Die Zeit der amerikanischen Alleingänge soll vorbei sein – das heißt aber keineswegs, dass die Welt dadurch sicherer wird. Unter den Kandidaten für den Außenministerposten finden sich – ebenso wie unter Obamas Beratern – sowohl waschechte Interventionisten, wie Realisten wieder. Entscheidet sich Obama für einen Interventionisten, besteht die reale Gefahr, dass die USA wie in der Clinton-Ära wieder verstärkt Kriege aus „humanitären Gründen“ führen wird.
Zum Kreis der chancenreichen Interventionisten zählt vor allem Richard Holbrooke, der als stellvertretender Außenminister unter Clinton als Architekt des Kosovo-Krieges der NATO gilt. Holbrooke galt als Wunschkandidat Hilary Clintons für das Außenministerium und könnte von Obama als Zeichen der Kooperationswilligkeit mit dem Clinton-Clan ins Amt gehoben werden. Gerüchteweise ist er jedoch in den letzten Wochen beim Obama-Team aus dem engeren Kreis ausgeschieden. Weiter Kandidaten aus dem Kreis der Interventionisten sind James Steinberg und Tony Lake, die zu Clintons Sicherheitsberatern zählten, und Susan Rice, die Obama als leitende Beraterin für Außenpolitik durch den Wahlkampf begleitete, und als Befürworterin „humanitärer“ Interventionen gilt.
Aus dem Kreis der Realisten gehören John Kerry und Bill Richardson zu den aussichtsreichsten Kandidaten. Beide gelten als gemäßigt und sind für ihre pragmatischen Ansätze bekannt. Kerry, der 2004 Bush bei den Präsidentschaftswahlen nur knapp unterlag, ist langjähriges Mitglied des Senatsausschusses für Außenpolitik und gilt vielen Demokraten als Wunschkandidat. Richardson war unter Bill Clinton UN-Botschafter und wurde mehrfach als Emissär der USA bei diplomatischen Missionen eingesetzt.
Sollte das Amt des Verteidigungsministers nicht an Robert Gates gehen, stehen drei pragmatische Republikaner bereits in den Startlöchern, das Außenministerium zu übernehmen. Als Favorit wird hier immer wieder Colin Powell genannt. Der ehemalige General war bereits unter George W. Bush Außenminister und zeichnete sich hier vor allem durch die fehlgeschlagenen Versuche aus, eine internationale Koalition für den Irakkrieg zu bilden und für den Angriff ein völkerrechtliches Mandat zu bekommen. Wenn Obama ausgerechnet den Mann ins Amt hieven würde, der die Welt mit gefälschten Beweisen auf bunten Powerpoint-Folien hinters Licht geführt hat, wäre dies ein politischer Offenbarungseid.
Die beiden republikanischen Senatoren Chuck Hagel und Richard Lugar sind als exponierte Kritiker der Bush-Regierung aufgefallen und gelten ebenfalls als aussichtsreiche Kandidaten. Trotz ihrer Parteizugehörigkeit gelten sie als Vertreter der Außenpolitik, die Obama in seinem Wahlkampf umrissen hat und wären für viele Beobachter eine bessere Wahl als Powell oder die zum Interventionismus neigenden Demokraten.
Es gilt als wahrscheinlich, dass Obama die Namen seines zukünftigen Kabinetts innerhalb der nächstens zwei Wochen enthüllen wird. Die Welt wartet mit Spannung – die ersten wichtigen Personalentscheidungen werden der bislang eher vagen politischen Linie des neuen Präsidenten nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine konkretere Richtung geben.