Syrien: Der kleine Weltkrieg und das arabische Problem
Zu wenig wirtschaftliche Produktivität bei zu großer Abhängigkeit einer übermäßig wachsenden Bevölkerung von staatlichen Subventionen als Konfliktursache
"Der Nahe Osten ist dem Untergang geweiht", heißt es zu Beginn einer Serie von Kurzmitteilungen von Ehsani2. "Ägypten alleine muss 700.000 Arbeitsplätze in jedem Jahr schaffen, um die neuen Arbeitssuchenden seiner 98 Millionen Menschen starken Bevölkerung zu absorbieren". "In jedem Jahr" ist groß geschrieben, um das Problem herauszustreichen.
Die Aufgabenstellung ist wahrscheinlich zu groß. Schon jetzt lebe eine Drittel der Bevölkerung in Ägypten unter der Armutsschwelle, mit einem Einkommen unter einem Dollar am Tag, so Ehsani2. Damit endet der erste Tweet.
Ehsani2 ist ein interessanter Beobachter des Geschehens im Nahen Osten. Der syrisch-amerikanische Banker verfasst seit 2006, also seit einem halben Jahrzehnt vor Ausbruch der gewalttätigen Konflikte in Syrien, Beiträge für das über Fachkreise hinaus bekannte Blog Syria Comment des US-amerikanischen Nahost-Spezialisten Joshua Landis.
Der erste Beitrag für Syria Comment von Ehsani2, von Februar 2006, hatte Hugo Chavez zum Thema und die Frage, ob dessen "alternative Wirtschaft" für Syrien interessant oder vorteilshaft wäre. Seine Antwort war eindeutig, Syrien brauche nicht noch mehr Staatsintervention, sondern weniger.
Das ist eine Position, die Ehsani2 dann auch später vertreten hat. Vor Jahresfrist, im April 2017, als in der größeren Öffentlichkeit - so z.B. in Medien der USA, in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Saudi-Arabien, um nicht immer "westlich" zu schreiben -, wenn es um Syrien ging, der Chemieangriff in Chan (Khan) Sheichun das viel diskutierte Thema war, machte der Banker seine Leser auf ein anderes grundlegendes Problem aufmerksam, das bis dato kaum beleuchtet wurde: die Überforderung der Baath-Regierung durch die Bevölkerungszunahme in den Jahren vor dem Konflikt. Die syrische Regierung hatte in den Jahren vor Ausbruch der Konflikte vieles falsch eingeschätzt.
Sie setzte auf Beruhigung.
Zu viele Subventionen
Der Banker rückt in den Blick, dass die Regierung wenig Steuerzahler hatte, aber viele Subventionen, die sie bezahlen musste, was dem Staat, bei dem ihn überfordernden Bevölkerungswachstum, mit dem er es zu tun hatte, und den abnehmenden Einnahmen über die weniger ergiebigen Öl- und Gasproduktionen vor Probleme stellte, zu denen die Dürre schon auch einen nicht unerheblichen Beitrag leistete.
Die Klimawandel/Dürre-Begründung, die schon länger in der Diskussion ist, hatte einige Gegner. Sie stieß diejenigen vor den Kopf, die solche Einflussfaktoren im syrischen Mosaik nur ungern zulassen wollten, da sie vor allem auf militärische Strategien, Propaganda und damit zusammenhängend auf Images und Feindbilder aufpassten. Klimawandel und Dürre galten in Diskussionen als Ablenkung von der eigentlich essentiellen und bösen Aktion: der Unterstützung der Dschihadisten in Syrien, die Wiederholung von Afghanistan oder Afghanistan-Rezepten.
Der syrische Konflikt besteht in Wirklichkeit aus mehreren Kriegen. Der FAZ-Nahost-Autor Rainer Hermann hat in seinem neuen Buch "Arabisches Beben" dafür den Namen "kleiner Weltkrieg" gefunden.
Ehsani2 ging immer wieder auf Abstand von Engführungen, die sich auf die militärische Lage oder Situation konzentrierten, er achtete auf weitere Erklärungen eines sehr viel komplizierteren Konfliktes. Schon in seinen frühen Beiträgen zu Syrien stellte er eine Million Privilegierter ("Syrien 1") den 19 Millionen Nicht-Priveligierten ("Syrien 2") gegenüber, wobei er erkennen ließ, dass er zwar selbst sehr guten Zugang zu Syrien 1 hatte, wo auch viele seiner Freunde angesiedelt seien.
Eindeutig lagen seine Sympathien und Sorgen jedoch bei den 19 Millionen von "Syrien2", die von der Regierung auf eine Weise behandelt wurden, die dazu beitrug, dass der Staat im Krieg und Chaos landete. Die üblen Gegner Baschar al-Assads lassen nicht vergessen, welche elementaren Fehler die militärisch unterstützte Eliteregierung gemacht hat.
Die bewaffnete, von den ausländischen Gegnern Baschar al-Assads geförderte, religiös geprägte Milizen-Opposition war nie eine Alternative, auch deren Führung nicht, das ist ein Leitmotiv von Ehsani2. Das andere Leitmotiv ist die Kritik an Baschar al-Assads Regierung bzw. an der Baath-Regierung, die man auch als eine "typisch Banker"-Kritik einordnen könnte: Zu viele Subventionen, zu viele Anreize für ein Leben in einer Großfamilie, eine viel zu hohe Staatsquote und zu wenig Freiheiten für Privatinitiativen.
Das Defizit an Produktivität
Laut Ehsani2 besteht das Problem nicht so sehr in märchenhaft "bösen Diktatoren", sondern darin, dass viele arabische Herrscher "lausige Wirtschafter" sind, mit Nullahnung von Arithmetik und davon, dass sich Zinsen anhäufen, wenn sie auf Pump die Bevölkerung in einem Sedativ-Status der staatlichen Bezuschussung halten. Leisten könnten sich diese Haltung nur reiche Golfstaaten, die den Tag der Abrechnung weiter nach hinten verschieben können.
"Restarabien" hat der beachtenswerten Tweet-Reihe von Ehsaini2 folgend ein Problem, das arabische Regierungen in ihre politischen Rezepte noch nicht wirklich ernsthaft aufgenommen haben: das Defizit an Produktivität.
Die Produktivität wie auch das Ausbildungsniveau und die Anzahl der veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten ist in arabischen Staaten seit Jahrzehnten miserabel. Dass dschihadistische, salafistische oder auch nur islamistische Milizen daran und an den Verhältnissen des Zusammenlebens etwas zum Besseren ändern würden, ist ein Aberglaube.
Das Bevölkerungswachstum wäre allein nicht das Problem, da mehr Arbeitskräfte für ein potentielles Wachstum gut wären, weil es - theoretisch - das Wachstum unterstütze, so der wirtschaftlich argumentierende Ehsani2. Aber für eine andere Produktivität braucht es Bedingungen, die erst geschaffen werden müssen (Bildung, besser verwendete Staatsresourcen und im Nahen Osten vor allem weniger religiöse Dogmen und daraus abgeleitete Regularien). Endlich.