The Rocky Horror Joschka Show

Pepe Danquart dreht einen politischen Propagandafilm

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Jede noch so schändliche Politik wird seit vierzig Jahren den Menschen als gesunder Pragmatismus verkauft und dieser als "Ende der Ideologien" gefeiert. (Was freilich die schlimmste Ideologisierung überhaupt darstellt, weil es bedeutet, dass sich im Wettstreit der Weltanschauungen ein Interpretationsmuster - nämlich das jeweils gegenwärtig herrschende - so weitgehend durchgesetzt hat, dass es von der Mehrzahl der Bevölkerung als neutrale Sicht der Dinge akzeptiert wird, auch - oder besser vor allem dann - wenn Politiker genau das Gegenteil davon tun, weswegen sie gewählt worden sind.) Dies scheint uns das Geheimnis von Pepe Danquarts Film Joschka und der Herr Fischer zu sein, dem das wohl unfreiwillige Verdienst zugesprochen werden muss, ohne auch nur eine einzige kritische Frage die politische Essenz des ehemaligen Grünen-Ministers auf den Punkt gebracht zu haben.

Mehr als alles andere wird auf die manipulative Macht der Bilder gesetzt. Die zweistündige Dokumentation des Oscar-Preisträgers Pepe Danquart zelebriert die Biographie des ehemaligen Vizekanzlers als Video-Clip, der unterbrochen von zahlreichen Exkursen (unter anderem Daniel Cohn-Bendit, Katharina Thalbach, Fehlfarben), die mitunter nicht ausgesprochen viel mit der Vita zu tun haben müssen, jedoch (unterlegt mit der jeweils passenden Musik) ästhetisch in die Dramaturgie des Films passen. In einer ausrangierten Fabrikhalle werden auf freihängenden Glasflächen Filmausschnitte der deutschen Nachkriegsgeschichte als Stationen des Werdegangs des ehemaligen Grünen-Chef projiziert, worauf dieser seinen Sermon als altersweiser Weltpolitiker abgeben darf:

Sechs Wochen Haft

Der ungarndeutsche Unternehmensberater wuchs im ländlichen katholischen Milieu im Baden-Württemberg der Fünfziger Jahre ("Das war ein Stück weit Nordirland") auf, wo der Vertriebenensohn in der protestantisch geprägten Umgebung zwar keine heimatlichen Gefühle entwickeln, aber seinen materiellen Interessen ("Als Ministrant gab es immer gutes Trinkgeld") frönen konnte. In den total ausgeflippten 60er Jahren siedelte er nach Frankfurt über. Diese Zeit wird mit Filmpassagen aus den Nürnberger Prozessen, dem Auschwitz-Prozess und dem (berechenbar mit Jimi Hendrix untermalten) Vietnamkrieg illustriert, die später unmittelbar mit dem Kosovokrieg und dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag parallelisiert werden.

Während des Drehens. Bild: X Verleih

Nach der Teilnahme an einer Demonstration wurde der Fotografielehrling ohne Bewährung verurteilt, was nicht unwesentlich zu seiner politischen Radikalisierung beigetragen hat. In der hessischen Metropole gelangte der Metzgersohn in linke Kreise und kam als Schulabbrecher auf die Idee, bei Adorno, Horkheimer und Habermas zu studieren. An dieser Stelle gibt er an, nicht nur die Schriften von Marx, Engels und Lenin, sondern auch von Hegel, Kant und "überhaupt den ganzen deutschen Idealismus" studiert zu haben. Womit er vermutlich das bis auf den heutigen Tag zu tun hätte, wenn dem tatsächlich so wäre.

Pseudo-Ästhetizismus

Hier lernt Fischer auch seinen Mentor, dem sich in der Vergangenheit auf merkwürdige Weise kinderlieb gebenden und nur bedingt friedenspolitisch korrekt agierenden Daniel Cohn-Bendit kennen, der "als radikaler Antikommunist" den "Kapitalismus überwinden" wollte. Mittlerweile sind wir im radikalen politischen Milieu der Siebziger Jahre angelangt, wo uns die Belange Frauenbewegung aus der Perspektive Fischers anhand der großen Abwaschfrage und dem Wolf Biermann adäquaten Reim "Die Macht der Schwänze hat eine Grenze" nähergebracht werden.

Wie sehr der Geisteshorizont Fischers vom Pseudo-Ästhetizismus eines sich brillant dünkenden Gymnasiasten durchwirkt ist, zeigt der kühne Denker mit seinem Kommentar zum deutschen Terrorismus: "Ein Stück weit eine griechische Tragödie zwischen Eltern und Kindern." Weiter kritisiert der ehemalige Außenminister anlässlich der Schleyer-Entführung die bürokratische Sprache des RAF-Bekenntnisschreibens und die Hinrichtung qua Genickschuss und resümiert hinsichtlich seines späteren Werdegangs und Auftretens unabsichtlich pikant: "Die Antifaschisten hatten sich ins Gegenteil verkehrt" (...). Am Ende bleibt die Gewalt und die Fratze."

"Politisches Himmelfahrtskommando"

An dieser Stelle wäre es vielleicht nicht unangebracht gewesen, Herrn Fischer darauf anzusprechen, dass er 1976 unter dem Verdacht, einen Molotw-Cocktail in ein Polizeiauto geschmissen und einen Wachmann lebensgefährlich verletzt zu haben, in Untersuchungshaft genommen und aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen wurde. In Danquarts Film aber darf er stattdessen seine Zeit als Taxifahrer vor der Kamera als freiwilligen politischen Läuterungsprozess inszenieren.

Mit dem Cohn-Bendit-Bonmot "Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir der Machtperspektive entgegentreten" wird die Polit-Ära Fischers erläutert. Hier gibt Fischer zu, "emotionale Bindungsschwierigkeiten" mit der Partei gehabt zu haben. Seine Zeit als hessischer Umweltminister bezeichnet er als "politisches Himmelfahrtskommando" und fährt fort: "Ich habe alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Ich hatte von den Inhalten keine Ahnung". Seine nur bedingt ökologisch zu bezeichnende Politik, die ihm massiven Ärger mit der Parteibasis einbrachte, erklärt er selbst vor allem mit seiner Unkenntnis von Zuständigkeitsfragen.

Huf-Eisenplan

Nach Beendigung der ersten rotgrünen Koalition hatte der Realo "nur ein Ziel, nämlich die Scharte auszuwechseln" [sic], wozu er dann als Außenminister im Kosovokrieg Gelegenheit hatte. Hier war, was die deutsche Vergangenheit anbelangt, die rot-grüne Bundesregierung bekanntlich von einem herzerfrischenden Pragmatismus gesegnet. Und die Art und Weise wie Link auf http://www.heise.de/tp/artikel/7/7855/1.html von den Medien umjubelt moralisch korrekt mit der Bundeswehr gewissermaßen als schlagkräftige Reinkarnation der Friedensbewegung ihren Pazifismus im Kosovo ausleben durften, war ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Den Kosovokonflikt hat Fischer mit seiner Propaganda von einem serbischen Hufeisenplan angeheizt und in seiner Parteitagsrede zu Bielefeld seinerzeit wahrheitswidrig behauptet, dass während der Konferenz in Rambouillet alles unternommen worden sei, um einen Krieg zu verhindern. Dabei verschwieg er, dass auf dieser Konferenz den Serben ein später unter dem Namen Appendix B berühmt gewordenes Papier unterbreitet wurde, in welchem den NATO-Truppen volle Immunität und Bewegungsfreiheit erteilt werden sollte und das selbst von einem knallharten Machtpoliker wie Henry Kissinger wie folgt eingeschätzt wird:

Der Rambouillet-Text, der Serbien dazu aufrief, den Durchmarsch von NATO-Truppen durch Jugoslawien zu genehmigen, war eine Provokation, eine Entschuldigung dafür, mit den Bombardierungen beginnen zu können. Kein Serbe mit Verstand hätte Rambouillet akzeptieren können. Es war ein ungeheuerliches diplomatisches Dokument, das niemals in dieser Form hätte präsentiert werden dürfen.

Von diesen Zusammenhang, der nicht unwichtig erscheint, wenn ein ebenso grundgesetz- wie völkerrechtswidriger und gegen das NATO-Statut verstoßender Krieg legitimiert wird, erfährt der Zuschauer kein Sterbenswörtchen. Ebenso wenig wird angesprochen, dass der deutsche Geheimdienst trotz anderslautender offizieller Verlautbarungen durchaus im Irakkrieg sein Scherflein zum amerikanischen Sieg beitragen durfte.

Am Ende des Films, darf Fischer von sich behaupten: "Ich bin gegangen und wie es meine Art ist radikal."

Nun - so radikal wie Herr Fischer meint, war sein Abgang auch wieder nicht, insofern er (was im Film in keiner Weise thematisiert wird) heutzutage als Geschäftsmann mit den gleichen Leuten dealt, mit denen er seinerzeit politisch zu tun hatte. Joseph Fischer nahm im Kosovokrieg 1999 eine recht exponierte Stellung ein. Heutzutage bekleidet Fischer mitunter bei verschiedenen Unternehmen das Amt eines Ratgebers in Sachen Nabucco-Gaspipeline, welche Erdgas aus dem kaspischen Meer nach Zentraleuropa befördern soll. Honi soit qui mal y pense.

Bild, Schnitt und Musik werden in diesem Machwerk, bei dem Ästhetik, Gedankenführung und Geschichte manipulativ ineinander verschmelzen, in die falsche Richtung suggestiv eingesetzt: Der Zuschauer wird angehalten, den Bildern zu vertrauen und den unterstellten Zusammenhang als gegeben hinnehmen, wo es angezeigt wäre, die Fischer-Legende in Zweifel zu ziehen. Der Film macht genau das Gegenteil davon, was er zu tun vorgibt, insofern er wie alle Propaganda zwar emotionalisierende Bilder zeigt, aber den wesentlichen Zusammenhang zwischen ihnen auf schrille Art verschweigt. Darüber hinaus besitzt er den Unterhaltungs- und Erkenntniswert des Kleids von Claudia Roth und hätte im Lichtspieltheater der Gemeinde Kotzen seinen einzig würdigen Aufführungsort.

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