"Total Defence"
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Schwedens Mobilmachung von Militär und Gesellschaft
Fast zweieinhalb Jahre tüftelte eine parteiübergreifende "Verteidigungskommission" an einem Weißbuch, mit dem das Konzept der "Umfassenden Verteidigung" ("total defence") für den militärischen Bereich ausbuchstabiert werden sollte. Das gestern veröffentlichte Papier gilt als Grundlage für die Militärhaushalte der Jahre 2021 bis 2025, die massiv aufgestockt werden sollen. Zusammen mit seinem bereits vor einiger Zeit veröffentlichten "zivilen Pendant" seien beide als "zwei Teile eines einheitlichen Gesamtkonzepts zu verstehen".1
Die Folgen sind weitreichend: Hierüber wird nicht nur auf Basis äußerst schwammiger Annahmen einer Dämonisierung Russlands das Wort geredet und die Bevölkerung auf umfassende Maßnahmen sowie die daraus abgeleitete Rüstungsmaßnahmen eingeschworen. Noch schwerer wiegt, dass nahezu die gesamte schwedische Bevölkerung zur Teilnahme an der "Umfassenden Verteidigung" verpflichtet wird, deren ziviler Pfeiler wiederum systematisch auf die Zuarbeit zum militärischen Teil ausgerichtet wird.
Nicht zuletzt dies dürfte der Grund sein, weshalb das Konzept hierzulande teils als vorbildlich bewertet wird, handelt es sich bei der "Umfassenden Verteidigung" doch im Wesentlichen um eine Blaupause für die großangelegte zivile und militärische Mobilmachung gegen Russland: "Letztlich erfordert die Umfassende Verteidigung Schwedens eine glaubwürdige Fähigkeit zur Kriegsführung, die sowohl militärischen wie auch zivilen Verteidigungskomponenten beinhaltet."
Militärische Mobilmachung
Am 9. Januar 2017 beauftragte die schwedische Regierung die Verteidigungskommission, bis spätestens zum 14. Mai 2019 ein Verteidigungs-Weißbuch vorzulegen. Punktgenau an diesem Tag wurde dieser Bericht dann auch veröffentlicht, der die künftige schwedische Militärpolitik maßgeblich beeinflussen dürfte. Schließlich waren in seine Erstellung Abgeordnete aller acht im Reichstag vertreten Parteien ebenso eingebunden, wie Vertreter des Verteidigungs-, Außen- und Finanzministeriums sowie der Streitkräfte.
Das Weißbuch beginnt mit einer düsteren Lageeinschätzung: Die Sicherheitslage habe sich "verschlechtert", sie sei durch "Instabilität und Unvorhersehbarkeit" geprägt. Die Schuld an dieser misslichen Lage wird vor allem einem Land in die Schuhe geschoben:
Russlands fortdauernde Aggression gegen die Ukraine und die illegale Annexion der Krim verletzen das Gewaltverbot, das in der UN-Charta verankert ist. […] Russlands Handlungen in Georgien 2008, in der Ukraine seit 2014 und in Syrien seit 2015 unterstreichen seine Bereitschaft, sowohl in Europa als auch darüber hinaus militärische Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele einzusetzen.
Weißbuch
Wie üblich wird dabei die westliche - nicht unbeträchtliche - Verantwortung an den benannten Krisen geflissentlich ausgeblendet. Und genauso wenig hält man sich mit der Frage auf, ob die Annahmen, auf denen die späteren Vorschläge aufsatteln, einen Plausibilitätstest bestehen würden. So erscheint der an den Tag gelegte Alarmismus mit Blick auf das russische Militärpotenzial doch reichlich übertrieben:
Die militärstrategische Lage hat sich in den letzten Jahren aufgrund politischer Entwicklungen und der gestiegenen russischen militärischen Fähigkeiten verschlechtert. […] Bislang wurde dem Ausbau der russischen militärischen Fähigkeiten nicht mit entsprechenden Maßnahmen zur Erhöhung der westlichen militärischen Kapazitäten begegnet.
Weißbuch
Auf noch wackligerem Grund fußt die anschließende Aussage, Russland sei nicht nur in der Lage, sondern auch Willens zu einem Angriff auf Schweden oder einen seiner Nachbarn: "[Ein] bewaffneter Angriff auf Schweden kann ebenso wenig ausgeschlossen werden, wie die Anwendung von oder die Drohung mit Gewalt gegen Schweden." Gleiches gelte für die Nachbarländer, weshalb das "Konzept der Umfassenden Verteidigung entwickelt und konzipiert wird, um einem militärischen Angriff auf Schweden zu begegnen".
Nicht zuletzt weil davon auszugehen sei, dass die USA im Versuch sich mit China anzulegen künftig wohl weniger Ressourcen für NATO-Maßnahmen gegen Russland bereitstellen würden2, müsse der Landesverteidigung, also möglichen Auseinandersetzungen mit Russland, künftig oberste Priorität eingeräumt werden.
Ähnlich wie in Deutschlands "Konzeption der Bundeswehr" sollen die Fähigkeiten für militärische Auslandseinsätze zwar durchaus aufrechterhalten werden - aber nur so weit als möglich, der Fokus liegt auf Russland:
Die Verteidigungskommission gelangt zu dem Ergebnis, dass Schweden sein aktives Engagement und seine Teilnahme an internationalen Operationen fortsetzen sollte […]. Die Verteidigungskommission betont, dass die Teilnahme an internationalen Militäreisätzen auf der Basis der Ressourcen und Kapazitäten erfolgen muss, die für die schwedischen Streitkräfte zur Verteidigung Schwedens entwickelt werden.
Weißbuch
Daraufhin schlägt das Weißbuch eine Reihe von Maßnahmen vor, die beiden wichtigsten sind sicherlich die massive Aufstockung der Streitkräfte und des Militärhaushaltes. Bis 2024 solle der Umfang der schwedischen Armee von aktuell 60.000 auf 90.000 Personen anwachsen (einschließlich der Heimatschutzgarde und Zivilangestellter).
Unter Berufung auf Russland und die vermeintliche Notwendigkeit, die Armee aufzustocken, führte das Land bereits im März 2017 nach nur sieben Jahren die Wehrpflicht wieder ein. Schon im Februar 2019 tauchten Berichte auf, es sei geplant, die Zahl der eingezogenen Wehrpflichtigen in den kommenden Jahren deutlich zu erhöhen. Auch im Weißbuch wird dies nun mit der Begründung angekündigt, der angestrebte Aufwuchs der Armee sei nur so zu bewerkstelligen: "Das bedeutet, dass 8.000 Wehrpflichtige jährlich eingezogen werden, ein Anstieg von den 4.000, die heute hinzukommen."
Trotz der somit absehbar steigenden Personalkosten soll auch noch in neues Gerät investiert werden, weshalb das Weißbuch eine saftige Erhöhung des Militärhaushaltes vorschlägt. Dabei ist das Budget in den letzten Jahren bereits von 42,3 Mrd. Kronen (2012) auf 50 Mrd. Kronen (2018) angestiegen - in Dollar handelte es sich dabei um eine Erhöhung von 5,06 Mrd. (2012) auf 5,75 Mrd. (2018) oder um 13,6 Prozent. Schon im Frühjahr 2018 hatte man sich auf nochmalige Steigerungen verständigt: "Dazu beschloss die rotgrüne Regierung, die Verteidigungskosten bis 2020 um jährlich 2,7 Milliarden Kronen (270 Millionen Euro) anzuheben."
Doch auch dies genügt den Autoren des Weißbuchs bei weitem nicht: Bis 2025 sollen 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht werden. In Zahlen soll der Haushalt deshalb um knapp 70 Prozent auf satte 84 Mrd. Kronen in die Höhe schießen!
Hinzu würden dann noch jährliche Kosten von 4,2 Mrd. Kronen für die Ausgaben im Zusammenhang mit Maßnahmen des "zivilen" Pfeilers der "Umfassenden Verteidigung" kommen, wie sie schon länger ins Auge gefasst worden seien.
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