Telepolis präsentiert Kunst im WWW
Netzkunst nach dem Zeitalter des E-Commerce: "Shopping Windows" Teil II
Im März dieses Jahres eröffnete Telepolis anlässlich seines fünfjährigen Bestehens den ersten Teil der Ausstellung "Shopping Windows - Netzkunst nach dem Zeitalter des E-Commerce". Nun folgt mit Arbeiten von JODI, Shu Lea Cheang und lia der zweite und letzte Teil dieser Ausstellung im Internet, die ab nun fortlaufend gezeigt wird.
Von Anfang an verstand sich Telepolis als ein Medium, das Entwicklungen der Netzkultur nicht nur kritisch begleitet, sondern im Rahmen seiner Möglichkeiten auch aktiv zu dieser beiträgt. Aus diesem Grund zeigte Telepolis mehr oder weniger seit seinem Bestehen Netzkunstarbeiten. Die erste Arbeit war A-Maze von Mathilde MuPe, relativ bald folgte "My boyfriend came back from the war" von Olia Lialina. Mit dem ersten Re-Design im Sommer 1997 wurde mit dem "Netzraum" ein eigener Bereich für diese Art von Projekten eingerichtet, wozu neben Netzkunst auch literarische Online-Experimente zählen. Mit der ersten Version des Telepolis-Forums wurde im Rahmen des selben Re-Designs auch eine wichtige Beteiligungsmöglichkeit für die Leserschaft eingerichtet, die sich von stetig zunehmender Bedeutung erweisen sollte.
Das fünfjährige Jubiläum bot sich als Anlass an, in dieser Hinsicht wieder einen neuen Akzent zu setzen. Um die Jahreswende 2000/01 herum verdichteten sich die Überlegungen, eine Art Ausstellung im Netzraum zu gestalten. Ausgangspunkt war, dass es sich um eine kuratierte Ausstellung mit einer überschaubaren Zahl von Arbeiten handeln sollte, die speziell für diese Ausstellung in Auftrag gegeben werden würden. Allzu oft bestehen sogenannte "Ausstellungen" von Netzkunst im Grunde aus nicht mehr als einer selektierten Liste von Links zu Netzkunstarbeiten, die es sowieso bereits gibt. Viele Institutionen wollen Netzkunst zwar gerne zeigen, sind aber nicht bereit, zu ihrer Erzeugung beizutragen. Dieser Praxis wollten wir uns nicht auch noch anschließen, sondern zumindest einen Beitrag im Rahmen unserer Möglichkeiten leisten. Auch sollte die Ausstellung ein Thema haben, eines, das weit genug gefasst sein sollte, um die Künstler nicht in eine kuratorische Zwangsjacke zu stecken, aber auch wiederum präzise genug, um nicht in völliger Beliebigkeit zu enden.
Zu dem Zeitpunkt, als die Überlegungen zu der noch zu gestaltenden Ausstellungen begannen, war die sogenannte Dot-Com-Blase, also der Boom der Börsenwerte von Internet-Unternehmen, zwar schon längst zerplatzt, doch die Folgen dieser Entwicklung begannen sich erst so richtig durch den Markt zu arbeiten. Aber nicht nur in der kommerziellen Welt, auch bei nicht-kommerziellen Internet-Enthusiasten, ob es sich nun eher um Künstler, Community-Aktivisten oder Theoretiker handelt, hatten sich gewisse Ermüdungserscheinungen eingestellt. Viele Hoffnungen rund um das Internet, Versprechungen, Mythen, Utopien, waren einige Jahre lang auf den Prüfstand gestellt worden und es hatte sich herausgestellt, dass manche Erwartungshaltungen naiv gewesen waren, dass andere Dinge einfach länger brauchen würden, um sich voll entwickeln zu können. Die Folge alldessen war zwar nicht Stillstand, aber ein gewisser Grad an Ernüchterung und Desillusion. Kurz gesagt, es stellte sich ein weit verbreitetes Gefühl ein, dass eine bestimmte Phase zu Ende gegangen war: die des rapiden Wachstums mit den 500-prozentigen Wachstumsprojektionen, die Internet-Utopie, dass der "Cyberspace" wie ein neuer Kontinent sei, auf dem die alten Regeln nicht mehr gelten und wo Projekte ungebremst von der Erdschwere der alten analogen Welt abheben und immer atemberaubendere Entwicklungen antreten würden - damit war es nun endgültig vorüber. Daher "Netzkunst nach dem Zeitalter des E-Commerce (und nach dem Ende der Netzkunst)".
Weniger allgemein gefasst und spezifischer auf Netzkunst bezogen gab es noch andere Überlegungen. Netzkunst hat zugleich einen enormen Vorteil und enormen Nachteil. Wenn man Installationen beiseite lässt, die eine Netzseite mit einem realweltlichen Interface verbinden, wenn es sich also um "pure" Netzkunst handelt, dann ist diese, zumindest was die Perzeption betrifft, rein auf die gängige Mensch-Computer-Schnittstelle beschränkt: Bildschirm, Tastatur, Maus und eventuell noch Lautsprecher. Diese Kanäle bieten nur eine sehr enge "Bandbreite" im Verhältnis zu den sinnlichen Erfahrungen, die "analoge" Kunst bieten kann. Der Vorteil wiederum ist, dass jeder Mensch, vorausgesetzt sie/er verfügt über Internetanschluss und Rechner, zu diesen Werken sofort und unabhängig davon, wo man sich befindet, Zugang haben kann, ohne sich physisch an einen bestimmten Ort begeben zu müssen, ohne die Hemmschwellen, die Galerien, Museen und andere Institutionen der Kunst aufwerfen. Daher der Verweis auf die "Fenster" im Titel (und die Rede ist hier nicht von einem bestimmten Betriebssystem), die den unmittelbaren Eintritt in die verschiedensten Welten ermöglichen, was jedoch zugleich erwähnten Beschränkungen unterliegt.
Dieser demokratische Aspekt an Kunst im WWW, dass sie mehr oder weniger ohne deutliche Abgrenzung neben anderen Angeboten im Web verfügbar und unmittelbar abrufbar ist, wirft aber auch noch ganz andere Fragen auf. Wer sagt, dass etwas Kunst ist und etwas nicht? In dieser heiklen Frage schwingt nicht nur das Problem der Wertung und Kategorisierung mit, sondern auch eines der Präsentation. Der Internetkunst fehlen die Podeste, auf denen sie hervorgehoben wird, die weißen Galeriewände, die klare Hintergründe und Abgrenzungen schaffen und die helfen, die "Aura" eines Kunstwerks zu erzeugen. Digitale Kunst ist nicht-auratisch, was für viele Digitalkünstler ein ganz wichtiger, mitunter identitätsstiftender Umstand ist. Sie wollen nämlich gar nicht "auratische" Künstler sein, hegen Vorbehalte gegen den traditionellen Kunstbetrieb und verweigern sich teilweise sogar der Bezeichnung "Künstler". Sie fühlen sich wohler in einem schwer zu definierenden Zwischenbereich, dessen Markierungspunkte irgendwo zwischen Designer, Programmierer, Hacker, Entwickler, elektronischer Populärkultur und sozialem Engagement liegen. Mit dieser wesentlich weltlicheren Einstellung - zum Unterschied vom verklärten Künstler-Genie-Kult - stehen sie den DJ's und VJ's, den Spiele-Entwicklern, Underground-Filmregisseuren und Programmierer-Popstars näher als dem tradierten Künstlerbild. Damit geben sie aber auch Privilegien eben dieser auf und treten im Netz in unmittelbare Konkurrenz mit kommerziellen Produkten, hinter denen große Budgets, ganze Entwicklerteams und die Vertriebsmacht von Konzernen stehen. Künstlerische Arbeiten im Web sind - derzeit jedenfalls - so etwas wie Visitenkarten, Verweise auf eine Identität, niemals das ganze Ereignis sondern Teaser oder Trailer für etwas, das noch folgen soll, das umfassende Hauptwerk, von dem nur Stückwerk, Ausschnitte aus einem Work-in-progress, gezeigt werden kann. Daher das "Shopping" vor "Windows".
Daneben gibt es noch eine ganze Reihe praktischer Einschränkungen und Probleme: die Abhängigkeit von bestimmten Hardware- und Softwareplattformen, von Browsergenerationen, Plug-ins, Programmiersprachen, Lizenzen, Dinge, die hier nur ansatzweise erwähnt werden sollen, die aber entscheidend für die Produktion ebenso wie für die Rezipierbarkeit sein können. Idealerweise - zumindest aus meiner persönlichen Sichtweise - wären alle Arbeiten in Standard-HTML nach Richtline der W3C-Society geschrieben und würden auf allen Rechnern, egal wie alt und mit welchem Betriebssystem, gleich gut laufen und auch mit langsamem Modem aus der Dritten Welt noch gut zugänglich sein - dann aber wäre vieles, was hier gezeigt wird, leider nicht möglich. Deshalb haben wir uns für den umgekehrten Weg entschieden. Alles ist zugelassen, was ideal für die jeweilige Arbeit ist, auch wenn es damit für manche Nutzer Hürden zu überwinden gilt. Keine Entschuldigung dafür, denn Künstler sind keine Entwicklerteams, von denen man plattformübergreifende, standartisierte, 100-Prozent geprüfte, perfekt konsumentenfreundliche Produkte erwarten kann. Die hier gezeigten Arbeiten sind zum Teil wie Prototypen in einem frühen Entwicklungsstadium, die gezeigt werden, um den Diskurs zu beleben, nicht weil sie eine endgültige Lösung für etwas darstellen.
Shopping Windows, Teil 1 und 2 zusammen, soll zeigen, dass diese immer noch diffus rezipierte, wenig verstandene und nach wie vor von zu wenig kompetenter, konstruktiver Kritik begleitete Praxis noch viele interessante Impulse erwarten lässt. Die Unschuld der ganz frühen Experimente ist vorbei, doch zugleich wäre es falsch zu sagen, dass "es" gerade erst begonnen hat. Kunst und Internet, das lässt ganz viele Formen, Bedeutungen und wechselseitige Beeinflussungen zu. Es geht nicht allein um das Web. Erinnert sei an frühe Experimente in textbasierten Welten, an die Streaming Szene, IRC-Bots und andere Ausdrucksformen jenseits des Web allein. Vielen dieser Entwicklungen konnte hier nicht Rechnung getragen werden. Netzkunst - im weitestmöglichen Sinn verstanden - ist jedoch in den letzten Jahren auf einen Weg aufgebrochen und hat bereits ein kleines Stück zurückgelegt, entgegen den pauschalisierenden Vorurteilen jener, die aus ihren kontrollierenden Funktionen als amtliche Kunstrichter heraus all das komplett vom Tisch wischen möchten. Kunst und Internet, dieses weite Thema handelt aber auch von einer wechselseitigen Beeinflussung zwischen technologischer, gesellschaftlicher und künstlerischer Entwicklung, wobei Künstler (und ihr "Publikum" - in Anführungszeichen, da es eigentlich kein Publikum gibt, da Nutzer zu Mitproduzenten werden) ähnlich Crash-Test-Piloten die Grenzen des Möglichen ausloten und die Fragen nach den sinnvollen Interfaces, den Grenzen der Interaktion und der Berechtigung bereits eingelernter Konventionen stellen.
Anm.: Da hier nicht auf die einzelnen Arbeiten eingegangen wurde, seien Interessierten die "about"-Texte zu den jeweiligen Künstlern empfohlen, sowie natürlich die Arbeiten selbst. Den mitwirkenden Künstlern sei an dieser Stelle für ihr Engagement in dieser Unternehmung herzlich gedankt. Die Ausstellung "Shopping Windows" ist zu sehen unter:
www.telepolis.de/tp/deutsch/kunst/nk/shopping/default.html