"Todesgrüße aus Moskau": Presserat weist Beschwerde wegen Spiegel-Cover vorerst ab

Im Fall Skripal sei eine Unterstellung russischer Schuld durch den Spiegel "nicht ersichtlich". Für den Medienwissenschaftler Prof. Michael Haller ist der Presserat "Teil des Systems"

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Im März hatte ich beim Presserat, der von den führenden Verbänden der deutschen Journalisten und Zeitschriftenverleger gemeinsam betrieben wird und der die Einhaltung des Pressekodex überwachen soll, Beschwerde eingelegt. Es ging um den Fall Skripal und die Schlagzeile auf dem Cover der Spiegel-Ausgabe vom 17. März, wo es hieß: "Todesgrüße aus Moskau - Der Giftanschlag und der neue Kalte Krieg".

Ich hatte in meiner Beschwerde argumentiert, dass mit dieser Titelseite unterstellt werde, eine Schuld russischer Täter für den Mordanschlag sei erwiesen, was zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aber nicht der Fall war. Die Beweise fehlen bekanntlich bis heute. Mehr als einen Monat nach dem Verbrechen konnte die britische Regierung noch nicht einmal konkrete Tatverdächtige benennen. Die Schlagzeile war daher aus meiner Sicht (laut Auskunft des Presserats war ich in dieser Sache der einzige Beschwerdeführer) ein Verstoß gegen Ziffer 13 des Pressekodex ("Unschuldsvermutung") wo es heißt:

Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.

Pressekodex

Insbesondere verstieß die Schlagzeile meiner Einschätzung nach gegen Richtlinie 13.1 des Pressekodex ("Vorverurteilung"):

Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen. Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. (…) Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.

Pressekodex

Der Presserat kam nun in einer Vorprüfung, also noch vor Befassung des zuständigen Beschwerdeausschusses, zu einer anderen Einschätzung. Ende Mai teilte mir ein Referent brieflich mit, dass ein "Verstoß gegen den Pressekodex nicht vorliegt":

Dass die Redaktion mit der Titel-Gestaltung eine redaktionelle Tatsachenbehauptung aufstellen wollte in dem Sinne, dass Russland erwiesenermaßen für die Tat verantwortlich ist, ist nicht ersichtlich.

Presserat

Die Aussage erstaunt. Denn wie anders, denn als Unterstellung russischer Schuld, soll ein Leser die Schlagzeile "Todesgrüße aus Moskau" verstehen? Daher legte ich vor wenigen Tagen Widerspruch gegen den Bescheid ein - was laut Beschwerdeordnung des Presserats möglich ist (mir im Ablehnungsschreiben freilich nicht mitgeteilt worden war). Nun wird sich, dem üblichen Verfahren folgend, doch noch der Beschwerdeausschuss mit der Sache befassen, voraussichtlich auf der nächsten Sitzung vom 12. bis 14. Juni in Berlin.

Spiegel-Cover vom 17. März 2018 (12/2018)

Politische Bewertung unabhängig von Ermittlungsergebnissen?

In der begleitenden Korrespondenz teilte mir der Presserat außerdem mit, dass Ziffer 13 des Pressekodex ("Unschuldsvermutung") hier nicht zur Anwendung käme, da dieser Punkt "auf juristische Verfahren im engeren Sinne abzielen" würde. Geschützt wären lediglich "namentlich bekannte Tatverdächtige". Im Fall Skripal läge die Sache aber anders, so der Presserat:

Die streitgegenständliche Berichterstattung thematisiert im Kern kein juristisches Verfahren gegen einen oder mehrere Tatverdächtige, sondern fragt nach einer politischen Verantwortlichkeit bzw. dokumentiert die Folgen des Falles auf politischer/diplomatischer Ebene.

Presserat

Daher würde der Presserat den Fall nur mit Blick auf Ziffer 2 des Pressekodex ("Sorgfalt") betrachten. Das aber, so darf man mutmaßen, müsste nach Sachlage immer noch für eine Rüge an den Spiegel ausreichen. Denn laut Ziffer 2 sind "zur Veröffentlichung bestimmte Informationen (…) auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen." Im vorliegenden Fall hat die Schlagzeile den tatsächlichen Erkenntnisstand eindeutig verfälscht.

Die vom Presserat nahegelegte Trennung einer "politisch/diplomatischen" Erörterung des Falls Skripal von den Ergebnissen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens erscheint zudem fragwürdig. Eine politische Bewertung eines Verbrechens lässt sich nicht ernsthaft von den polizeilichen Ermittlungsergebnissen trennen - auch wenn genau das leider immer wieder geschieht, von 9/11 bis Duma und Skripal, und daher offenbar von manchem als Normalität akzeptiert wird.

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