Tote NSU-Zeugin: "Eingeschüchtert, aber nicht bedroht"
Staatsanwaltschaft Karlsruhe stellt Ermittlungen wegen mangelnden Tatverdachtes ein
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat das Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung und Nötigung einer NSU-Zeugin folgenlos eingestellt.
Die 20jährige Melisa M. hatte Anfang März 2015 vor dem Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg in nicht-öffentlicher Sitzung als Zeugin ausgesagt. In diesem Zusammenhang erhielt sie eine SMS-Nachricht, in der ihr "Konsequenzen" für den Fall angedroht wurden, dass sie sich "nicht an die Wahrheit" halte. Bekannt wurde diese SMS-Einschüchterung erst zwei Jahre danach - durch die Aussage eines Nachbarn in der ARD-Dokumentation über den Tod der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter ("Tod einer Polizistin"). Das Brisante: Melisa M. war Ende März 2015, vier Wochen nach ihrem Auftritt vor dem NSU-Ausschuss in Stuttgart, ums Leben gekommen (Neue Ermittlungen zu toter NSU-Zeugin).
Ihr Tod gehört zu einer ganzen Reihe unnatürlicher Todesfälle von NSU-Zeugen. So war Melisa M. einst Freundin von Florian H., einem Neonazi-Aussteiger, der 21jährig im September 2013 in Stuttgart in seinem Auto verbrannte - am Tag, als er vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg zum Thema NSU und Heilbronn-Mord befragt werden sollte. Florian wollte gewusst haben, wer den Anschlag auf die beiden Polizeibeamten Kiesewetter und Martin A. in Heilbronn verübt hatte. Böhnhardt und Mundlos sollen es aber nicht gewesen sein. Der Tod von Florian H. ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt.
Dem Ausschuss hatte Melisa M. berichtet, Florian habe große Angst gehabt, weil er sich aus der rechten Szene bedroht sah. Vier Wochen später starb Melisa M. selber. Todesursache war eine Lungenembolie. Woher das Blutgerinnsel kam, das die Embolie ausgelöst hatte, konnte die Rechtsmedizin allerdings nicht mit Bestimmtheit sagen.
Vollends ominös wurde die Geschichte, als nicht einmal ein Jahr später, im Februar 2016, auch Melisas neuer Freund Sascha W. ums Leben kam, 31 Jahre alt. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe soll Sascha W. Suizid begangen haben. Ein eindeutiges Motiv konnte aber nicht gefunden werden. Der junge Mann lebte wieder in einer neuen Beziehung und seine Freundin erwartete ein Kind. Sascha W. hatte Melisa M. im März 2015 zur Zeugenvernehmung in den NSU-Ausschuss begleitet.
In der im April 2017 ausgestrahlten TV-Dokumentation "Tod einer Polizistin" erwähnt der Nachbar von Melisa und Sascha SMS-Bedrohungen Melisas. Daraufhin informierte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, die im September 2017 ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Bedrohung und Nötigung zum Nachteil der Zeugin Melisa M. eröffnete.
Es sei gelungen, erklärte ein Sprecher der Behörde gegenüber Telepolis, die vermeintliche Nachricht zu finden und zuzuordnen. Sie sei schon aus dem Todesermittlungsverfahren zum Fall Melisa M. bekannt gewesen. Melisa M. seien nicht näher benannte Konsequenzen für den Fall angedroht worden, dass sie sich bei ihrem Auftritt im Untersuchungsausschuss nicht an die Wahrheit halte.
Die Behörde kommt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine "Einschüchterung" handelte, aber nicht um eine Bedrohung oder Nötigung. Bei beidem müsse der mutmaßliche Täter tatsächlich die Möglichkeit haben, seine Drohung zu verwirklichen. Das habe man aus der SMS nicht entnehmen können, so der Staatsanwalt.
Auf Nachfrage erklärte er, der SMS-Schreiber sei im Rahmen der Ermittlungen identifiziert worden, man habe ihn aber nicht vernommen. Die Person sei unbekannten Aufenthaltes und insofern nicht greifbar. Außerdem bestehe ja kein tatsächlicher Tatverdacht.