Terror in Paris gegen Regelung für Syrien?
Heute findet die Syrien-Konferenz in Wien statt, bislang sah es gut für eine Einigung zur Beendigung des Kriegs aus
Als der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier gestern dem Länderspiel Frankreich gegen Deutschland beiwohnte, konnte er die Detonationen hören. Er wird diesen Eindruck mit nach Wien genommen haben, wo heute die zweite Runde der Syriengespräche stattfindet. Der erneute Angriff von islamistischen Fundamentalisten in Frankreich ereignet sich vor einem Wochenende, an dem die internationale Diplomatie einen Durchbruch für Syrien erreichen sollte.
In Wien treffen heute zum zweiten Mal die Länder zusammen, die direkt oder indirekt am Konflikt beteiligt sind: Neben den Veto-Mächten im Sicherheitsrat der UN - USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien - werden Saudi-Arabien, die Türkei und Ägypten vertreten sein. Auch der Iran und Deutschland sind daran beteiligt, endlich eine Regelung für die Beendigung eines Krieges zu finden, der bisher mindestens 250.000 Tote forderte und Millionen von Syrern in die Flucht getrieben hat.
Vor dem offiziellen Beginn der Syrien-Konferenz in Wien hatte sich US-Außenminister John Kerry am gestrigen Freitag bereits mit seinen Amtskollegen aus der Türkei und Saudi-Arabien sowie mit dem Syrien-Sondergesandten Staffan de Mistura unterhalten. Diese drei Länder unterstützten die islamistischen Söldner in Syrien bisher am offenkundigsten. Vermutlich arbeiteten sie an einer für sie akzeptablen Strategie, um einen Ausweg aus einer insgesamt inakzeptablen Situation zu finden.
Erst am heutigen Samstag sollten die Vertreter von weiteren 19 Staaten über Wege zu einem Ende des Bürgerkriegs beraten. China und der Iran haben dafür anders als die meisten anderen Teilnehmer nur stellvertretende Minister nach Wien entsandt. Aber am Montag sollte Irans Präsident Hassan Rohani Frankreich und Italien besuchen. Die syrische Regierung und die Opposition waren bisher zwar nicht direkt eingebunden. Sie treffen sich jedoch gleichzeitig nur wenige Kilometer entfernt, in Prag.
Noch niemals in den vergangenen Jahren lag ein Durchbruch für Syrien so nahe und es ist nicht schwer zu erraten, dass gleich welche Regelung auf Kosten der Kriegstreiber stattfinden wird. Da sind nicht nur die islamistischen Söldner aus aller Herren Länder, die im Auftrag fremder Mächte seit vier Jahren das kleine Land an der Levante verwüsten. Da sind nicht nur ihre Auftraggeber im Islamischen Staat Saudi-Arabien und aus der türkischen AKP-Regierung. Am reich gedeckten Tisch sitzen auch die westlichen Geheimdienste und der Security-Komplex, insbesondere aus den USA, Großbritannien und eben aus Frankreich.
Die ehemalige Kolonialmacht hat zusammen mit Großbritannien in Syrien und Libyen lange die Rolle des europäischen Scharfmachers eingenommen. Als einer der ersten erklärte Frankreichs Präsident im Sommer 2011, dass sich nun auch "alle anderen Herrscher in der arabischen Welt" vorsehen müssten. Bis vor kurzen wurde der französische Außenminister nicht müde, das Recht auf Intervention von außen zu betonen. Präsident Hollande verstieg sich gar in die Behauptung, dass Barack Obama mit seiner "Fahnenflucht" im Jahr 2013 die Schuld am Erstarken der Organisation "Islamischer Staat" trage, als man Frankreich davon abhielt, offiziell Luftangriffe auf die Regierung in Damaskus zu beginnen. Die Kehrtwende von dieser messianisch-interventionistischen Politik fällt dem offiziellen Frankreich nicht leicht, aber sie findet statt.
Hier und nur hier liegt der Grund dafür, dass der natürliche Verbündete Frankreichs in Syrien, der islamische Terrorismus, nun in die Hand beißt, die ihn bis vor kurzem fütterte. Die Terrorattacken in Paris sind ein Angriff auf Frankreichs Politikwechsel in Syrien. Und sie zielen darauf ab, die Vision von Samuel Huntington, Bernard Henry-Lévy und Osama bin Laden am Leben zu erhalten: einen Krieg zwischen Europa und den angrenzenden Ländern des Nahen und Mittleren Ostens.
Europa muss - von Lissabon bis Wladiwostok - einen gemeinsamen Umgang mit den Kriegen im Irak, in Syrien und Libyen finden, mit dem Nahen und Mittleren Osten insgesamt. Das beinhaltet zunächst eine Aufforderung an die europäische Politik, sich gegenüber den eigenen Militär- und Sicherheitsapparaten durchzusetzen. Das bedeutet, die Geldquellen und Unterstützer des islamistischen Terrors in Riad, Medina und Ankara zum Versiegen bringen. Das bedeutet auch, die Kriegstreiber in Deutschland und Europa zu isolieren.
Das bedeutet aber vor allem, den Menschen im Irak, in Syrien und Libyen schnell eine nachhaltige wirtschaftliche Perspektive zu bieten. Deutschland hat in dieser Hinsicht mit seiner Politik der militärischen Zurückhaltung in den vergangenen 14 Jahren deutlich weniger falsch gemacht als alle anderen europäischen Mächte.
Wenn die neue deutsche Vormacht in der EU einen Sinn machen sollte, dann dass die Bundeskanzlerin und der Außenminister dahingehend Druck machen, dass Frankreich, Großbritannien und andere zukünftig ihre imperialen Alleingänge unterlassen und stattdessen eine gemeinsame europäische Politik für unsere Nachbarschaft von Marokko bis Weißrussland entwickelt wird. Dass das Bundeskanzleramt dazu in der Lage ist, hat es in diesem Jahr in der Ukraine gezeigt, als die Bundesregierung die Begehrlichkeiten der transatlantischen Kriegsfraktion mittels Minsk-II-Verhandlungen in die Schranken wies. Möglicherweise hat Hollande dort begriffen, dass es eine eigene europäische Position jenseits der parteiübergreifenden Kriegstreiberei geben kann.