Tod eines 16-Jährigen durch Polizeikugeln: Zweifel am Tathergang in Dortmund
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Wie schon angedeutet, haben Rechtsausschuss und Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags sich zwischenzeitlich mit dem Fall beschäftigt. In einer konstituierenden Sitzung tagte am 7. September zunächst der Rechtsausschuss, einen Tag später der Innenausschuss.
Der im Internet veröffentlichte Bericht zum Sachstand der Ereignisse enthält zahlreiche neue Ermittlungsdetails, die Zweifel an frühen Darstellungen aufkommen lassen.
Der im Alter von 13 Jahren aus dem Senegal geflüchtete Mouhamed Daré, inzwischen 16 Jahre alt und ohne deutsche Sprachkenntnisse, dazu psychisch angeschlagen – beides Umstände, die der Polizei vor dem Einsatz bekannt waren –, hatte mit nacktem Oberkörper in gehockter Haltung an einem Gebüsch im Innenhof der Jugendhilfe St. Elisabeth, einer Jugendeinrichtung im Dortmunder Norden, gesessen; er hielt sich ein Messer "mit der Klinge zu seinem Körper" vor den Bauch.
Laut Darstellung der Einsatz- und Bedrohungssituation vom 9. August, einen Tag nach dem tödlich verlaufenen Polizeieinsatz, war Mouhamed D. Am 7. August 2022, also am Tag vor seinem tragischen Tod, auf der Polizeiwache Dortmund-Nord erschienen, wo er "nonverbal" (so der Bericht) Suizidabsichten "durch Gestik" äußerte.
Der Jugendliche wurde daraufhin unter Einbeziehung des Jugendamts Dortmund in die Kinder- und Jugendpsychiatrie Dortmund verbracht, am Abend jedoch wieder entlassen und per Taxi in die Einrichtung St. Elisabeth zurückgeschickt, wo tags darauf die Dinge ihren traurigen Lauf nahmen.
Keine Gefahr für die Allgemeinheit
Was geschah nun wirklich während der Polizeiaktion am 8. August?
Oberstaatsanwalt Carsten Dombert stellte gegenüber dem Westfalen-Blatt fest: "Die Lage war statisch. Der Jugendliche saß da und tat nichts."
Der Jugendliche war alleine im Innenhof. Er saß teilnahmslos mit dem Rücken an der Kirchenmauer und hatte den Kopf gesenkt. Drei Seiten des Hofs sind von Mauern begrenzt, an der vierten Seite standen Polizisten. Der 16-Jährige stellte also keine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
Oberstaatsanwalt Carsten Dombert
Offenbar gab es schon eine krasse Fehlleistung beim Versuch, Mouhamed anzusprechen. So habe sich etwa eine Ansprache des Teenagers (durch zwei der Beamten in Zivil) lediglich in deutscher und spanischer Sprache feststellen lassen, erläuterte die Oberstaatsanwaltschaft. Der Senegalese verstand aber beide Sprachen nicht. Zuvor war die Rede von mehreren Sprachen gewesen, die man gebraucht haben will.Nebenbei gesagt: Amtssprache im Senegal ist Französisch.
Auch, dass der junge Mann von den beteiligten Zivilbeamten zum Weglegen des Messers aufgefordert worden sein soll, hätten die Ermittlungen nicht ergeben. Im Berichtspapier heißt es:
Das Messer hielt der Getötete weiterhin in einer Hand, wobei aufgrund unterschiedlicher Zeugenangaben bislang nicht abschließend geklärt ist, wie genau er es führte.
Ebenso sei bislang "nicht abschließend geklärt, ob und wie weit der Getötete sich noch fortbewegte", heißt es in dem Papier weiter. Bisher lautete die offizielle Darstellung, der Jugendliche sei auf einen Polizeibeamten zugerannt.
Wie das Dokument weiter ausführt, hatten die beiden abgegebenen Taser-Schüsse offenbar keine Wirkung: Der erste traf nicht richtig, der zweite hatte den Jugendlichen am Unterbauch (unter anderem am Glied, wie es im Bericht heißt) getroffen, dabei wohl Schmerz ausgelöst, jedoch nicht die gewünschte Reaktion gebracht, kurz bevor die tödlichen Schüsse aus der MP fielen.
Die Eskalation hinterlässt begründete Zweifel
Ibrahim Yetim, Innenexperte der SPD aus Moers, stellt infrage, ob es sich überhaupt um eine Notwehrsituation handelte – oder ob der Einsatz von Pfefferspray und Tasern nicht erst zu der fatalen Eskalation beigetragen habe. "Wie kamen die Polizisten überhaupt auf die Idee, nach dem Eintreffen am Einsatzort eine Maschinenpistole aus dem Kofferraum zu holen?, fragte der Politiker.
Gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger (KStA) ergänzte Yetim, durch die Null-Toleranz-Strategie von Herbert Reul hätten sich die Polizisten offenbar befugt gesehen, überhart durchzugreifen. Daher trage auch der Innenminister eine politische Mitverantwortung.
"Die Polizisten hätten außer einem Übersetzer auch eine Verhandlungsgruppe oder einen Psychologen anfordern können", befand Oberstaatsanwalt Dombert. Es habe jedenfalls nicht die Not bestanden, sofort eingreifen zu müssen.
Das Dortmunder Westfalen-Blatt bringt die Sache auf den Punkt: Die kritische Situation, die mit dem Tod des 16-Jährigen endete, wurde nach bisherigem Ermittlungsstand offenbar durch die Polizei erst geschaffen.