TTIP, CETA: "Friss oder stirb"?
Agrar- und Lebensmittelkonzerne lobbyierten am häufigsten in Brüssel
Im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen trafen sich Lobbyisten des Agrobusiness-Sektors besonders oft mit Vertretern der EU-Kommission. Das geht aus der kürzlich von dem EU-Abgeordneten Martin Häusling (Grüne) präsentierten Reportage "Was steckt hinter TTIP? Eine Spurensuche" hervor. Verfasst wurde die Schrift von Peter Kreysler, Journalist und Autor, der vor allem für WDR und Deutschlandfunk tätig ist und bereits für Features wie "Brillante Geschäfte" (über den weltweiten Diamantenhandel) ausgezeichnet wurde. Für die TTIP-Reportage sprach er mit Wissenschaftlern, Juristen, Abgeordneten, NGOs ebenso wie mit Landwirten und Konzernvertretern in Europa und in den USA.
CETA ohne Diskussion
Immer wieder werden an den TTIP- und CETA-Verhandlungen die Heimlichkeiten kritisiert und dass die Zivilgesellschaft in den Prozess kaum eingebunden ist. Doch selbst in politische Prozesse eingebundene Abgeordnete ärgern sich bei den geplanten Handelsabkommen über das EU-Procedere, welches aus demokratiepolitischer Sicht höchst problematisch ist, berichtet Kreysler.
CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) beispielsweise ist ein geplantes europäisch-kanadisches Freihandelsabkommen und gilt als Testfall für das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen den USA und EU. Bei der Abstimmung zu CETA würde jetzt aber die "Friss oder stirb"-Methode gelten, zitiert Kreysler einen CDU-Abgeordneten, der namentlich nicht genannt werden wollte.
CETA enthält unter anderem ein umstrittenes Investitionsschutzkapitel, wonach Schiedsgerichtsverfahren nicht ausgeschlossen werden könnten. Das über 1.600 Seiten umfassende Handelsabkommen wurde ohne relevante Einbindung der Öffentlichkeit ausverhandelt. Abgeordnete in den EU-Mitgliedsstaaten dürften nur noch abnicken oder "Nein-Sagen", so die Kritik einiger Politiker. Und selbst das scheint fraglich, zumal noch nicht klar ist, ob das Abkommen überhaupt der Zustimmung der nationalen Parlamente bedarf. Nach Auffassung der EU-Kommission müsse das Abkommen nämlich nicht von den Mitgliedsländern ratifiziert werden.
Was bei CETA schon für Unmut sorgte, scheint sich bei TTIP noch zu verschärfen. Auch hier wird weitgehend im Geheimen verhandelt. Doch worum geht es wirklich? Wer zeigte besonderes Interesse an dem Handelsabkommen?
Kreysler traf bei seinen Recherchen mit Pia Eberhardt zusammen, einer Mitarbeiterin der lobbykritischen Organisation CEO (Corporateeurope.org). CEO fand heraus, dass im Vorfeld der TTIP-Verhandlungen viele Wirtschafts-Lobbyisten bei EU-Vertretern vorgesprochen hatten. Zum Zeitpunkt der öffentlichen Ankündigung der Verhandlungen im Februar 2013 hätte es aber noch "kein einziges Treffen mit einer Gewerkschaft, mit Umweltorganisationen oder Verbraucherschützern" gegeben. Vorfeldgespräche wären allerdings von hoher Bedeutung, zumal darin die Eckpunkte festgelegt werden, über die verhandelt werden soll, so die CEO-Mitarbeiterin sinngemäß.
Agro- und Lebensmittelbusiness an vorderster Front
CEO sah sich daraufhin etwas genauer an, wer Treffen mit Kommissionsvertretern im Vorfeld zu TTIP hatte und kam zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass nicht etwa Lobbyisten der Auto- oder Pharmaindustrie besonderes Engagement gezeigt hätten. Am häufigsten wären Lobbyisten der Agro-, Lebensmittel- und Saatgutindustrie bei der Kommission vorstellig geworden. Kreysler schreibt über die CEO-Auswertungen:
Von den 560 Lobbykontakten der EU-Kommission im Vorfeld der TTIP- Verhandlungen hatte das so genannte AgriBusiness 126 Kontakte, das sind nahezu 25 Prozent aller Treffen. Aus der CEO Analyse geht hervor, dass multinationale Lebensmittelkonzerne, Agrarhändler und Saatguthersteller und deren Interessenverbände mehr Kontakte mit der Generaldirektion Handel der EU-Kommission hatten, als die Lobbyisten der Chemie-, Pharma- und Autoindustrie und dem Finanzsektor zusammen.
Peter Kreysler
Die Reportage "Was steckt hinter TTIP?" hat zu den Lobbying-Aktivitäten auf den Seiten 12 und 13 eindrucksvolle Grafiken von CEO eingebunden. Kreysler stellte sich die naheliegende Frage: "Warum trifft sich dieser Agrarsektor zehnmal mehr mit der EU-Kommission als die Chemieindustrie?" Und er formuliert eine Vermutung: "Vielleicht, weil hier die Standards besonders weit auseinander klaffen und deswegen ein sehr großer Verhandlungsbedarf besteht?"
Tatsächlich steckt im Agrar- und Lebensmittelbusiness enormes Sprengpotenzial. Vieles ist in den USA erlaubt, was in EU-Ländern undenkbar wäre. Und vieles dreht sich um die Ausrichtung der Landwirtschaft auf Industrialisierung mit gentechnisch verändertem Saatgut. Auf seiner Spurensuche stieß Kreysler auf einen deutschen Wirtschaftsanwalt, der ganz offen von einer "einmaligen Chance" für Gentech-Konzerne spricht und zitiert aus dessen Beitrag für ein amerikanisches Lobbyisten-Online-Portal:
Die EU-US-Freihandelsverhandlungen werden den US-Unternehmen eine zweite Chance geben, ihre Interessen effektiv in Europa zu implementieren. Dank diesem Verhandlungsprozess werden in vielen Sektoren sich schon bald Möglichkeiten eröffnen, um die US-Firmen seit Jahrzehnten gekämpft haben. (...) Den Firmen von genetisch verändertem Saatgut und Lebensmitteln bietet sich jetzt die ultimative Chance, in Europa den gesamten Zulassungsprozess in ihrem Sinne neu zu gestalten.
Ein Wirtschaftsanwalt
Obwohl Brüssel nicht müde wird zu betonen, dass Verbraucher- und Umweltstandards durch TTIP nicht unterlaufen werden, gehen heute schon zahlreiche Juristen und Experten vom Gegenteil aus - insbesondere in der Landwirtschaft und im Lebensmittelsektor.
Dumping mit Hormonfleisch und Gentechnik?
TTIP könnte hier zu einschneidenden Veränderungen führen. Eine Untersuchung im Auftrag des EU-Parlaments zeigte etwa bei Rindfleisch, dass TTIP "sehr signifikante Konsequenzen" für die europäischen Bauern haben könnte. In den USA dominieren "Tierfabriken" für Kühe, welche regelmäßig mit Wachstumshormonen versorgt werden. Dies ist in der EU bis jetzt verboten und Importe werden zudem durch Zölle begrenzt.
TTIP könnte die europäischen Landwirte erheblich unter Druck setzen, so die EU-Studie. Das Handelsabkommen würde wahrscheinlich auch die Debatte um eine Aufweichung von Deklarations-Pflichten beim Einsatz von GMOs zwischen den USA und der EU wieder anheizen, vermuten mit der Materie befasste Experten.
Wie auch immer der Prozess um TTIP und CETA weiter geht, eines hat sich bereits deutlich gezeigt: Demokratiepolitische Standards wurden ins Wanken gebracht. Der EU-Abgeordnete Martin Häusling bringt es auf seiner Website auf den Punkt:
Die europäische Politik ist - im weltweiten Vergleich - transparent. Die meisten Sitzungen europäischer Gremien sind öffentlich und werden in alle Sprachen übersetzt. Bei der Beratung von Verordnungen werden Zielgruppen und Betroffene angehört. Nicht so bei TTIP. Parlamentarier wie Zivilgesellschaft gleichermaßen kritisieren mangelnde Transparenz und Mitsprachemöglichkeiten, obwohl das Abkommen nicht weniger zum Ziel hat, als die größte Freihandelszone der Welt mit gemeinsamen Standards zu schaffen.
Martin Häusling
Was den Agrarsektor und die vergleichsweise hohen europäischen Standards in Sachen Lebensmittelsicherheit betrifft, so wird mit TTIP (soweit heute bekannt) kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Die Folgen für die europäischen Landwirte und kleineren Lebensmittelproduzenten könnten gravierend sein, mit weitreichenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Mit TTIP könnten Regeln zugunsten einiger weniger Konzerne umgeschrieben werden, wenn die Politik nicht die Notbremse zieht. Der Journalist Kreysler stellte seiner Reportage ein treffliches Zitat des Juristen Wolfgang Köhler voran:
Wenn uns jetzt Politiker erzählen, wir brauchen keine Angst zu haben; alles bleibt, wie es ist. Da würde ich sagen, entweder wissen sie nicht wovon sie reden oder sie erzählen uns bewusst dummes Zeug! Durch TTIP und CETA wird eine Entwicklung stattfinden, die alles, was wir zurzeit an Sicherheitsvorkehrungen im Zulassungsverfahren haben, aushebelt.
Wolfgang Köhler