"The war goes on, and we are winning"
Bushs historische Rede zur Schräglage der Nation und zu allen übrigen Menschheitsproblemen
Wann ist eine Rede historisch? Wenn man Steine statt Brot, "blood, sweat and tears", verheißt? Das jedenfalls versagte sich Bush in der diesjährigen The State of the Union Address aus guten Gründen. Vor dem Irak-Konflikt bewegt viele Amerikaner inzwischen weitaus stärker die Frage, wie es wirtschaftlich in den USA weiter gehen soll. Bushs Steuersenkungspläne stehen schon länger im Fadenkreuz der Demokraten, die darin allein Steuergeschenke für Wohlhabende sehen. Auch das amerikanische Gesundheitssystem ist dringend restaurationsbedürftig.
In seiner Rede konzentrierte sich Bush daher zunächst auf diese ökonomischen und sozialen Probleme, die er selbstverständlich alle so gerecht wie effektiv lösen wird. Längst weiß er, dass die mittlerweile fragilere Stimmung gegenüber Krieg und Sieg im Irak nicht von der inneren Situation Amerikas abgekoppelt werden kann, wie es noch der 11. September gewährte. Und um den grassierenden Verdacht gegenüber dem amerikanischen Machthunger zu schwächen, versprach der US-Präsident unmittelbar vor der erneuerten Kampfansage gegen den Irak auch, den Kampf gegen Aids mit einem Budget von 15 Milliarden Dollar effektiver zu führen.
Historisch sollte sie jedenfalls sein, diese Rede Bushs zur Lage der Nation, wenigstens aber "sehr nobel", wie his master's voice Ari Fleischer schon vorab verkündet hatte. Doch diese Rede vermittelte keine neuen, schon gar keine historischen Erkenntnisse jenseits des tradierten Wissens, dass der Repetiermechanismus bei Gewehren wie bei politischen Beschwörungen deren vorzüglichste Eigenschaft ist. Bush, the all american peacemaker, wurde zum leidenschaftlichen Außenpolitiker, weil hier die Gnade der Vereinfachung aus sämtlichen Rohren, solchen und solchen, nur so sprudelt:
"Die Amerikaner sind entschlossene Menschen, die jede Prüfung unserer Zeit bestehen können ... Amerika ist eine starke Nation, und achtbar im Einsatz unserer Stärke. Wir üeben Macht ohne Eroberungsabsichten aus, und wir opfern uns für die Freiheit von Fremden."
Kampf dem Feind der Zivilisation
Interessenkonflikte, partikulare Egoismen, das in Amerika krasse Gefälle zwischen Reichtum und bitterer Armut lassen sich aber nicht mehr so ohne weiteres in der zivilreligiösen Glut der kämpferischen Nation einschmelzen. Bushs Rede rezitierte also wieder das älteste Skript staatlicher Macht, dass die äußeren Gefahren riesig sind, um aus dem Homeland eine Wagenburg zu zaubern: "Das Ende der schrecklichen Bedrohungen der zivilisierten Welt."
Nun will der Irak als großer Gegenspieler der Zivilisation (Please, spell it: American way of life) weniger taugen als der inzwischen eher virtuelle Messias Usama bin Ladin, der immerhin das projektive Breitwanderlebnis des realen Schreckens bot:
"Heute ist die größte Gefahr im Krieg gegen den Terror, die größte Gefahr, mit der Amerika und die Welt konfrontiert ist, die Outlaw-Regimes, die nukleare, chemische und biologische Waffen haben wollen und diese besitzen. Diese Regimes könnten solche Waffen zur Erpressung, zum Terror und Massenmord einsetzen. Sie könnten sie auch terroristischen Verbündeten geben oder verkaufen, die sie ohne Zögern benutzen würden."
In der "State of the Union Address" wurde daher der elastische Begriff "Terrorismus" auch dem Herrn von Bagdad übergestülpt:
"Denken Sie sich die 19 Flugzeugentführer mit anderen Waffen und anderen Plänen, dieses Mal bewaffnet durch Hussein. Man muss nur heimlich eine Flasche, einen Kanister, eine Kiste in dieses Land bringen, um einen Tag des Horrors zu bewirken, wie wir ihn bislang noch nie gesehen haben."
Saddam Husseins Untaten wie seine vorgeblich apokalyptischen Potenzen sind allerdings in die Jahre gekommen, sodass die Washingtoner Frischzellenpackung für den großen alten Mann des Weltbösen längst nicht eine für die Gläubigen aller Kulturen verbindliche Teufelsfratze daraus zaubern könnte. Bush ging daher ins emotional aufwühlende Detail, um zu demonstrieren, dass sich hinter dem nationalen Potentaten ein veritabler Menschheitsfeind verbirgt:
"Internationale Menschenrechtsgruppen haben andere Methoden aufgelistet, die in der Folterzellen Iraks eingesetzt werden: Elektroschocks, Verbrennen mit glühenden Bügeleisen, auf die Haut Säure Tropfen, Verstümmeln mit elektrischen Bohrern, Abschneiden von Zungen und Vergewaltigungen. Wenn das nicht böse ist, dann hat das Böse keine Bedeutung."
Gewiss, Saddam Hussein ist ohne Zweifel eine lokale Menschheitsgeißel, der man keine Träne nachweinen wird. Auch der dubiose, von Chef-Inspektor Hans Blix und jetzt wieder von Bush angemahnte Umstand, wo denn die seinerzeit angehäuften Massenvernichtungsmittel geblieben seien, spricht gegen Husseins rückhaltlose Aufklärungsbereitschaft. Aber Herr Hussein ist eben durch seine Diktatorenkarriere als ein Schinder mit höchst partikularen Machtinteressen und eigensüchtigen Motiven ausgewiesen, der zudem den Schwanz einzieht, wenn es wirklich gefährlich wird. Ein diabolischer Hitlerklon, den etwa Hans Magnus Enzensberger in seinem historisch aberwitzigen Vergleich aus dem Zylinder zauberte, will aus dem orientalischen Despoten selbst bei schärfster Nachbetrachtung nicht werden.
Doch auch Bush nennt die angeblich neue Bedrohung in einem Atemzug mit "Hitlerism, militarism and communism". Selbstverständlich legt er nicht auf die politische Feinwaage, dass der real existierende Sozialismus noch das Kaliber zu potenteren Bedrohungsszenarien besaß. Wer weiland vom "Overkill" sprach, musste sich nicht auf ausgepowerte Chemiewaffen und Atomwaffendossiers aus dem Keller verlassen, wenn er von Massenvernichtungswaffen sprach. Dass Washington demnächst, bald, baldmöglichst, "nächste Woche" oder spätestens "kurze Zeit darauf" Beweise für Massenvernichtungsmittel im Irak vorlegt, ist eine in die Monate gekommene Ankündigung, die für bzw. gegen sich spricht und die man nicht mehr hören will, solange nichts geschieht:
"Außenminister Powell wird Infromationen und Geheimdiensterkenntnisse über Iraks illegale Waffenprogramme, seine Versuche, diese Waffen vor den Inspektoren zu verstecken, und seine Verbindungen mit Terroristengruppen vorlegen."
Wären die Beweise über jeden Zweifel erhaben und wollte man auf dieser Grundlage effektivere UNO-Kontrollen, hätte man sie doch längst vorgelegt. Denn etwa politische, diplomatische oder militärstrategische Vorsicht, das nicht zur Unzeit zu tun, gibt es nicht. Zumindest nicht, wenn doch die Abrüstung des waffenstarrenden Irak das vornehmste Ziel des Friedenspolitikers Bushs ist:
"Wir wollen Frieden. Wir ersehnen den Frieden. Und manchmal muss der Frieden verteidigt werden. Eine Zukunft, die schrecklichen Bedrohungen auf Gedeih und Verderben ausgeliefert ist, ist kein Frieden."
Je ungeklärter die Situation im Irak ist, je hartnäckiger behauptet wird, die Zeit dränge, umso leichter werden Rechtfertigungen nach dem präventiven Krieg möglich, wenn sich das Schreckenspotenzial des Irak als doch höchst überschaubar erweisen sollte. Sollten also auch nach dem Krieg keine schreckenserregenden Massenvernichtungspotenziale gefunden werden, wird man sich auf das flexible Argument zurückziehen, es hätte eben am Irak gelegen, mehr Kooperationsbereitschaft zu zeigen. Ohnehin wird nach der Schlacht regelmäßig nicht genauer nachgefragt, wenn die Verwaltung der zerschlagenen Imperiums, insbesondere die Verteilung des Öls, alle Kräfte in Anspruch nimmt.
"Gottes Geschenk an die Menschheit"
Das "Blow-up", das Bush seinem längst eingeschüchterten - warum wohl sonst hätte er die UNO-Inspektoren überhaupt in seine Märchenpaläste gelassen? - Widersacher verpasst, bleibt auch nach der historischen Rede ein Zerrbild aus dem Panoptikum der Macht. Mehr Angst macht diesem Präsidenten wohl vor allem der Umstand, dass seine militärisch nachgerüsteten Boyscout-Werte den verschlungenen Pfad durch das politisch unkorrekte Interessengewirr spätmoderner, alteuropäischer, neufundamentalistischer und neoliberalistischer Gesellschaften kaum finden. So trampelt sich der texanische Internationalismus wie ein "Raging Bull" seinen Weg frei zur üppig sprudelnden Bonanza des schwarzen Goldes.
Das immerhin kennt man in Dallas, wenn die Restwelt doch sonst nur für einen, über breite Flächen namenlosen Außenbezirk von god's own country steht. Selbst das kostbare Öl ist aber nicht der Weisheit letzter Quelle, um diesen Krieg zu verstehen. Amerika zeigt der Welt vornehmlich, dass es seine Entscheidungen durchsetzt, weil es eben Amerikas Wille ist, Freiheit - "god's gift to humanity" - allen Menschen mit allen Mitteln zu vermitteln. Diese um eigene Widersprüche weniger besorgte Lektion sollte in dieser Rede jeder begreifen, vom Homeland bis Nordkorea, von Europa bis zur arabischen Welt, von den Schläfern bis in den Nahen Osten: "Our war against terror is a contest of will, in which perseverance is power."
Allein der Umstand, dass die von Bush ausgegebenen Leitmotive nun von der halben Menschheit und ihren Chefinterpreten angestrengt diskutiert werden, sich hektische Betrachtungen um diese Begründungsmisere ranken, lässt Jahrhunderte alteuropäischer Aufklärung zumindest vorübergehend im Nebel des medialen Kriegs verpuffen. Und dass Bushs Trommeln nicht bereits vor dem fröhlichen Halali verklungen sind, darauf wurden die medialen Sonderkommandos schon vor der historischen Rede eingetrimmt. Diese Kommentare darf man sich schenken, weil Bush Juniors historische Botschaft "Krieg" seit dem 11. September so an Redundanz leidet, dass man zumindest dem zuhörwilligen Teil der Fernsehnation Amerika höchste Anerkennung zollen muss.