Syrien: "Chemieangriffe sind wieder Alltag"
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Die Fortsetzung des Krieges und der gängigen Muster in Idlib; schwierige Fragen infolge des Abschusses der russischen Su-25
Der Kampf um Idlib werde komplexer sein, als alles, was man in Syrien seit sieben Jahren kennt, prophezeite dieser Tage der französische Nahost-Spezialist George Malbrunot im Figaro mit dem etwas krachenden Titel: "Die letzte Schlacht wird in Idlib gestartet."
Russische und syrische Jets bombardierten Städte und Dörfer im Nordwesten Syriens, Wohngebiete wurden zerstört und Flüchtlinge in neuen Wellen ins offene Land getrieben. Es ist der größte 'Luft-Blitzangriff ' auf Gebiete, die von der Opposition gehalten werden, seit dem Fall von Aleppo vor mehr als einem Jahr.
The Guardian: Schwerste Luftangriffe seit einem Jahr in Syrien
So lautet der Auftakt des Guardian-Berichtes über 150 Luft-Angriffe auf Idlib, die laut Beobachtergruppen ("Monitoring Groups") von Sonntag bis Montag dieser Woche gezählt wurden. Der Einstieg demonstriert, wie auch der Spiegel-Bericht zum Thema, wie sich große Medien-Häuser der Komplexität des Kampfes um Idlib annehmen werden: Sie wollen vor allem zeigen, wie brutal Baschar al-Assad und Wladimir Putin vorgehen. Wie sie rücksichtslos nach dem gleichen Muster vorgehen wie in Aleppo:
Seit Samstag verstärken die syrische und russische Luftwaffe das Bombardement auf die Provinz Idlib - offenbar als Vergeltung. Augenzeugen berichten seit Sonntag von heftigen Angriffen auf die Provinzhauptstadt Idlib, sowie auf die Städte Maarat al-Numan, Sarakeb, Kafrnabl und andere Orte. Dabei wurden laut Augenzeugen mindestens 20 Zivilisten getötet. Mehrere Angriffe richteten sich gezielt gegen Krankenhäuser - ein taktisches Muster, das russische und syrische Luftwaffe schon bei der Eroberung Aleppos verfolgt hatten.
"Moskaus Rache", Spiegel online
Auch von Chemiewaffenangriffen ist wieder die Rede. "Chlorgasangriffe sind in Syrien wieder Alltag", schreibt der Spiegel.
Was unbestreitbar ist: Der Krieg in Syrien ist nicht zu Ende und er ist auch nicht weniger grausam geworden. Bei manchen mögen Hoffnungen aufgekommen sein, dass das Schlimmste mit dem Kampf um Aleppo vorbei war, das IS-Kalifat erledigt und der Krieg im Großen und Ganzen gegen die Dschihadisten entschieden. Doch bleiben noch große ungeklärte Zonen mit großen ungeklärten Fragen. Wie geht es in Afrin weiter, wie lange wollen die USA in Syrien bleiben und oppositionelle Kräfte unterstützen, was wird mit Idlib passieren?
Idlib: 2,5 Millionen in der Kriegszone
Auf etwa 2,5 Millionen ist die Bevölkerung dort durch Binnenflucht angeschwollen; ihr droht eine Katastrophe, weil sie dort eingesperrt ist, so schilderte der US-amerikanische Autor Sam Heller, die Lage im April 2017. Sam Heller spricht, wie man sich hier überzeugen kann, fließend Arabisch, was ihn schon zu einer Ausnahme unter den US-Experten macht. Er beobachtet den syrischen Konflikt schon seit mehreren Jahren sehr genau und verfügt über gute Kontakte zur Opposition, wie aus seinen Beiträgen öfter heruaszulesen ist. Heller ist kein Baschar-al-Assad-Anhänger.
Aber er ist auch kein Baschar al-Assad-Hasser. Weshalb von ihm keine solche grobgeschnitzten und schlichten Lagebeschreibungen kommen, wie sie oben vom Guardian und vom Spiegel erwähnt werden. Sam Heller liefert genauere Bilder, was ihn auch in Opposition zu Unterstützern einer interventionistischen US-Politik setzt, ob diese nun in der Regierung sitzen oder unter Experten.
Seine Auffassung zu Idlib ist, dass sich die USA und die Türkei bemühen müssen, möglichst viele derer, die sich in Idlib aufhalten, zu evakuieren und ihnen Zufluchtsmöglichkeiten einzuräumen. Die USA sollten bloß nicht auf die Idee kommen, durch Unterstützung von oppositionellen Gruppen in Idlib über Bande zu spielen, um das "Regime" zu schwächen.
Der Artikel, in dem die Zwangslage der Bevölkerung in Idlib beschrieben wird, stammt von April 2017. Mittlerweile hat die Türkei einen Angriff auf das benachbarte Afrin gestartet und die Lage ist nicht weniger kompliziert geworden. Die Flucht von Idlib nach Afrin ist eine schwierige Option.
"Nur graduelle Unterschiede zum IS-Kalifat"
Idlib wird, wie es in dieser Video-Reportage dokumentiert wird, militärisch von Dschihadisten dominiert, die aus der al-Qaida-Abspaltung al-Nusra hervorgehen. Das Video, das Mitarbeiter der arabischen Journalistin Jenan Moussa heimlich gedreht haben, hat, wie hierzulande ein Bericht von der Frankfurter Rundschau sehr anschaulich machte, zu einer gewissen Irritation geführt, da Moussa damit ein Bild der Herrschaft von al-Nusra zeichnet, die sich "nur graduell vom 'Kalifat' der Terrormiliz 'Islamischer Staat' (IS) unterscheidet".
Man hat Moussa Propaganda vorgeworfen, wie aus dem FR-Artikel hervorgeht, weil sie die Herrschaft der al-Nusra in Idlib eindeutig so gezeichnet hat, dass kein Zweifel an der al-Qaida-Prägung übrig blieb. Die Journalistin sei bekannt für ihre Kontakte zur Opposition, so die Zeitung. Ihre Sympathien gehörten aber "klar der demokratischen syrischen Opposition". Andersherum: In ihrem Bericht "Undercover in Idlib" gibt es keine Sympathien für die Extremisten.
Der FR-Bericht wirft Moussa vor, dass sie so unbedingt die These von der Camouflage der al-Qaida-Truppe vertritt, dass sie verkennt, "dass es innerhalb der Nusra-Front tatsächlich eine erkennbare Absetzbewegung von der Al-Kaida-Zentrale gibt". Der Nusra-Chef Mohammad al-Jolani würde mit einer gemäßigten Rhetorik und Gesprächsangeboten an die Türkei derzeit versuchen, "auf pragmatische Art das Überleben seiner Gruppe zu sichern".
Auch wird Moussa vorgehalten, warum sie nicht der Frage nachgehe, "wieso die Rebellenschutzmacht Türkei die Dschihadisten nicht stoppt".