Theatergruppe Bundestag
Seite 2: Narzissmus zum Selbstschutz
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Denn wenn der angeblich Stärkere nicht mehr der Stärkere ist, stärkt das die eigene Lage, wenn man eben (mit)kontrollieren kann, ob der nächste Stoiber-Fauxpas im MP3-Format an die Verwandten verschickt wird oder nicht. Politik dient so also als Ventil der eigenen Verwundbarkeit in Zeiten notorischer Selbstfindung. Politik kann zum Objekt mittels Projektion werden. Denn solange Autoritäten und Persönlichkeiten angreifbar sind oder angreifbar gemacht werden können, ist der Spalt in der viel zitierten 80-20-Gesellschaft weniger spürbar, wenn diejenigen verwundbar werden, die man für die eigene Verwundbarkeit verantwortlich macht.
Ein Problem war es allerdings bislang nicht nur, die Verwundbarkeit der Politik mit der Verwundbarkeit einer ganzen Gesellschaft im Zusammenhang zu sehen und daraus einen möglichen Spalt zwischen Bürgern und Politik (mit)zuerklären. Man hat es auch verpasst, den Narzissmus der Zeit für den Bereich der Politik im Spannungsfeld des Medialen als Wechselwirkung zwischen politischem Akteur und Rezipienten zu deuten. Zwar war die Psychologie immer wieder um ihre Aufmerksamkeit bemüht, als sie bereits vor drei Jahrzehnten mit Verweis auf die kritische Pädagogik einen "neuen Sozialisationstypus" (Thomas Ziehe) aus der Taufe holte.
Nicht mehr die autoritären analen Scheißer waren plötzlich die Problemkinder der Nation, sondern die oralen Flipper in einer unruhigen Welt, in der bis heute die klassischen Hysterien, Phobien und Zwangsneurosen seltener werden, sich aber diffuse Ängste, depressive Verstimmungen und narzisstische Störungen ausbreiten. Die Forschung kam nur eben lange Zeit nicht von der Mutterbrust los, sie klebte zu sehr an Freud, der den Narzissmusbegriff 1914 geprägt hatte. Das Objekt in Form des Anderen klammerte man beinah gänzlich aus. Zwar schaffte die Psychologie bis in die 70er Jahre den Sprung von Big Mother zum Objekt, aber nicht vom Objekt zu Big Brother.
Das ist erst Martin Altmeyer vor wenigen Jahren geglückt, wenngleich er auch den "medialen Narzissmus" in seinem Buch "Narzissmus und Objekt" relativ vergaß, ihn aber in seinem folgenden Werk "Im Spiegel des Anderen" treffsicher beschrieb. Sein Ansatz blieb allerdings auch in der Narzissmus-Forschung für den Bereich der Politik bislang relativ unberücksichtigt.
Nicht nur "Narzissmus und Macht" sind siamesische Zwillinge, auch Machtlosigkeit und Narzissmus
Der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth vom Psychosozial-Verlag Gießen hat den Diskurs um Narzissmus und Macht in der Politik immer wieder geführt. Er hat auch Altmeyers "subjektives Verständnis" des Narzissmus in seinem Buch "Narzissmus und Macht" kurz aufgeführt. Seinen Ansatz umgeht er aber förmlich. Für Wirth sind "Narzissmus und Macht" siamesische Zwillinge.
Wenngleich er damit Recht hat und auch auf über 400 Seiten mit psychoanalytischer Schärfe die seelischen Störungen eines Politikers an den Beispielen Uwe Barschel, Helmut Kohl, Joschka Fischer und Slobodan Milosevic veranschaulicht, greift sein Ansatz zu kurz: Zu stark stellt Wirth in Anlehnung an Sigmund Freud und Otto Kernberg dem narzisstisch gestörten "Herrscher" ein ihm folgendes Kollektiv gegenüber. Zwar spricht Wirth stellenweise von der "Offenheit der Gesellschaft", auch von einer "folgsamen Herde", die heute vielerorts fehle. Es wird nur nirgends deutlich, wie sich das auf den Narzissmus eines Politikers auswirkt.
Denn gerade weil es diesen prototypischen "Herrscher" und ein ihm folgendes "Volk" in westlichen Demokratien nicht mehr gibt, die Masse sich weder mit einem Herrscher noch mit den Beherrschten identifiziert, ist Politik umso mehr um ein gutes Image bemüht. Und in der Mühe drückt sich Eitelkeit aus. Das "Volk" ist kein der Führungsriege auf Schritt und Tritt folgender Haufen, vielmehr eine Ansammlung von Individuen oder losen Gruppierungen im Zeitalter der Optionen. Man will Mitsprache haben und fordert Bewunderung ein. Das stellt Politik wiederum vor ganz neue Herausforderungen.
Politik als Spielball der Verhältnisse zum eigenen Machterhalt
Bewunderung einfordern heißt dann, dafür bewundert zu werden, was man ist. Kurzum: es geht um Bewunderung aufgrund eines beruflichen Status. Dafür soll Politik sorgen. Tut sie das aber nicht (oder nicht ausreichend), indem sie etwa nicht genügend Arbeitsplätze bereitstellt, wird sie (zu Recht) kritisiert. Inszeniert sie sich zudem selbst, ist die Ablehnung gegenüber den politisch Verantwortlichen umso größer.
Und die eigene Verwundbarkeit in der Gesellschaft kann gerade darum auf die Politik projiziert werden, weil es diesen "Herrscher" und die ihm "folgsame Herde" nicht mehr gibt, wenn Politik als politische Unterhaltungskultur auf einer Ebene erscheint. Bringt man Altmeyers Ansatz an dieser Stelle wieder mit ins Spiel, heißt das, dass wir unsere Identität nicht nur im und durch das Spiegelbild der "Anderen" reflexiv erwerben. Wir können das gerade darum, weil es einstige altmuffige Hierarchien nicht mehr gibt. Darum können wir uns auch an den "Anderen" erfreuen, wenn sie in die Falle der Peinlichkeit tappen.
Stoiber ist nicht Napoleon. Napoleon wurde immer wieder als ein Typus des Herrschers bezeichnet, der die Macht nur der Macht willen erobert. Napoleon verstand sich als gottgleicher Herrscher. Er stand, so wie Hitler oder Stalin, straff an der Spitze seiner Riege. Napoleon, Hitler und Stalin wurden bekämpft oder verehrt. Verehrung drückte sich früher vor allem in autoritärer Unterwürfigkeit aus. Man wollte seinen Erlöser finden oder man war diesem eben ausgesetzt. Stoiber, Westerwelle, Merkel, sie will man heute weder verehren noch bekämpfen.
Sie sind Spielbälle der Verhältnisse. Denn gerade im Kampf drückt sich eigene Verwundbarkeit aus, im Sarkasmus und der Ironie jedoch eigene Stärke und Überlegenheit. Darum soll die Theatergruppe Bundestag auch mal stolpern, das bringt ein bisschen Stimmung in den politischen Betrieb, das ist Hurra-Deutschland. Und deshalb sind nicht nur "Macht und Narzissmus" siamesische Zwillinge, wie Wirth folgert. Gerade der heutige Machtverlust von Politik steigert den Narzissmus eines Politikers und eine breite Desillusionierung in der Gesellschaft, also ein Gefühl von Machtlosigkeit, bedingt den Narzissmus der Zeit.
Der eigentliche Kreislauf beginnt schließlich im bipolaren Wechselspiel von politischer Selbst- und medialer Fremddarstellung: Denn die Kritik an der Politik als selbstgerechtes Geschäft ist umso stärker, wenn sich das Individuum in einer medialen Welt als Teil einer "persönlichkeitszentrierten Kultur" (Richard Sennett) zu sehr im Blick hat, zugleich aber (berechtigt) von der Politik verlangt, repräsentiert zu werden. Gelingt das nicht, wird der Politik Kompetenz abgesprochen. Politische Aussagen lassen sich folglich medial im Kontext der Lächerlichkeit zitieren. Politik gilt so in gewisser Weise aufgrund eines Ansehensschwundes als machtlos. Das steigert wiederum den Narzissmus eines Politikers, um ein Stück Macht zu retten.
Politik als gescheitertes Unterhaltungsformat
Macht ja nichts, muss sich die Politik immer wieder sagen. Und Macht zu retten heißt heute schließlich, dem Bürger auf Augenhöhe zu begegnen, die "Macht in den Verhältnissen" und nicht über die Verhältnisse zu suchen. Was für die Bürger also eher hilfreich erscheint, wenn sie Politik als Unterhaltungskultur durch den Kakao ziehen kann, stellt für Politik gerade eine Herausforderung dar. Sie muss den gleichen Hebel bedienen und die Bürger in gewisser Weise aufwerten. Da schießt ein Gerhard Schröder mal auf die Torwand oder Klaus Wowereit nimmt die eine oder andere Party mit. Soweit soll Oben und Unten gar nicht von einander entfernt sein.
Eine Korrektur der Konjunkturdaten hat das bislang aber nicht bringen können, darum kommt Politik auch häufig über ein Unterhaltungsformat nicht hinaus. Was dem Politiker heute schließlich im Gegensatz zu früheren, nicht-medialen oder zumindest vormodernen Wahlkampfzeiten fehlt, ist das, was Max Weber einst als "Charisma" bezeichnet hat, dass der Bürger den Politiker mit Allmacht ausstatten will. Das klingt wiederum einigermaßen beruhigend, macht man sich nur die möglichen Ausmaße beim Durchblättern von Geschichtsbüchern deutlich.
Die Allmacht des Menschen als Folge einer Zurückweisung göttlicher Allmacht (der "Gotteskomplex", Horst-Eberhard Richter) bedeutet heute die Allmacht aller, womit noch lange keine göttliche Selbstpersonifizierung in Reinkultur gemeint sein muss. Vielmehr geht es ums "Sich-in-den-Mittelpunkt-rücken". In diesem Sinne hat das Web 2.0 auch den Narzissmus "demokratisiert", wie Florian Rötzer in einem Telepolis-Beitrag folgert. Jede(r) kann heute per Mausklick (mäßiges) Können online stellen, dazu braucht es kein Abitur und auch keinen Fortbildungsnachweis.
Doch im Gegensatz zum Otto-Normal-Narzissten wirkt der Schritt eines Politikers in die Mitte der Unterhaltungskünste gekünstelt, und so wird aus Mühe ein Vorwurf: Der Erfolg von Big Brother und DSDS erklärt sich ja gerade dadurch, dass das angeblich Unverfälschte, Ungekünstelte, ja das scheinbar Echte über den Äther flimmert. Man muss das schließlich als anti-intellektuellen Protest in der Aufmerksamkeitsökonomie deuten, in der gerade in Deutschland der Zusammenhang von formaler Qualifikation und Berufseinmündung maßgeblich ist. Darum fruchten auch Kampagnen wie "Geiz ist Geil". Nur kann Politik eben nicht mit jenem anti-intellektuell anmutenden Gestus daherkommen.
Geiz ist geil meint schließlich auch, dass diejenigen, die bereits im unteren Bereich angekommen sind und nichts mehr im Lebenslauf vorzuweisen haben, noch immer die Hosen runterlassen können - unter Umständen gefällt das dann auch Dieter Bohlen. Versucht Politik aber in diesem Aktionsrahmen ihr Verhältnis zum Bürger zu steuern, käme das einer Berufsverfehlung gleich. Politik muss unter dem Diktat der medialen Fernbedienung ein gewisses Maß an Anständigkeit wahren, wird aber zugleich von den Medien (mit)gesteuert.
Mediale Politikdarstellung bedeutet dann wiederum Reduzierung auf das Wesentliche, das Wesentliche erscheint nur zunehmend komplexer. Politik kann sich schon aus diesem Grunde nicht an jenen Instrumentarien der aktuellen Unterhaltungskünste bedienen. Zugleich erscheint Politikinszenierung in Deutschlands Superstar-Zeiten jedoch umso gekünstelter und gewollter, wenn das Ungekünstelte und Unverfälschte zählt. Die Kluft zwischen Spontanem, vielleicht auch Ehrlichem, und anständiger politischer Unehrlichkeit ist darum umso größer. Die Bürger werden auch deshalb die Vermutung nicht mehr los, Politik wechsle sich medial nur ein, um Sympathiepunkte zu sammeln.
Neue Unabhängigkeit, alte Abhängigkeit
Macht auf der anderen Seite zu retten, also von Seiten der Bürger, heißt dann wiederum, unabhängig zu sein, damit einem keiner in die Parade fährt. Doch in der Suche nach Unabhängigkeit drückt sich erst jene Abhängigkeit aus, weil man den Anderen als Spiegel zur Selbstbestätigung, also das Objekt, braucht. Und der Narzissmus kommt gerade in der "Verleugnung von Abhängigkeiten" zur Geltung. Die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin hatte diesen Gedanken bereits vor über einem Jahrzehnt in ihrem interdisziplinär angelegten Narzissmus-Konzept ausformuliert.
In dem Augenblick, in dem wir unsere Unabhängigkeit erreichen, sind wir davon abhängig, sie uns gegenseitig zu bestätigen
Überträgt man ihren Ansatz ins Feld der Politologie, wird das zu einem Problem für die Großparteien, wenn sie versuchen, eigene Eitelkeit gegen öffentliche Aufmerksamkeit einzutauschen, dadurch vom Bürger abhängig sind, die Bürger aber weiterhin ihre Unabhängigkeit im Selbstrausch suchen und als Folge von den Institutionen, also auch von den Parteien, (relativ) unabhängig sein wollen. Dass das zwar wiederum Abhängigkeit bedeutet, und dass auch die Abwertung und die Kritik an der Politik nur eine kurzfristige Heilung eigener Verwundbarkeit verspricht, macht die Sache auch nur für einen Moment angenehmer.