Syrien: Rakka kurz vor der Umzingelung

IS-Kämpfer, angeblich im Osten von al-Bab. Propaganda-Foto IS

Al-Bab: Türkische Truppen und die syrische Armee sollen Teile der Stadt eingenommen haben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Einheiten der SDF verzeichnen im Norden von Rakka schnelle Gebietsgewinne. Im Nord-Osten stehen sie bereits 5 km vor Rakka. Die Endphase zur Einnahme von Rakka scheint unmittelbar bevorzustehen. Bei al-Bab kam es zu Zusammenstößen zwischen der syrischen Armee und den türkischen Proxygruppen.

Die Euphrat-Dämme

Am 4. Februar kündigten die von einer kurdischen Kommandantin geführten SDF die Endphase ihrer Rakka-Offensive an. Seitdem rücken sie mit gewaltigem Tempo vor. Sie hatten bereits vor einigen Wochen den strategisch wichtigen Thawra-Staudamm im Westen Rakkas erreicht. Der zweite Damm (Kadiran), 10 km flussabwärts, der dazu dient, den Euphrat-Fluss zu steuern, ist noch in der Hand des IS.

Die Kontrolle dieser beiden Dämme am Euphrat ist eine Voraussetzung für einen Angriff auf Rakka. Immer mehr arabische Stammesmilizen scheinen sich den SDF anzuschließen oder stehen ihnen zur Seite. Am 3. Februar zerstörten Luftangriffe der Anti-IS-Koalition die beiden Brücken der Stadt über den Euphrat.

Schon im September wurden durch Luftangriffe alle Brücken des Euphrat zwischen der irakischen Grenze und dem östlichen Rakka zerstört. Durch die schnellen Gebietsgewinne wird die Umzingelung der Stadt immer enger gezogen. Mittlerweile dürfte nicht nur die Verbindung nach Deir-ez-Zor für den IS weitgehend gekappt sein, sondern die Stadt dürfte fast völlig vom verbliebenen IS-Gebiet abgeschnitten sein. Der Euphrat ist hierbei eine natürliche Grenze.

Die IS-Milizen wären, würden sie mit Booten versuchen, den Fluss zu überqueren, ein einfaches Ziel für die Anti-IS-Koalition. Die SDF hingegen verfügen über gepanzerte Fahrzeuge von der US-Armee und eine US-Hubschrauberunterstützung für Truppentransporte, die es ihnen ermöglichen könnte, auch Operationen auf der anderen Seite des Flusses zu starten.

Russischer Luftangriff auf türkische Soldaten bei al-Bab - "friendly fire"?

Im Dorf El Hus (Al Ghus), südwestlich von al-Bab, kam es am Donnerstag, den 9. Februar, zu Zusammenstößen zwischen der von der Türkei unterstützten FSA und der syrischen Regierungsarmee. Die syrische Armee dringt von Süden nach al-Bab vor, die Türkei von Norden. Nach einer Meldung der Cumhuriyet griffen FSA und türkische Soldaten eine Stellung der syrischen Armee an, wo sich auch russische Soldaten befanden. Dabei wurden von der FSA/Türkei 12 syrische Soldaten getötet und sechs gefangen genommen. Russland versuchte erfolglos zu intervenieren, um die Kampfhandlungen zu stoppen.

Dass sich Ahrar al-Sham damit brüstet, bei der Befreiung von al-Bab vom IS mitzumachen, also auf der Seite der türkischen Truppen, ist ein starker Index für grundlegende Spannungen. Die FSA-Milizen beschuldigten die syrische Armee, den Vorfall provoziert zu haben. Syrische Panzer hätten sich ihren Stellungen genähert. Deshalb hätten sie geschossen, um die syrische Armee zu warnen, damit sie nicht näher kommen. Das aber hätte der syrische Panzer ignoriert und das Feuer erwidert. Ein anderer FSA-Milizionär behauptete, die syrische Armee habe das Feuer eröffnet.

Übereinstimmend wurde berichtet, dass die syrische Armee ein Panzerfahrzeug der FSA außer Gefecht gesetzt habe. Daraufhin kam es zu einem russischen Luftangriff auf ein Gebäude der FSA und der türkischen Armee, bei dem drei türkische Soldaten getötet und elf weitere verwundet wurden.

Präsident Putin sprach von einem tragischen Unfall. Allerdings seien die Koordinaten für den Luftangriff vom türkischen Militär übermittelt worden. Ein "Schelm", wer denkt, dieser Luftangriff könne auch eine russische Warnung gewesen sein: "bis hier und nicht weiter". Es sah zunächst ganz danach aus.

Russland versuchte anscheinend, den Vormarsch der türkischen Proxytruppen aufzuhalten, damit die syrische Armee die Rückeroberung von al-Bab vom Süden her übernehmen kann. Denn es wurde mit der Türkei vereinbart, dass sich die FSA-Milizen und die türkischen Soldaten auf ihr Gebiet vor der al-Bab-Operation zurückziehen, also auf das Gebiet um Jarablus.

Gemeinsam in al-Bab, Ziel: Rakka

Eigentlich sollte die Türkei am Freitag eine Erklärung abgeben, die lauten sollte, dass die Türkei ihre al-Bab-Mission erfolgreich beendet und den IS besiegt habe. Diese Erklärung ist aber weder am Freitag noch am Samstag von der Türkei abgegeben worden. Es kam anders.

Heute nachmittag gab es verschiedene Meldungungen, wonach türkische Truppen zusammen mit der syrischen Armee bis ins Zentrum von al-Bab vorgedrungen seien. Die Einnahme sei nur mehr eine Frage der Zeit, wird Erdogan von Nachrichtenagenturen zitiert. IS-Kämpfer hätten damit begonnen, al-Bab zu räumen. der türkische Präsident beteuerte, dass die türkischen Militäroperationen nicht gestoppt würden, bis Rakka eingenommen sei. Allerdings ist noch nicht klar, wie die russische und die syrische Regierung zu diesem Plan stehen.

Angriffe auf Afrin

Mit dem russischen Luftangriff könnte noch eine weitere Warnung verbunden sein, nämlich dass Russland den permanenten türkischen Angriffen auf das von den SDF kontrollierte Gebiet der "Nordsyrischen demokratischen Föderation" ein Ende setzen will. Wie ANF berichtete, gab es innerhalb der ersten Februarwoche zahlreiche Grenzverletzungen seitens des türkischen Militärs.

Am 4. Februar überquerten beispielsweise ein Ingenieur, zehn Soldaten und ein Panzer die Grenze zu Rojava und drangen in die Dörfer Elok und Mia in der Nähe von Serêkaniyê ein. Nach ihren Auskundschaftungen kehrten sie in die Türkei zurück. Am 5. Februar griff die türkische Armee Dörfer des Kantons Afrin mit schweren Waffen, Panzern, Artillerie und Sturmgewehren an. In einem anderen Dorf wurden am selben Tag Feldarbeiter von türkischen Soldaten angegriffen, im Dorf Ziyaret, westlich von Kobane, eröffneten türkische Soldaten das Feuer auf zivile Siedlungsgebiete.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Türkei bereits seit Monaten eine Grenzmauer zwischen der Türkei und der "Nordsyrischen demokratischen Föderation" (Rojava) auf syrischem Boden baut und dabei permanent Grenzverletzungen begeht. Am Freitag, dem 10.2., gab es schwere Angriffe auf SDF-Stellungen westlich von Manbij-Stadt durch die türkische Armee. Dabei wurden die beiden von den SDF-kontrollierten Städte Arima und Kawkali von schwerem Maschinengewehrfeuer und Artillerie attackiert.

Die Rolle Russlands gegenüber den syrischen Kurden

Die Rolle Russlands könnte nicht widersprüchlicher sein: Einerseits unterstützt Russland im Verbund mit Iran die syrische Regierung im Kampf gegen den IS (beides Erzfeinde der Türkei). Andererseits versuchen sie über die Türkei islamistische Milizen zu binden und lassen die Türkei innerhalb einer nicht genau definierten Zone im Gebiet ihres Verbündeten Assad agieren. Assad dagegen hat zwar Russland als Verbündeten zu Hilfe gerufen, aber nicht die mit Russland kooperierende Türkei.

Aber das scheint heute niemanden mehr zu interessieren. Zusätzlich kompliziert wird es mit der Haltung zu den Kurden. Die syrischen Kurden bzw. die führende Partei der "Nordsyrischen demokratischen Föderation", die PYD, die von der Türkei als primärer Feind, noch vor dem IS, betrachtet wird, wird von Russland protegiert. In Moskau konnten sie eine quasi "ständige Vertretung" eröffnen, es werden Delegationen auf höchster Ebene empfangen zu Beratungen, parallel zu den offiziellen "Friedensverhandlungen", wo die syrischen Kurden aufgrund des Vetos der Türkei bislang nicht vertreten sind.

Unlängst hat Russland auch klargestellt, dass es weder die PKK noch die PYD als terroristische Vereinigung listet. Allerdings blendet Russland die Kurdenfrage in der Türkei ebenso aus wie Europa. Die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung, die massenhaften Verhaftungen von Oppositionellen in der Türkei, scheinen für Russlands Führung kein Thema zu sein.