Teufel oder Nationalheldin?
Kampfpilotin Nadejda Sawtschenko wurde in Russland zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt
Umstrittener Prozess in Russland: 22 Jahre Haft für Kampfpilotin Nadejda Sawtschenko. Sie wurde am 22. März in Donezk (Oblast Rostow) schuldig gesprochen. Sie habe Koordinaten für einen Luftangriff gegeben, bei dem zwei russische Journalisten ums Leben kamen, lautet der Vorwurf. Der Prozess gilt als politisch motiviert und sorgt für weltweite Kritik.
Im russischen Fernsehen wird die Ukrainerin, die bei der Aidar-Miliz war, als "Teufel" und "Russlandfeind" dargestellt, in der Heimat gilt sie hingegen als Nationalheldin und sture Kämpferin gegen das Kremlregime. Lächelnd nahm die 34-jährige ukrainische Pilotin die Urteilsverkündung entgegen, deren Verlesen sogar unterbrochen wurde, da Sawtschenko angefangen hatte, ukrainische Lieder zu singen. Unter anderem "Die Reifen brannten" - ein auf dem Maidan sehr populärer Song.
Richter Leonid Stepanenko erklärte bereits gestern, Nadejda Sawtschenko habe "aus Hass absichtlich den Tod zweier Menschen" verursacht. Den Richter nannte Sawtschenko "Idiot" und bezeichnete das Ganze als einen "politischen Schauprozess". Nadejda Sawtschenko bestreitet alle Vorwürfe und hat nicht vor, in Berufung zu gehen. Laut ihrem Anwalt werde sie in 10 Tagen ihren Hungerstreik fortsetzen. Ihre Forderungen bleiben die gleichen: sofortige Freilassung und Rückkehr in die Ukraine. Das Gerichtsurteil: 18 Jahre Haft für den "absichtlichen Tod zweier Menschen" und 10 Jahre für "Mordversuch".
Die Gesamtstrafe inkl. partieller Zusammenlegung der Urteile beträgt 22 Jahre. Für "illegalen Grenzübergang" belegte das russische Gericht sie mit 30.000 Rubel Strafe. Die Staatsanwaltschaft forderte für Sawtschenko 23 Jahre Haft und 100.000 Rubel Strafe. Die Frist zum Strafantritt gilt als Tag ihrer Festnahme (30. Juni 2014).
Im Sommer 2014 war die ausgebildete Kampfpilotin in der Ostukraine von Separatisten gefangen genommen. Der genaue Ort und die Zeit sind strittig, da das Urteil ausschließlich auf Aussagen von Igor Plotnizkij beruht, dem Führer der nicht anerkannten Lugansk Volksrepublik (LVR). Er nahm an der Festnahme von Sawtschenko teil und half den Rebellen, sie dem russischen Geheimdienst auszuliefern. Im Internet ist das Video von ihrer Festnahme zu finden. Doch wie konnte Frau Sawtschenko die Grenze auf eigene Faust und "illegal" (so der Vorwurf) überqueren, wenn sie von den LVR-Separatisten festgenommen, gefangen gehalten und später der russischen Seite übergeben wurde?
Auch der Mörser-Angriff, bei dem zwei russische Journalisten und mehrere Zivilisten nahe des Dorfes Metallist ums Leben kamen, fand am Nachmittag statt. Nadejda Sawtschenko wurde angeblich am Vormittag festgenommen. Die Beweise dafür präsentierten der ukrainische Geheimdienst (unter anderem abgefangene Telefonate der Separatisten an dem Tag) sowie das CIT-Team, welches anhand von SunCalk und Videos des Separatisten Igor Russkij jenen Tag rekonstruierten. Was in dieser Situation nicht klar ist: Warum verurteilt der russische Staat, der mit dem Militärkonflikt in der Ostukraine offiziell nichts zu tun hatte, eine ukrainische Bürgerin?
Zwei russische Journalisten sind ohne offizielle Genehmigung des ukrainischen Staates in ein umkämpftes Gebiet gefahren. Das heißt, sie wussten, dass es nahe des Dorfes Metallist zu Schießereien hätte kommen können. Als Kampfpilotin war Frau Sawtschenko im Dienst. Hätte sie die Koordinaten dem Ajdar-Bataillon weitergegeben, wäre diese Angelegenheit trotzdem kein Fall für ein ausländisches, sprich russisches Strafgericht. Dieser Prozess, wie auch die Festnahme von Regisseur Oleg Senzow, ist ein politisch motivierter Prozess, der dafür sorgen soll, die Macht des russischen Präsidenten zu demonstrieren. In der Vergangenheit gab es dafür genug Beispiele (Chodorkowskij, Magnizkij, Pussy Riot, Duchanina, etc.); die Liste ist lang. Und wenn es um solche fabrizierten Gerichtsverhandlungen handelt, spielen weder das Minsker Abkommen noch andere Vereinbarungen eine Rolle.
Die Ukraine bot in der Ostukraine gefangene russische Offiziere im Austausch gegen Sawtschenko an. Russland werde diese Möglichkeit erst nach dem Urteil mit der ukrainischen Seite besprechen, so der russische Außenminister. Die Freilassung Sawtschenkos forderten viele Politiker der Europäischen Union, US-Präsident Barack Obama und angesehene Kulturschaffende aus der ganzen Welt. In vielen Städten (Brüssel, Moskau, Toronto, Wien, Berlin, etc.) finden seit der Festnahme von Sawtschenko regelmäßige Demonstrationen statt. Trotz einer breiten Resonanz ist das russische Gericht hartnäckig geblieben. Die Beziehung zwischen Russland und der Ukraine bleibt weiterhin angespannt.