Tod eines 16-Jährigen durch Polizeikugeln: Zweifel am Tathergang in Dortmund

NRW-Polizeibeamte geraten wegen des Einsatzes in Erklärungsnot. Gegen direkt Beteiligte laufen Ermittlungen. Symbolbild: Dirk Vorderstraße / CC-BY-2.0

Brisante Ermittlungen nach Schüssen auf Mouhamed Daré: Wurde die Bedrohungssituation von der Polizei selbst geschaffen?

Der Tod des jungen Senegalesen, der am 8. August bei einer Polizeiaktion in der Dortmunder Nordstadt erschossen wurde, wirft weiterhin Fragen auf. Vehement wird seither über polizeiliche Ausbildung, Einsatzstrategien, den besonderen Waffeneinsatz (eine Maschinenpistole vom Typ MP5) und Rassismus debattiert. Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) bleibt von Kritik nicht verschont.

Todesschütze suspendiert, vier Kollegen versetzt

Jetzt wird gegen fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Polizeikräfte ermittelt. Ursprünglich war von elf Beteiligten die Rede. Vier von ihnen taten Dienst in Zivil. Gegen den Todesschützen, einen 29-jährigen Polizeikommissar, wird weiter wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Er wurde vom Dienst suspendiert. Auch der Vorwurf des Totschlags wird derweil geprüft, Behördensprecher nennen dies ein übliches Vorgehen.

Gegen eine Polizeibeamtin, die Pfefferspray eingesetzt hat, sowie gegen eine Kollegin und einen Kollegen, die bei dem Einsatz mit Tasern geschossen hatten, laufen Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt. Gegen den Einsatzleiter läuft eine Ermittlung wegen Anstiftung zur Körperverletzung. Er hatte den Einsatz von Pfefferspray und Distanzelektroimpulsgerät (DEIG, umgangssprachlich "Taser") angeordnet.

Auch Disziplinarverfahren seien eingeleitet worden, teilte der Dortmunder Polizeipräsident mit. Hiervon ist dieselbe Gruppe betroffen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird. Während der Todesschütze vom Dienst suspendiert ist, sind die vier anderen Beamten versetzt worden. Für die fünf Polizisten*innen gelte aber weiter die Unschuldsvermutung.

Wie darüber hinaus zu erfahren war, wurde eine für den 30. August 2022 vorgesehene Vernehmung der Beschuldigten nicht durchgeführt, weil die Beschuldigten angekündigt hatten, zumindest vorläufig von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Sie erhalten über ihre Verteidiger:innen rechtliches Gehör. Eine der Beamtinnen (Polizeipräsidium Dortmund) hat gegen den Verstorbenen direkt am Abend des Geschehens eine Strafanzeige wegen Bedrohung gestellt.

Oberstaatsanwalt spricht von Tonaufnahme

Zu den Untersuchungen, die derzeit andauern, gehört unter anderem die Frage, ob wegen der Anordnung und des Einsatzes des Reizstoffsprühgeräts (Pfefferspray) gegen den Verstorbenen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für strafbares Verhalten bestehen. Dies geht aus dem Sachstandsbericht hervor, den Innenminister Reul vergangene Woche sowohl dem Rechtsauschuss als auch dem Innenausschuss des NRW-Landtags vorlegte.

Auch das Bundeskriminalamt (BKA) wurde eingeschaltet. Es gebe eine Tonaufnahme, erklärte laut Medienberichten der Dortmunder Oberstaatsanwalt Carsten Dombert. Auf dem Mitschnitt sollen der Jugendhilfebetreuer, der in der Leitstelle anrief, und der diensthabende Polizist in der Leitstelle zu hören sein. Der Betreuer war offenbar während des ganzen Einsatzes in der Leitung geblieben.

BKA-Audio-Experten befassen sich mit der Auswertung des Telefonats sowie des Einsatzfunkverkehrs. Die Befassung des BKA mit der Angelegenheit ist auffallend, wird jedoch mit krankheitsbedingten Ausfällen von Kollegen des LKA begründet – so jedenfalls Dombert.

Bedrohungslage fraglich

Ziel ist es, den Einsatz vom 8. August, der in ersten Berichten viele Fragen offen ließ, chronologisch zu dokumentieren. Dazu wurde der Tatort in Augenschein genommen und mit Drohnen vermessen. Das Geschehen wurde nachgestellt. Eine Befragung der Anwohner am Tatort wurde durchgeführt.

Schon jetzt scheint klar, dass sich der Einsatz tatsächlich anders abgespielt hat, als anfänglich publik wurde. Fragen, die sich derzeit stellen, sind unter anderem folgende:

• Wie verhielt sich der Jugendliche genau, nachdem der Versuch gescheitert war, ihn anzusprechen?

• Wieso wurde kein Dolmetscher gerufen?

• Was geschah beim Einsatz der Taser, wie zeigte sich deren Wirkung?

• Rannte oder ging der Jugendliche zuletzt in Richtung der Beamten?

• Wie hielt er das Messer, das von Anfang an als bedrohliches Werkzeug eingestuft wurde, eigentlich genau?

• Wie stimmig ist die Behauptung einer Bedrohungslage?

Es ist fraglich, ob es diese Bedrohungslage überhaupt gab.

Oberstaatsanwalt Carsten Dombert