Syrien: Waldbrände, die nächste Tragöde
Indessen baut al-Golani, Chef der HTS-Miliz, seine Herrschaft in Idlib weiter aus
Also ob es in Syrien und im Libanon nicht schon genug Probleme gebe, sind nun auch noch Waldbrände in Küstengebieten der beiden Länder ausgebrochen. "Hunderte von Hektar" brennen in den syrischen Provinzen Latakia, Tartus und Homs, berichtete al-Jazeera am Wochenende. 45 Feuer sollen in Latakia brennen, 33 in Tartus wird der syrische Landwirtschaftsminister Mohammed Hassan Qatana am Samstag zitiert. So viele Feuer habe es an einem Tag in Syrien noch nicht gegeben.
Später wurden die Angaben offenbar noch einmal nach oben korrigiert. Die North Press Agency (NPA) zitierte Qatana mit der Zahl von insgesamt 156 Waldbränden in Syrien, davon 95 in der Provinz Latakia, 49 in Tartus und 13 in der Provinz Homs.
Als Grund für die Feuer wird eine Hitzewelle, die für diese Jahreszeit ungewöhnlich sei, genannt. Die Feuer breiten sich in Gebieten aus, die von der Regierung kontrolliert werden. Da sie in der Provinz Latakia an einigen Orten auch Wohnhäuser erfassten, mussten Bewohner evakuiert werden. Al-Jazeera berichtete, gestützt auf Informationen des syrischen Gesundheitsministeriums, von bislang zwei Toten und 70 Personen, die in Krankenhäuser gebracht wurden.
Laut der syrischen Nachrichtenagentur Sana konnten die Feuer in der Provinz Hama bis zum Wochenende weitgehend unter Kontrolle gebracht werden, auch in der Provinz Tartus habe man wiederaufflammende Feuer kontrollieren und löschen können. Schäden der Waldbrände dokumentiert die Nachrichtenagentur auf Videos. Der syrische Journalist Danny Makki, der der Regierung in Damaskus kritisch gegenübersteht, zeigt Bilder von Flammen und Rauch, die sich einem Wohngebiet nähern.
Er beklagt, dass es nur minimale oder gar keine Hilfe von verbündeten Ländern gebe. Das Inferno, eine zweite Welle von Bränden, nachdem es bereits im August und im September gebrannt hatte - da wurden von Regierungsseite auch Anklagen wegen Brandstiftung erhoben - sei eine weitere Tragödie, für die wie üblich die "Armen den höchsten Preis zahlen".
Auf der "Liste der Tragödien" in Syrien stehen seit Wochen die US-Sanktionen, die zur Inflation, stark erhöhten Lebensmittelpreisen, Treibstoffknappheit, Hunger, Arbeitslosigkeit und Verarmung maßgeblich beitragen, auch wenn dies in Think Tanks und politischen Kreisen, die sich seit vielen Jahren für einen Regime Change in Syrien einsetzen, anders gefärbt wird.
Indessen kann der al-Qaida-Ableger Hayat Tahrir asch-Scham seine Herrschaft in Idlib weitestgehend ungestört ausbauen. Der Anführer der Miliz, al-Golani, früher eng mit al-Qaida und dem IS verbunden, danach auf eigenen Wegen zum Emir, führt seit Wochen Säuberungsaktionen in seinem Herrschaftsgebiet durch. Ziele sind Führer von Milizen, die eine noch härtere und radikalere Auslegung des Dschihad verfolgen.
Damit entledigt sich der HTS-Chef nicht nur seiner Konkurrenten, sondern er baut damit auch das Bild weiter aus, das seine Miliz als "moderate und syrische Opposition" zeichnen soll - und damit als akzeptabler Faktor, dem in künftigen Verhandlungen eine neue Rolle zukommt. In dschihadistischen Kreisen arbeitet die HTS daran, ihre Linie als die richtige darzustellen. Für die größere Öffentlichkeit bemüht sich al-Golani darum, sich als Oppositioneller und weniger als Dschihadist darzustellen.
Al-Golani zählt darauf, dass diese PR zusammen mit der Zementierung seiner Herrschaft die HTS zu einem beständigen Player im Norden Syriens macht. Das "Projekt" ist angesichts dessen, dass die Dschihadisten Miliz durch die syrisch-russischen Offensiven vor nicht allzu langer Zeit noch um ihr Überleben bangen musste, weit gediehen.
Dazu gehört, dass al-Golani und die HTS sich gut mit der Türkei arrangieren. Wie die Verstärkung der türkischen Positionen in Idlib, die der belgische Journalist Elijah J.Magnier notiert, andeutet, gibt es weitere Arrangements, die frühere Kooperationen fortsetzen. Das funktioniert umso besser, je mehr es al-Golani gelingt, sich als "akzeptable Figur" zu präsentieren - und je beschränkter die Möglichkeiten der syrischen Regierung sind, aufwendige militärische Operationen zu unternehmen.
Die jüngste Maßnahme der "Regierung des Heils" in Idlib, die vollkommen unter der Kontrolle der HTS steht, ist ein Aufruf an Bewohner, ihre Waffen abzugeben oder lizensieren zu lassen. Wie weit die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den extremistischen Herrschern in Idlib auch wirtschaftlich gediehen ist, lässt sich auch am Erfolg von "Idlib-Online" ablesen. Dort können Bewohner von Idlib Waren bestellen - im Angebot sind Waren von Amazon, Gap, Samsung und H&M -, die dann aus der Türkei geliefert werden.