Sturmfluten, Hurrikane und Monsterwellen
Katastrophenwetter in Zukunft auch in Europa?
Gerade ist New Orleans durch Hurrikan Katrina umgepflügt und überschwemmt worden. Ein paar Tage eher war in Bayern „Land unter“. Weltweit sagen Wissenschaftler immer heftigere Stürme voraus, nicht nur für Amerika, Asien und die Karibik, sondern auch für Europa. Ursache ist die globale Erwärmung des Klimas. Arte zeigt zwei Filme darüber, was auch uns zukünftig erwarten könnte.
Wetterphänomene im Pazifik haben schon jetzt ernste Auswirkungen auch auf den „alten“ Kontinent. So meint Mel Shapiro, amerikanischer Meteorologe:
Das beste Beispiel, wie eine Wetterstörung im westlichen Pazifik gravierende Konsequenzen in Europa haben kann, sind die schlimmen Niederschläge und Überschwemmungen in Deutschland und Österreich im August 2002
Die sogenannte „Jahrhundertflut“ im Osten Deutschlands in 2002 war nach seiner Ansicht nur ein Vorbote für weltweiten Klimawandel: Die Klimaveränderungen, die wir heute erleben, haben wir vor 30 Jahren ausgelöst. Noch können wir die schlimmsten Folgen aufhalten. Aber alles, was wir heute tun, wird erst in 30 Jahren greifen. Am Ende bleibt kein Zweifel: Das, was Amerika und andere Weltgegenden heute schon durchmachen, kann bald auch zu uns kommen – nach Europa und auch nach Deutschland.
Meine Einschätzung ist, dass wir zur Zeit rein statistisch in so etwas wie einem Loch sind, dass wir großes Glück gehabt haben, dass die neuen schweren Stürme an uns vorbeigegangen sind und dass die nächste schwere oder sehr schwere Sturmflut nur eine Frage der nächsten ein oder zwei Winter ist und dann wird sie mit Sicherheit da sein
Dr. Michael Schirmer, Gewässerökologe
In Ostafrika entstandene Wirbelstürme wandern erst über den Atlantik in die Golfregion über die Karibik nach Amerika ziehen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen, bevor sie später in der Form eines Sturmtiefs nach Deutschland kommen. Unsere „ewigen Regenwolken“ sind oft Überreste tropischer Hurrikane aus dem Golfstrom.
Die Filmemacher sind im ersten Teil dabei, als einer der größten Hurrikane der letzten Zeit, Frances, seinen Weg zieht. Sie begleiten den Sturmjäger Jim Edds, zeigen die Arbeit von Piloten und Wissenschaftlern und Familie Rich, die in einem kleinen Städtchen in Florida um ihr Haus kämpft. Der Film zeigt die Wissenschaftler und die Sturmjäger beim Ansturm auf Florida.
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so einen Hurrikan wie Frances gesehen. Ich kannte solche großen Monster nur aus den Büchern, sie soll es in den 30er und 40er-Jahren gegeben haben. Da war ich noch nicht mal geboren. Wenn ich in die Bücher schaute, dachte ich immer so etwas großes gibt es doch gar nicht, das ist unmöglich!.
Dr. Lixon Avila, Hurrikan-Experte
Es geht nicht nur um die Spitzengeschwindigkeiten der Stürme – auch ihre Dauer ist Ursache dafür, dass sie so großen Schaden anrichten. Frances hatte 800 km Durchmesser und hielt in den betroffenen Gebieten 24 Stunden unvermindert an. Im Windkanal kann gezeigt werden, dass Menschen sich im Freien ab Windgeschwindigkeiten von 150 km/h nicht einmal mehr an festen Gegenständen festhalten können und durch die Luft geschleudert werden. Selbst wenn das eigene Hausdach nicht wegfliegt, tut es das des Nachbarn und zertrümmert dann das eigene Haus.
In den 70ern und 80ern wurden die USA relativ wenig von Wirbelstürmen behelligt, aber seit Hurrikan Andrew 1992 wird es jedes Jahr schlimmer. Die Summe der Schäden, die Andrew hinterließ, beläuft sich auf 26,5 Milliarden Dollar. 26 Menschen wurden von diesem Hurrikan der Klasse 5 getötet.
Allein in 2004 starben in vier Hurrikanen 113 Menschen in den USA, es entstanden Schäden von 56 Milliarden Dollar. Die Karibikinseln wie Haiti werden noch weit öfter und härter heimgesucht. So starben im Hurrikan Jeanne auf Haiti 2900 Menschen; wie viele die nachfolgende Hungersnot und die Seuchen wie Cholera und Typhus das Leben kosteten, ist nicht bekannt.
Vier Hurrikane in einem Jahr innerhalb weniger als acht Wochen wie in 2004 gab es das letzte Mal 1886 in Texas. „Katrina“ ist dieses Jahr sogar schon der sechste Hurrikan, der über Florida hinwegzog, bevor er auch noch New Orleans heimsuchte. 406 Wirbelstürme töteten in den letzten 10 Jahren fast 50.000 Menschen weltweit mit 184 Milliarden Dollar Gesamtschaden.
Der zweite Teil der Dokumentation behandelt Sturmfluten und Monsterwellen. Diese Wellen, die sich noch vor einigen Jahren niemand hätte vorstellen können, bringen Schiffe zum Kentern und lassen Bohrinseln untergehen. Derartige Wellen hatte man immer in das Reich der Fabel verwiesen, bis die ersten Schiffsbesatzungen sie überlebten und davon erzählen konnten und sie auch auf Ölbohrplattformen und per Satellit gemessen wurden.
Die Größe eines Sturms ist nicht der wichtigste Faktor, wenn es um die Wellenhöhe geht. Es ist die Kombination aus Windstärke und Zuggeschwindigkeit
Peter Bowyer, Hurrikan-Experte
Am 27. März 1980 kentert die Ölbohrplattform Alexander Kieland: 123 von 212 Arbeitern auf der Insel sterben. Im September 1995 ging die Queen Elisabeth II auf Reisen, ein sehr sicheres Luxusschiff. Unsinkbar ist sie natürlich ebenso wenig wie die Titanic, doch schon ziemlich robust gebaut.
Hurrikan Louis wühlt am 7. September 1995 in der Karibik die See auf. Er bleibt anschließend jedoch über dem Meer und zieht nach Norden, statt – wie sonst meist der Fall – auf Florida zu treffen. Der Wirbelsturm kam am Ende fast an die Küste Neufundlands, doch verschont auch diese. Auch der Seegang nimmt unerwartet stark zu, eine Boje vor Neufundland meldet 17 Meter Seegang. Eine andere Boje fällt ganz aus, was erst bei 30 Meter Seegang passieren soll. Man glaubt an einen Defekt. Eine Szenerie, die später auch in den Spielfilm The day after tomorrow einging.
Die Queen Elisabeth läuft ungewollt auf Kollisionskurs mit dem Wirbelsturm. Auf den Grand Banks begegnet sie in der Nacht des 11. September 1995 15 Meter Seegang – über den flachen Grand Banks türmt sich der Seegang höher auf als anderswo. Zum Ausweichen ist es zu spät und 15 Meter Seegang sind zwar sehr unangenehm für die Gäste, doch das Schiff ist darauf eingerichtet. Dann allerdings bricht eine 33 Meter hohe Monsterwelle über den Bug des Schiffs.
Das größte Geheimnis der Meere ist, dass zwei Schiffe pro Woche verloren gehen weltweit. Wenn man das vergleicht mit den Ansprüchen, die man an die Luftfahrt hat, dann ist es erstaunlich, dass da nicht besser und detaillierter nachgeforscht wird.
Dr. Wolfgang Rosenthal, Physiker und Wellenexperte
Die Küsten sind gleichermaßen bedroht – auch in Europa, auch ohne tropische Wirbelstürme wie in den USA, nur durch ihre Überreste. Heftige Stürme drücken immer mehr Wasser gegen die Deiche. Und der Meeresspiegel steigt – um einen halben Meter bis zur Mitte des Jahrhunderts. Inzwischen gibt es 12 bis 15 Sturmfluten im Jahr auf den Nordsee-Halligen. Werden die Inseln und die Halligen vor Deutschlands Küsten noch zu halten sein?
Hamburg und Bremen sind gefährdet, wenn das Wasser über die Dämme bricht und in die Flüsse drückt. 1999 tötete das Orkantief Anatol in Dänemark 6 Menschen, doch 150 km weiter südlich hätte es die Nordsee als Sturmflut in Elbe und Weser oder sogar deren Nebenflüsse gedrückt, sodass die Flut von hinten über die Großstädte hereingebrochen wäre – weit schlimmer als 1962 in Hamburg, wo bereits Hunderte starben.
Bremen liegt mit Ausnahme der Altstadt, die 12 bis 13 Meter erhöht ist, direkt auf Meeresniveau. Bei einem Dammbruch stünden 80% der Stadt unter Wasser, ohne Dämme gäbe es zweimal am Tag Hochwasser! Wenn eines Tages Grönland abschmilzt, wäre mit sieben Metern Anstieg des Meeresspiegels zu rechnen, was die Küstenlinien gewaltig verändern würde.
Insgesamt ist die Dokumentation vom Stil her sehr amerikanisch mit Computerbildern und dramatischen Aufnahmen, jedoch eine deutsche Produktion.
Im Auge des Sturms, Zweiteilige Dokumentation von Marvin Entholt und Jens Monath, Deutschland 2005, 2 x 43 Minuten, Erstausstrahlung Arte TV, Montag, den 5. September und Dienstag, den 6. September 2005, 19.00 Uhr