Tiefseeraubbau 2020?
Wird der "Mining Code" dieses Jahr ratifiziert, werden die Ozeane auf den Kopf gestellt. Das soll dem Planeten und der Menschheit dienen. Welche Rolle spielt die International Seabed Authority? - Teil1
Die ersten Abbildungen der Weltmeere waren reich verzierte Karten mit allerlei Ungeheuern und Meereslebewesen, die nur vage den Schatz der Ozeane preis gaben. Viel ist davon hunderte Jahre später nicht übrig geblieben. Der organische Reichtum der Ozeane ist leer gefegt. Wenn dieses Jahr der "Mining Code" der Tiefsee veröffentlicht wird, dürfte auch das anorganische Material auf den Meeresböden weggefegt werden.
Seit 2016 arbeitet die International Seabed Authority (ISA) an der Ausarbeitung von Verordnungen zur Exploitation von Bodenschätzen, dem Mining Code. Michael Lodge, Generalsekretär der ISA, wirbt schon länger damit, dass ein solcher Abbau der Mineralien nachhaltiger, fairer und ertragreicher sei als der Bergbau zu Land. Die nötigen Regularien soll seine Behörde noch dieses Jahr herausgeben, dann könnte 2020 tatsächlich das Jahr sein, in dem der kommerzielle Abbau in der Tiefsee ernsthaft beginnt. Doch unklar ist, wie die Regeln zustande kommen und wem sie dienlich sein sollen. Dem Rohstoffhunger der Welt, dem Ökosystem Ozean oder dem Wohl der Menschheit?
Die ISA wurde 1994 von den Vereinten Nationen eingerichtet und sitzt in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston. Jedes Land, das das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) ratifiziert hat, zählt automatisch als Mitglied der ISA. Derzeit sind es 167 Länder und die Europäische Union. Die USA gehören nicht dazu.
Die ISA soll regeln, dass kein Mitgliedsstaat in See stechen und den Meeresboden nach Belieben ausgraben kann. Schließlich wird im UNCLOS festgehalten, dass der Tiefseeboden und seine Ressourcen das "gemeinsame Erbe der Menschheit" sind und nur "zum Wohle der gesamten Menschheit, unabhängig von der geographischen Lage der Staaten" abgebaut werden dürfen.
2001 vergab die ISA erstmals Explorationslizenzen. China, Korea, Japan und Russland gehörten zu den ersten Ländern, die die Clarion Clipperton Zone, ein riesigess Gebiet zwischen Hawaii und Mexiko, auf Mineralienvorkommen erkunden durften.
Was soll abgebaut werden?
Drei Mineralienarten sind dabei von kommerziellem Interesse: Manganknollen (enthalten Kupfer, Nickel, Kobalt), Eisen- und Mangankrusten (enthalten Kobalt, Titan, Platin) sowie Massivsulfide (enthalten Kupfer, Zink, Gold, Silber, seltene Erden). In der Clarion Clipperton Zone soll es nach Schätzungen der ISA allein über 20 Milliarden Tonnen von Manganknollen geben. Sie sind etwa so groß wie ein Golfball.
Aktuell sind es 21 Länder, die in der Tiefsee nach Rohstoffen prospektieren, mehr als die Hälfte davon suchen Polymetallknollen im Pazifik. Weitere Lizenzgebiete befinden sich im im Indischen Ozean und im Mittelatlantik.
Auch Deutschland hat sich zwei Claims gesichert, für ein 10.000 Quadratkilometer großes Gebiet im Indischen Ozean südöstlich von Madagaskar und 2006 für eine 75.000 Quadratkilometer große Fläche in der Clarion Clipperton Zone. Das Gebiet im Pazifik ist etwas größer als Bayern, wird auch das 17. Bundesland genannt. Das Forschungsschiff "Sonne" stanzt dort 50 mal 50 Zentimeter große Proben aus dem Meeresboden, in der Hoffnung darin genügend Manganknollen zu finden.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) schätzt, dass in dem Gebiet im Pazifik etwa eine Milliarde Tonne Manganknollen liegen. Nach einer internen Berechnung der BGR hätten die dort vermuteten zehn Millionen Tonnen Nickel, die acht Millionen Tonnen Kupfer und die 1,2 Millionen Tonnen Kobalt einen Marktwert von rund 561 Milliarden Dollar (2016).
Jede Explorationslizenz hat eine Laufzeit von 15 Jahren mit der Möglichkeit, die Lizenz mehrfach um jeweils 5 Jahre zu verlängern. Wird der Mining Code ratifiziert, gilt das als der Startschuss für die den "gold rush" des 21. Jahrhunderts. Dann können Staaten exklusive Nutzungs-/Extraktionslizenz für 30 Jahre beantragen und den Meersboden pflügen, um Manganknollen zu ernten.
Bisher hat kein Land eine Nutzungsgenehmigung erhalten. In internationalen Gewässern hat also noch kein Bergbau stattgefunden. Etliche Staaten warten darauf, dass die Schleusen für die kommerzielle Extraktion endlich geöffnet werden. Mit dem Mining Code 2020 soll es soweit sein.
Von der Exploration zur Extraktion
Smartphones, Batterien für Elektroautos oder zum Mars fliegen, all das war vor zwanzig Jahren kein Thema, als im Jahr 2000 der allererste Entwurf des Kodex des ISA zur Erkundung der Mineralknöllchen in der Clarion Clipperton Zone unterzeichnet wurde. Die Welt ist immer noch weit davon entfernt, genau zu verstehen, wie das Ökosystem der Tiefsee funktioniert, welche Umweltschäden durch den Bergbau entstehen. Gewiss ist, dass alle Schäden unumkehrbar sein werden.
Die Arbeiten am neuen Mining Code dauern bereits vier Jahre an. Michael Lodge, Generalsekretär der ISA ist optimistisch, dass er dieses Jahr ratifiziert wird. "Wir haben die einmalige Gelegenheit, es richtig zu machen. In der Tat ist dies wahrscheinlich die am besten regulierte Branche, die noch nicht stattgefunden hat", sagte Lodge. "Ich denke, der aktuelle Entwurf ist weitgehend vollständig."
Viele große Mineralkonzerne investieren in Unterwasserabbauprogramme und Ausrüstung, die technischen Herausforderungen für jede Art von Tiefseeabbau sind gewaltig. Sie graben in nationalen Küstengewässern an der Westküste Afrikas etwa nach Diamanten. Oder testen in der Clarion Clipperton Zone Bagger- und Extraktionsmethoden, während sie darauf warten, dass der Mining Code für die internationalen Gewässer veröffentlicht wird.
Mehr als ein Dutzend Unternehmen würden dann ihre Erkundungen in der Tiefsee auf die Förderung im industriellen Maßstab umstellen. Auf tausenden von Quadratkilometern kriechen dann Saugmaschinen und Sammelfahrzeuge systematisch über den Meeresboden und tragen die obere Schicht ab. Über mehrere tausend Meter lange Vakuumschläuchen werden dann Knöllchen und Sedimente abgesaugt, um sie auf Schiffen zu filtern.
Der Schlamm und Lebewesen kommen zurück ins Wasser. Sie treiben in der Strömung, bis er sich in nahe gelegenen Ökosystemen niederlässt. Für Lodge eine lösbare Sache: "Sicher, das ist ein großes Umweltproblem. Es gibt eine Sedimentfahne, und wir müssen damit umgehen. Wir müssen verstehen, wie die Wolke funktioniert, und derzeit werden Experimente durchgeführt, die uns helfen werden."
Tiefseebergbau löst die Probleme der Menschheit?
Gregory Stone von DeepGreen sagt, wenn die ISA es richtig macht und angemessene, strenge Regeln festlegt, können wir die Mineralien für unsere erneuerbare Revolution tatsächlich umweltfreundlicher und fairer sichern als bisher in der Vergangenheit.
Letztes Jahr gab DeepGreen bekannt, dass das Start-Up 150 Millionen US-Dollar aufbringen wird, um mit der Exploration von Mineralienreichtum in einem Teil des Pazifiks zu beginnen. Es wurde als Zeichen für das wachsende Vertrauen in die Zukunft der Branche gewertet.
DeepGreen-CEO Gerard Barron glaubt, dass die Welt nicht überleben wird, wenn sie weiterhin fossile Brennstoffe setzt. "Auch der Übergang zu anderen Energieformen wird eine massive Steigerung der Batterieproduktion erfordern. Auf einem Planeten mit eine Milliarde Autos würde die Umstellung auf Elektrofahrzeuge ein Vielfaches von dem erfordern, was der herkömmliche Bergbau aufbringen kann." Ausserdem bedeute der Abbau der Tiefseebodenschätze ein Ende der Kinderarbeit, etwa in kongolesischen Kobalt-Minen.
Explorations- und bald Extraktionslizenzen können bei der ISA nur von Staaten beantragt werden. Unternehmen kriegen keine Lizenz, außer sie werden von einem Land gesponsert. Das kanadische Unternehmen DeepGreen zum Beispiel hat mit dem pazifischen Inselstaat Nauru zusammen das Unternehmen Nauru Ocean Resources Inc. (NORI) gegründet, um eine Lizenz für Abbauflächen in der Clarion Clipperton Zone zu erhalten.
Die Regierung von Nauru hat Barron von DeepGreen sogar erlaubt, das Land bei der ISA offiziell zu vertreten. Barron nutzte dies als Gelegenheit, um auch die ISA dazu zu bewegen, die Vorschriften so schnell wie möglich zu entwickeln. und diese unternehmensfreundlich zu gestalten. Letztes Jahr sprach er bei der ISA vor und argumentierte mit dem Klimawandel:
Als globale Gemeinschaft rennen wir gegen die Zeit.
Wenn wir den CO2-Ausstoß nicht schnell und deutlich reduzieren, verlieren unsere Freunde und Partner in Kiribati und Nauru ihr Land, und das ist nur die Spitze des Eisbergs, der auf uns wartet - einschließlich der verheerenden Auswirkungen auf die Ozeane.
Die vor uns liegende Wahl ist also, ob wir uns für "den Teufel, den wir kennen", die Bergbauindustrie an Land entscheiden oder ob wir die Metalle aus unseren Ozeanen holen?
Ich würde heute nicht vor Ihnen stehen, wenn ich nicht glauben würde, dass der Weg zum Meer die bessere Alternative wäre.
Teil zwei: Tiefseelobbyismus 2020