Syrien: USA starten Luftoffensive auf Ölfelder unter IS-Kontrolle
Die Operation Tidal Wave II wird nicht nur die Finanzinfrastruktur des Kalifats beeinträchtigen
Die russischen Militäroperationen in Syrien haben die US-Luftangriffe lange Zeit als weniger effektiv aussehen lassen - umso mehr nach den gestrigen Erfolgen der syrischen Armee (Kalifat im Zweifrontenkrieg). Heute gibt es zwei Nachrichten, die diese Wahrnehmung kontern sollen: der Drohnen-Angriff auf "Dschihadi John" und die Bekanntmachung des Pentagon, wo man sich laut New York Times dazu entschieden hat, mit einer Welle von Angriffen auf Ölfelder, dem IS eine wichtige Einnahmequelle zu nehmen.
Ob der Drohnenangriff Mohammed Emwazi, alias Dschihadi John, getötet hat, ist bislang nicht verlässlich bestätigt. Unbestreitbar ist die öffentliche Aufmerksamkeit schon für den Versuch der gezielten Tötung einer IS-Brutalo-Ikone. Dschihadi John in mehreren IS-Enthauptungsvideos auf.
Die gezielte Tötung visiert klar auf den inneren Kern des IS. Das ist ein Propagandaerfolg gegenüber der russischen Militäroperation, der in westlichen und arabischen Medien vorgeworfen wird, dass deren "Angriffe gegen den IS" hauptsächlich auf andere Ziele ausgerichtet sind.
Ähnliches lässt sich von der über die New York Times mit großer öffentlicher Reichweite propagierten Operation Tidal Wave II (Flutwelle 2) sagen. Die Namensgebung ist angelehnt an Bombardierungen der US-Luftwaffe im zweiten Weltkrieg von Ölförderanlagen in Rumänien, die von der Wehrmacht kontrolliert wurden. Laut Pentagon besteht das Ziel von Tidal Wave II die Ölproduktion von acht größeren Ölfeldern (Omar, Tanak, El Isbah, Sijan, Jafra, Azraq, Barghooth und Abu Hardan), anzugreifen, um dem "Islamischen Staat", der die Felder kontrolliert, "schmerzlichen finanziellen Schaden" zuzufügen.
We intend to shut it all down.
Col. Steven H. Warren
Laut Schätzungen des US-Finanzministeriums liegen die Öleinnahmen des IS monatlich bei rund 40 Millionen Dollar oder etwa einer halben Milliarde Dollar im Jahr. Amerikanische Militäranalysten schätzen laut NYT die Einnahmen des Ölfeldes Omar auf 1,7 bis 5,1 Millionen. Für Verteidigungsminister Ashton Carter gibt es jedenfalls keinen Zweifel daran, dass es sich bei den Ölfeldern im Nordosten Syriens, in der Provinz Deir ez-Zur, um eine "wichtige Säule der finanziellen Infrastruktur" des IS handelt.
Ein zweiteiliger Hintergrundbericht, erschienen Ende Oktober - zum Zeitpunkt der ersten von Medien berichteten Koalitions-Angriffe auf das Omar-Ölfeld - in der US-Publikation The Fuse legt dar, wie unsicher die Einnahme-Schätzungen sind. Allerdings mit dem Tenor, dass sie noch viel höher ausfallen könnten, weil der IS erheblich über Zölle auch vom Handel, also nicht nur vom "Förderpreis", profitiert.
Bemerkenswert ist der Bericht, der von einem energiepolitischen Experten einer Washingtoner Consultingfirma stammt, aus zwei Gründen. Weil er einmal eine Teil-Erklärung für den Frust liefern könnte, von dem im New York Times-Bericht die Rede ist, nämlich dass die US-Militärs darüber erstaunt waren, wie schnell Schäden an Ölanlagen, verursacht durch vorangegangene Luftangriffe, wieder repariert werden konnten. Und zum anderen, damit zusammenhängend, weil er daraufhin deutet, dass die Angriffe auf die Ölproduktion nicht nur dem IS schaden.
Schnell reparierte Schäden und der Ölhandel
Es ist zwar durchaus möglich, dass die durch die US und französischen Angriffe verursachten Schäden an den Anlagen zur Ölförderung und Rohölverarbeitung von geschickten Ingenieuren oder Technikern erstaunlich schnell repariert wurden, wie dies die US-Armeeführung laut NYT annimmt, wobei man sich etwas wundert darüber, dass dem IS solche Fachleute zur Verfügung stehen.
Aber der Grund, weswegen der Ölverkauf auch nach den Angriffen weiterging, also weiter zum Verkauf aufbereitetes Öl zur Verfügung steht, könnte auch an einer größeren Menge kleinerer Anlagen zur Weiterverarbeitung liegen, von denen The Fuse berichtet. Die local refiners, die in provisorischen Anlagen das geförderte Öl mit simplen Techniken weiterverarbeiten, sind laut der Publikation die Hauptabnehmer des unter IS-Kontrolle geförderten Roh-Öls.
Möglich, dass die US-Kampfjets diese Anlagen bislang nicht angreifen, weil sie damit auf Zivilisten zielen würden. Dieser Produktionszweig dient nicht nur zur Öl-Versorgung etwa der Milizen im Westen Syriens, sondern auch von Teilen der Bevölkerung. Darüberhinaus trägt er zum Lebensunterhalt derjenigen bei, die mit dem Ölhandel verknüpft sind. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Meldungen, wonach auch die Regierung in Damaskus nicht nur Erdgas, sondern auch Öl über Mittelsmänner vom IS kauft.
Entsprechend sind die Angriffe auf die Ölinfrastruktur des IS eine heikle Operation, weil eine intensivierte Angriffswelle Konsequenzen riskiert, die nicht nur den IS treffen. Die Versorgung mit Öl, die Produktion und der Handel sind nicht nur für den IS wichtig, sondern auch für Landesteile, die nicht unter IS-Kontrolle stehen, und für die Zivilbevölkerung, die davon lebt, bei ohnehin eingeschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten in dem zerstörten Land.
Es wird interessant sein, wie die US-Militärführung mit solchen zu befürchtenden Kollateralschäden umgeht. Einstweilen ergibt sich nach den gestrigen Erfolgen der syrischen Armee, die mit russischen Angriffen in Verbindung stehen - die den IS auch an neuralgischen Punkten treffen treffen - das größere Bild, dass sich die russischen und die amerikanischen Angriffe ergänzen, wenn man von Raqqa aus auf das Geschehen schaut.