Totalitärer Gewaltjesus

Fist Of The North Star - Ken's Rage

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Fist Of The North Star war Anfang der 1990er einer der ersten Animes, der in deutschen Videofreak-Kreisen größere Aufmerksamkeit erregte. Der Film war 1991 von Streamline Productions ins Englische übertragen und in den USA, 1994 auch in Australien und Großbritannien veröffentlicht worden. Das britische Tape war bis zur Indizierung des Videos von Manga Entertainment im Jahr 2002 auch in Deutschland erhältlich, sodass der Anime in den Kreisen von Horrorfilmliebhabern innerhalb von wenigen Jahren weite Verbreitung fand.1

Bei der ersten Sichtung kam man sich vor, als ob man während einer LSD-Überdosierung Gelegenheit nähme, wirren und grotesk übersteigerten Erinnerungsfetzen an Schulhof-Mythen wie Godzilla, John Rambo, El Topo, Mad Max, Jason Vorhees, Conan und Klaus Kinski bei einem gigantischen, direkt nach dem einleitenden atomaren Holocaust veranstalteten Turnier um den dubiosen Titel "Faust des Nordsterns" zuzusehen. Die streitenden Wesen sind samt und sonders bizarre Atommutanten, welche die gelegentlich auftauchenden normalen Menschen wie lästige Insekten behandeln, also entweder genervt verscheuchen oder gleich erschlagen.

Bald kommt der zunächst fassungslose Filmfreund dahinter, dass der "Fist" offensichtlich die fleischgewordene Inkarnation eines mythischen Übermenschen darstellt, er ist eine Art totalitärer Gewaltjesus, der dazu bestimmt ist, die uneingeschränkte Herrschaft über den nuklearen Saustall anzutreten.

Praktischerweise sind die streitlustigen Mutanten durch das Überleben der Apokalypse derart abgehärtet, dass sie erst einmal nicht zugrunde gehen, auch wenn sie sich gegenseitig soviel Gewalt entgegensetzen, dass man damit unter normalen Umständen schon eine mittlere Kleinstadt entvölkern könnte - sie stehen einfach mit leicht brummendem Schädel wieder auf.

Diese Widerstandsfähigkeit wird durch eindrucksvolle Szenen veranschaulicht. So schlägt Bösewicht Raouh einmal im Vorbeigehen verdrießlich mit der Faust gegen ein Hochhaus, das selbstverständlich prompt auf ihn niederstürzt. Der grimmige Hüne schreitet jedoch ungerührt durch die niedergehenden Stahlbetonmassen, als wäre der kollabierende Wolkenkratzer nur ein Haufen vom Wind aufgewirbeltes welkes Laub.

Ken, zwar ebenfalls ein gewaltiger Kämpfer der allerhöchsten Einweihungsstufen, ist anders gestrickt als der restliche verstrahlte Haufen. Nachdem er morgens nach dem Aufstehen erst einmal sein Bett in die Luft sprengt, gerät er während eines Spaziergangs durch die freud- und, schlimmer noch, pflanzenlose Ödnis an das bedrängte Heidi-Lookalike Rin, das mit dem befreundeten Teenage-Taugenichts Bat (Peter?) das weltweit letzte Säckchen Reissamen hütet und gerade zum Opfer einer Bande primitiver Punkmutanten zu werden droht.

Selbstverständlich knöpft sich Ken die grölenden Idioten vor, und zum ersten Mal zeigt sich die Macht seiner ganz speziellen, auf Akupressur basierenden Kampftechnik. Er reizt die Meridianpunkte am Körper des Gegners in schneller Folge, um dem verdutzten Randalierer anschließend in aller Ruhe mitzuteilen, dass er nun bereits tot wäre. Nun kommt es zur unvermeidlichen, geradezu klassischen "Fist"-Sequenz: Der Kopf des jammernden Bösewichts beginnt sich zu verformen wie Knetmasse, bis er nach einigen schrecklichen Sekunden zerplatzt.

Obwohl Ken schweigsam ist wie Django an einem besonders schlechten Tag, wird er doch zu Rins Sozialkontakt Nummer eins. Sie spürt Einsamkeit, aber auch große Güte in seinem tiefsten Inneren, während er erkennt, dass das kleine Mädchen mit den Reissamen vielleicht die einzige Chance ist, auf dem atomaren Schrotthaufen Erde eine neue Ära von Ackerbau und sonstiger Kultur zu begründen. Er nimmt seine Rolle als Fist Of The North Star an und setzt alles daran, Rin bei der Rekulturierung zu unterstützen. Es versteht sich von selbst, dass der Weg zum Erfolg mit unzähligen geplatzten Leichen von diversen Erzschurken und ihren Rowdyhorden gepflastert ist.

So etwas hatte die Welt noch nicht gesehen, selbst berühmte bis berüchtigte westliche Zeichentrick-Klassiker für Erwachsene wie Heavy Metal oder Ralph Bakshis Fire And Ice wirken im direkten Vergleich in Sachen Gewaltdarstellung regelrecht friedlich und idyllisch, können aber andererseits auch nicht mit einer derart epischen Geschichte aufwarten.

Der abendfüllende Trickfilm beruhte auf einer im wöchentlich erscheinenden Magazin Shonen Jump veröffentlichten Comicserie und auf einer 152-teiligen TV-Serie, die bereits 1984 vom selben Team realisiert wurde, das 1986 den in den Staaten und in Europa erschienenen Kino-Trickfilm als eine Art Best-Of mit alternativer Storyline inszeniert hatte.

Die Serie könnte man auf den ersten Blick problemlos mit dem Kinofilm verwechseln, setzt aber einen anderen Schwerpunkt. Die lange Laufzeit ermöglichte die stärkere Betonung der Geschichte, was zwar nicht zu einer weniger rauen Gangart führte, aber zumindest die Frequenz rabiater Gewaltanwendung reduzierte. Deswegen gilt die Serie bis heute vielen als die adäquateste Umsetzung der Mangas von Tetsuo Hara und Buronson.

Nachdem Ken schon seit Mitte der 1980er sein Unwesen auf diversen Spielekonsolen trieb, wurde unlängst ein neuer Titel namens Fist Of The North Star - Ken's Rage veröffentlicht, der von THQ auch in Deutschland in unzensierter, ab 18 Jahren freigegebener Fassung vertrieben wird.

Wie zu erwarten war, kommt Ken's Rage als geradezu traditionelles Hack'n'Slay-Abenteuer daher. Das macht (nach einer vielleicht etwas eintönigen Auftakt-Phase) Sinn, da das genretypische Erlernen neuer Moves im Zusammenhang mit der FotNS-Franchise den Spielspaß im Verlauf der Kampagne enorm erhöht, schließlich sind es Kens spektakuläre Kampftechniken, die man hier virtuell erlernt, sodass man bald in der Lage ist, den divisionsweise herbeiströmenden Gegnerscharen gekonnt die hässlichen Rüben zu verbeulen.

Auffällig ist auch die gigantische Spieldauer des Titels, die von den Koei-Programmierern mit einer Verästelung der Hauptkampagne in drei parallel agierende Heldencharaktere erzeugt wurde. Zusätzlich steht ein Modus zur Verfügung, die es dem Spieler ermöglicht, das Geschehen aus der Sicht einiger prominenter Unholde. Das macht einigen Sinn, da jede Figur einen ganz eigenen Kampfstil pflegt. Für offene Münder sorgt dabei vor allem Erzschurke Jagi, der die Angewohnheit pflegt, seinen Kontrahenten aus einem Meter Entfernung mit der Panzerfaust ins Gesicht zu schießen.

Die Grafik ist technisch betrachtet akzeptabel, die künstlerische Gestaltung dagegen wirklich gelungen und bildet sowohl Ambiente wie Spielfiguren im Sinne der zugrunde liegenden Mangas und Animes ab. Viel wichtiger ist jedoch die Übernahme bestimmter typischer Merkmale der Animes wie das bei besonders gelungenen Aktionen kurz einfrierende und mit der Benennung des jeweiligen Kampfstils versehene Bild. Auch das Engagement des originalen Ken-Sprechers trägt dazu bei, ein authentisches Spielgefühl zu vermitteln.

Für den konsolenbesitzenden Fist-Fan ist Ken's Rage also eine hervorragende Bereicherung seiner Sammlung, der von westlichen Titeln geprägte Hack'n'Slay-Fan könnte während einer ausgiebigen Proberunde ebenfalls Gefallen an dem vergleichsweise bizarren Treiben finden. In Japan, wo man die Fist-Saga seit den 1980ern unentwegt mit neuen Anime-Serien und Langfilmen fortsetzt (ohne allerdings die unerreichte Klasse der Originale zu erreichen), wurden schon vor der Veröffentlichung eine Million Exemplare des Titels vorbestellt.

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