Terroranschlag überschattet das Genfer Abkommen

Der neue israelisch-palästinensische Friedensplan, der von der israelischen und amerikanischen Regierung abgelehnt wird, könnte Impulse setzen

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Kurz nachdem die US-Regierung im UN-Sicherheitsrat durch ein Veto eine Resolution verhindert hatte, die den Mauerbau Israels im Westjordanland verurteilte, wurden am Mittwoch bei einem Anschlag im Gaza-Streifen auf einen Konvoi von US-Fahrzeugen mit amerikanischen Diplomaten drei amerikanische Sicherheitskräfte der Firma Dyncorp getötet. Der palästinensische Präsident Jassir Arafat verurteilte den Anschlag, Hamas und Islamischer Dschihad erklärten, sie hätten damit nichts zu tun, US-Präsident Bush warf der Palästinenserbehörde Untätigkeit beim Kampf gegen den Terrorismus und bei der Durchführung von Reformen vor.

Die palästinensische Polizei hat gestern fünf verdächtige Personen festgenommen, die Mitglieder des bislang unbekannten "Komitees für den Volkswiderstand" sein sollen und mit dem Anschlag in Verbindung gebracht werden. Es soll sich um ehemalige Sicherheitskräfte der Palästinenserbehörde und Fatah-Mitglieder handeln.

.Mit dem Anschlag ist der eben erst bekannt gewordene Friedensplan der "Israelisch-palästinensischen Friedenskoalition" möglicherweise von vorneherein gescheitert. Die israelische und die amerikanische Regierung lehnen die Alternative zur "Roadmap" ab. Der Terroranschlag, die chaotische palästinensische Autonomiebehörde, das amerikanische Veto sowie das fortgesetzte Vorgehen der israelischen Armee in der palästinensischen Stadt Rafah im Gazastreifen überschatten den neuen Friedensvorschlag. Israel soll nach diesem die 1967 besetzten Gebiete fast vollständig zurückgeben, palästinensische Flüchtlinge sollen auf das Rückkehrrecht nach Israel verzichten.

Palästinenser und Israelis haben nie ganz aufgehört, miteinander zu reden. Neben der Zusammenarbeit einiger zivilgesellschaftlicher Initiativen werden auch auf höherer Ebene immer noch Kontakte gepflegt. In der Israelisch-palästinensischen Friedenskoalition haben sich unter anderen der ehemalige israelische Justizminister Jossi Beilin und der ehemalige palästinensische Informationsminister Jassir Abed Rabbo zusammengeschlossen, um auf der Grundlage des Abkommens von Taba (Januar 2001) zu einem Ende des Konflikts zu kommen.

Auf palästinensischer Seite ist Jassir Arafats Autonomiebehörde (PA) eng eingebunden. Abed Rabbo gilt als enger Vertrauter des Präsidenten. Arafat selbst betont immer wieder, dass er dem "Frieden der Mutigen", also dem Friedensvertrag von Oslo 1993, verpflichtet bleibt. Von israelischer Seite aus ist die Initiative eine Sache eines winzigen Teils der Opposition, die von der Regierung und der Parlamentsmehrheit abgelehnt wird.

Dieser Kreis hat nun nach vielen Treffen, unterstützt vom Schweizer Außenministerium, das sogenannte "Genfer Abkommen" ausgearbeitet. Die endgültige Fassung soll am 4. November, dem achten Jahrestag des Mordes an Premier Jizhak Rabin durch einen israelischen Rechtsextremisten, der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Inhalt des Genfer Abkommens

Das vorgeschlagene Friedensabkommen beruht im wesentlichen auf zwei Grundlagen. Israel soll die seit 37 Jahren besetzten Gebiete Westjordanland und Gazastreifen an die Palästinenser zurück geben. Etwa fünf Prozent des Westjordanlandes, hauptsächlich die großen exklusiv-jüdischen Kolonien Giv'at Se'ev bei Ramallah und Ma'ale Adumim bei Ost-Jerusalem sollen von Israel annektiert werden. Das palästinensische Staatsgebiet wird um dieselbe Fläche mit einem Stück Wüste westlich des Gazastreifens erweitert. Die palästinensischen Teile Ost-Jerusalems sollen von Palästina, die jüdischen von Israel verwaltet werden, unter internationaler Aufsicht.

Von den Palästinensern wird verlangt, dass sie auf das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge (UN-Resolution 194) verzichten. Einem kleinen Teil der insgesamt 6,5 Millionen Vertriebenen und "Displaced Persons" und ihren Nachkommen soll die Wiederansiedlung in Israel gestattet werden. Alle anderen sollen sich im künftigen Staat Palästina oder in einem dritten Aufnahmeland niederlassen. Das ist realistisch. Nach den Ergebnissen einer Umfrage vom Juli 2003 bekundeten nur durchschnittlich zehn Prozent der Befragten in Jordanien, Libanon und den israelisch besetzten Gebieten, überhaupt nach Israel zurückkehren zu wollen. An die vier Fünftel aller Befragten wären gerne Bürger eines zu gründenden palästinensischen Staates oder entschieden sich für Entschädigungszahlungen und Aufnahme durch ein Drittland.

Eine symbolische Anerkennung der israelischen Schuld an der Vertreibung der Palästinenser 1948 und 1967 ist im Genfer Abkommen nicht vorgesehen. Palästinenser erklären aber immer wieder, dass ohne dieses Eingeständnis nie friedliche Verhältnisse zwischen beiden Staaten entstehen könnten.

Eine Chance für die israelische Opposition

Eigentlich sollte der Plan bis zur Veröffentlichung geheim gehalten werden, heißt es. Aber einer hat geplaudert. Gerade rechtzeitig zur jüdischen Feiertagswoche Sukkot, in der in Israel das öffentliche Leben ruht und Nachrichtenarmut herrscht. "Und das hat funktioniert", kommentiert ein Eingeweihter auf israelischer Seite, "man redet darüber. Sogar Beilins Hoffnung, dass sein Erzfeind (Ministerpräsident Ariel) Scharon auf ihn einschlägt, hat sich bestätigt."

In Israel, das sich gerne als "einzige Demokratie des Nahen Ostens" präsentiert, hat sich die Opposition auf die Seite der Likud-Regierung aus Ex-Militärs geschlagen. Die Armee, in demokratischen Staaten normalerweise ausführendes Organ, ist aktiver Teil der politischen Entscheidungsfindung. Die zerstrittene Arbeitspartei konnte nicht einmal bei den letzten Wahlen eine glaubhafte Alternative zu Scharons Panzerpolitik aufbieten. Für den Premier war das bequem. Deswegen bringt ihn die Friedensinitiative umso mehr in Rage. "Als größter historischer Fehler seit (den Friedensverträgen von) Oslo", bezeichnete Scharon den Plan. "Diese Leute wurden von der Öffentlichkeit beiseite geschoben, man hat sie aus verantwortlichen Posten in Israel geworfen, und doch maßen sie sich diese Dinge an", schimpfte der stellvertretende Ministerpräsident Ehud Olmert. "Das ist gravierend, weil sie in vollem Wissen als Hebel in den Händen ausländischer Mächte fungieren, um Druck auf Israel auszuüben."

Für den geächteten Jossi Beilin und seine Mitstreiter ist die Schelte prima. Sie können nicht nur Scharons Mantra von der "Nichtexistenz palästinensischer Gesprächspartner" widerlegen, sondern sogar eine Lösung des jahrelangen Blutvergießens vorlegen, die nicht auf Eroberung und Dominanz beruht, und die sogar von der palästinensischen Führung abgesegnet ist.

In Palästina sind sie schon weiter

"Wir machen weiter, wo die israelischen und palästinensischen Verhandler in Camp David (2002) und Taba (2001) aufhörten", sagt Hisham Abdel Raseq, früherer PA-Minister zum "Schweizer Abkommen", wie die Friedensinitiative von Palästinensern genannt wird. Allerdings wird beim Verzicht auf das Rückkehrrecht für Flüchtlinge um den heißen Brei geredet. Mitverhandler Qadura Faris, Mitglied des Parlaments, erklärt die im Plan vorgesehenen verschiedenen Optionen für Flüchtlinge, ist aber der Meinung: "Die Vereinbarung anerkennt das Recht auf Rückkehr." Das "Genfer Abkommen" entsteht mit der Unterstützung Arafats. Etwas anderes wäre in Palästina auch nur schwer vorstellbar.

Nun könnte der Plan leicht als fixe Idee der abgehobenen palästinensischen Führung abgetan werden, als Mittel zur Abwendung israelischen und internationalen Drucks. Mit Abed Rabbo, Abdel Raseq und Nabil Kasis ist aber nicht nur die korrupte Führungsspitze vertreten. Die Teilnahme von Qadura Faris und Muhammad Hurani bestätigt auch die Unterstützung der sogenannten Neuen Garde in der Fatah-Bewegung. Sie stehen für Verhandlungen mit Israel bei gleichzeitigem bewaffneten Widerstand gegen Besatzungssoldaten und Siedler. Damit stehen sie für eine verbreitete Auffassung in der Bevölkerung und haben Einfluss. Und nachdem jetzt sowieso schon alles öffentlich ist, wollen sie in Palästina für ihren Plan werben.

Arafat selbst hält sich öffentlich mit Stellungnahmen zum Genfer Abkommen zurück. Solange von israelischer Seite aus nur inoffizielle Privatiers hinter dem ehrgeizigen Plan stehen, kann Arafat durch eine Aufkündigung des Rückkehrrechts nur verlieren.

Peter Schäfer aus Ramallah