Toywar II

Netzkünstler etoy verklagen nun das Online-Handelshaus eToys

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Gerne erinnern wir uns an den mittlerweile legendären Toywar von 1999/2000. Damals, als der ECommerce-Goliath eToys die Künstlergruppe etoy verklagt hatte, um in den Besitz von deren Domain zu kommen, da - laut eToys dem Online-Spielzeughändler - die Namensähnlichkeit nur allzuleicht zu Verwechslungen und die Inhalte der Künstlerwebsite zu Verunsicherungen seitens unabsichtlich dort landender Teenager-Kunden führen könnte. Es brauchte nicht viel zu erkennen, dass es sich um eine unfaire Attacke handelte, eine Form von virtuellem Landraub, welche durch Verschiebungen in den rechtlichen Rahmenverhältnissen begünstigt wurden, die den Inhabern von Markennamen Vorteile in Domainnamensstreitigkeiten brachten, wie es 1996 von der WIPO ausgehandelt und später in das vereinheitlichte Streitlösungsverfahren der ICANN eingearbeitet worden war. Inhaber internationaler Markenrechte konnten sich damit Domainnamen besorgen, die von jemand anderem früher registriert worden waren. Der ECommerce-Hype lief auf vollen Touren und Unternehmen mit internationalen Markennamen nutzten die WIPO- und ICANN-Regeln um sogenannte Cybersquatter aus dem virtuellen Feld zu boxen. Doch etoy waren keine Cybersquatter. Den Namen etoy hatten sie seit 1994 guten Glaubens benutzt und die Domain etoy.com 1995 eingetragen. Die Attacke von eToys würde jahrelange Aufbauarbeit der Künstler zerstören, sie um ihren Domainnamen und somit ihre Existenz bringen. Um Kunst gegen Kommerz ging es also, eine alternative Netzkulturszene in Europa gegen den amerikanischen ECommerce-Juggernaut.

Breite Unterstützung beim Publikum und in den Medien fand sich schnell in der causa etoy vs eToys. Dieses Medium war stolz, zu den ersten zu zählen, die über den Fall berichteten und mit der Berichterstattung, den roten Faden nicht mehr aus der Hand gebend, bis zum Ende fortfuhren. Groß war die Freude, als der konzertierte Einsatz von Tausenden sogenannter "Toysoldiers" - Sympathisanten von etoy, die sich an Netzaktionen gegen eToys beteiligten - und beinahe zahlloser Artikel in EZines aber auch arrivierten Printpublikationen schließlich dazu führten, dass eToys die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen einsahen, die Klage zurückzogen und auch die Anwalts- und Verfahrenskosten beglichen. Das Gute hatte im Netz gesiegt, und nicht nur das, der Weg zum Ziel hatte über den Einsatz netzspezifischer Protest- und Aktionsformen geführt.

Dann war es erstmal sehr lange ruhig in der Angelegenheit, bis schließlich Ende letzter Woche die Nachricht einging, dass die Künstler von etoy nun ihrerseits eine Klage gegen eToys angestrengt hatten. Wer zuvor die E-Business-Presse verfolgt hatte, wusste, dass die Internetaktien-Blase geplatzt war und dass darüberhinaus im speziellen Fall das Unternehmen eToys einen verzweifelten Überlebenskampf gegen ältere und größere Rivalen im Spielzeughandel, namentlich Toys R Us führten. Das Wachstum der Umsätze stand in keiner Proportion zu gigantischen Werbeausgaben, von Gewinnen keine Rede. Bereits im November 2000 meldeten einschlägige Wirtschaftsmedien, dass eToys nach einem Käufer suchten. Im Dezember sahen sich eToys gezwungen, eine alarmierende Meldung über weit unter den Erwartungen liegende Verkaufszahlen im alles entscheidenden Weihnachtsgeschäft herauszugeben. Der Aktienpreis, der ohnehin bereits im Keller war, fiel nochmals dramatisch ab. Als sich die Negativprognosen über das Weihnachtsgeschäft bewahrheiteten, wurde die britische Filiale, die den Grundstein für die Eroberung Europas hätte liefern sollen, geschlossen und es drang durch, dass das Cash für das US-Unternehmen gerade noch bis März 2001 reichen würde.

Die Künstlergruppe etoy hatte sich inzwischen erfolgreich bemüht, einen Schwachpunkt auszumerzen, der sie im Jahr zuvor beinahe die Existenz gekostet hätte. Zwar waren sie, wie erwähnt, seit 1995 Inhaber der Domain etoy.com und agierten durchaus weltweit sichtbar unter dem Namen etoy, doch genossen sie dazu keinen in den USA gültigen Markenschutz. Im Dezember 2000 wurde dieser Anfangsfehler behoben und etoy hatte eine Marke nach amerikanischem Recht. Im Besitz der Domain und der Marke etoy bliesen sie zum Gegenangriff. Ihr Anwalt Chris Truax brachte vor einem Gericht in Süd-Kalifornien eine Klage ein. In dem Schreiben wird nun umgekehrt argumentiert, dass die Namensähnlichkeit nur allzuleicht zu Verwechslungen führen kann und etoy-User womöglich unabsichtlich auf der Site der Spielzeughändler landen würden. etoy fordern die Aberkannung der eToys-Handelsmarke und dass eToys davon Abstand nimmt, ihre Marke in einer Form zu benutzen, die mit etoy verwechselt werden könnte. Darüberhinaus sollen alle Domainnamen, welche die Marke etoy beinhalten - wobei sie unter anderem "etoys.com" und "etoy.net" konkret erwähnen, aber ihre Forderung nicht auf diese Domains beschränken - an etoy übertragen werden. Mit anderen Worten, würde ihrem Antrag recht gegeben, wäre das der Gnadenstoß für das ohnehin bereits am Boden liegende Unternehmen eToys. In einer zweiten, zugleich eingebrachten Beschwerde, wird die Rechtmäßigkeit der Erlangung der Marke eToys in Frage gestellt.

Nach der Publicity, die der Fall im Vorjahr genossen hatte, war die Geschichte natürlich sofort wieder gefundenes Fressen für die Medien. In einem Reuters-Artikel wird etoy-Anwalt Chris Truax zitiert. Er sagt, es handle sich nicht um einen Fall von Revanche, sondern schlicht um Selbstverteidigung. eToys würden trotz seinerzeitigem Waffenstillstand nicht aufhören, Rechte geltend zu machen, die den Rechtsraum und Handlungsspielraum von etoy einengen. Deshalb würden nun etoy für alle sichtbar ihre Claims abstecken, sagte Truax gegenüber Reuters.

Es geht nun nicht darum, dass sich die Sympathieverhältnisse plötzlich umkehren würden. Niemand wird viel Mitleid mit eToys aufbringen, die es allem Anschein nach in jeder Hinsicht verbockt haben. Ihre Geschäftsidee war nicht geeignet, langfristig gegen ein "altes" Unternehmen wie Toys R Us aufzukommen, vor allem dann nicht mehr, als diese begannen, aggressiv selbst ins Internet zu gehen. Bei der Wahl ihres Namens und der Registrierung als Marke haben sie offenbar auch nicht allzuviel Sorgfalt aufgebracht. Der Verdacht ist zumindest naheliegend, dass, wie auch in der Klage von etoy-Anwalt Truax aufgeführt, die Betreiber hinter eToys frühzeitig wussten, dass etoy existiert und eine 1995 eingetragene Domain namens etoy.com benutzt. Dazu genügen ein paar Abfragen des Whois-Verzeichnisses bei Network Solutions, um zu sehen, ob identische oder ähnliche Buchstabenkombinationen wie eToys bereits als Domainnamen benutzt werden. Derartige Kenntnisse sind bei einem kalifornischen Internet-Startup wohl vorauszusetzen und man kann darüber spekulieren, dass die Gründer von eToys die Namensähnlichkeit bewusst in Kauf genommen haben, in der Hoffnung, das Künstlerkollektiv mit Marktmuskel, Dollar- und Anwaltsmacht aus dem Rennen zu werfen. Ob sie nun einfach blauäugig waren, schlecht beraten oder absichtlich das Risiko mit der Namensähnlichkeit eingegangen sind, wird ohenhin bald keine Rolle mehr spielen. Friede sei mit ihnen, wenn sie dann demnächst die Pforten schließen.

Dass etoy nun eToys klagen, ist im Prinzip konsequent und richtig. Das Problem dabei liegt vielmehr auf einer künstlerischen und konzeptuellen Ebene. etoy laufen Gefahr, das kulturelle Kapital zu verspielen, das sie mit dem Toywar I aufgebaut haben. Ihre Pressemeldungen jüngeren Datums strotzen von kaum verhaltenem Triumphgeheul. Ihre Veröffentlichungen vermitteln die Erwartungshaltung, praktisch auf Knopfdruck wieder eine Armee von solidarisch beseelten Toysoldiers aktivieren zu können. Daneben scheinen sie die Hoffnung zu hegen, einen lästigen Insiderzwist unter ehemaligen Mitstreitern der Bewegung auch gleich noch mit einem Schlag zu ihren Gunsten entscheiden zu können. Bei all dem werden sie ihren Kontrahenten von eToys immer ähnlicher und setzen das einzige Kapital, das sie haben, nämlich ihre Glaubwürdigkeit als Kulturproduzenten, aufs Spiel.

Wühlt man ein wenig in der Geschichte der "Künstlergruppe" oder des "Kollektivs" etoy, so gewinnt man schnell den Eindruck, dass etoy 1999 nichts besseres passieren konnte, als der Ausbruch des Toywars, denn etoy als Künstlergruppe war zu dem Zeitpunkt bereits mehr scheintot als lebendig und mit dem Toywar standen sie plötzlich wieder im Zentrum der Arena. Die einzige künstlerische Arbeit, die zumindest in bits und bytes ein wenig Gewicht hat, die etoy je hervorbrachten, ist der etoy-Tank und dieser existierte bereits 1995. Darauf folgte noch der Internet-Hijack, die "Entführung" von Usern zu ihrer Website, die bestimmte Suchbegriffe in Search Engines eingaben, die ihnen zum ersten Wired-Artikel verhalfen und zum Gewinn eines Ars-Electronica-Preises. Danach fiel ihnen nicht viel mehr ein, als sich als Künstlergruppe wie eine Firma zu präsentieren, die Aktien ausgibt. Doch diese Strategie von Künstlergruppe=Firma und kulturelles Kapital=Aktienkapital ist definitiv in der Kunstwelt eine achtziger Jahre Idee, die von Medien-Kids wie etoy in den ersten Webjahren wieder aufgewärmt wurde. Bei einem entsprechend dünnem Konzept war auch die soziale Kohäsion der Netzkunst-Boysband, die einst in orangen Bomberjacken und mit rasierten Glatzen herumliefen, nicht gerade stark. Kurz nach den schnellen ersten Erfolgen begann die Gruppe auseinanderzufallen, was dazu führte, dass es 1998/99 nur mehr einen letzten etoy unter dem Firmenbanner gab.

Dieser führt nun das Spiel fort, das etoy immer schon ausgezeichnet hat, einen Balanceakt zwischen kultureller Identität und "dreckigen" kapitalistischen Praktiken. Die Entität (man weiß gar nicht, wie man das noch nennen soll), die sich einst als Kollektiv und Künstlergruppe bezeichnet hat, versendet Pressemeldungen, in denen ein Mitbegründer als "ehemaliger Mitarbeiter" bezeichnet wird, der "1998 gefeuert" wurde und setzt dessen Aktivitäten mit denen eines "ums Überleben kämpfenden ECommerce-Unternehmens" gleich. Ein interner Streit wird an die Öffentlichkeit getragen und wieder fliegen die Anwaltsschreiben. Da muss der Verdacht aufkommen, dass etoy womöglich selbst ein ums Überleben kämpfendes ECommerce-Unternehmen ist, das mit solchen Aktionen verzweifelt versucht, den Marktwert der etoy.SHARES anzuheben. Doch der Wert der etoy.SHARES wird nicht an den Börsen definiert, sondern zielt auf einen noch wesentlich heikleren und spekulativeren Markt im Zentrum des kapitalistischen Gewebes ab - den Kunstmarkt.

Dabei werden sie solche Vorwürfe wahrscheinlich gar nicht sonderlich stören, denn die Kontroverse war immer schon Teil des "Spiels" und dazu gehörte auch von weiten Teilen des Publikums als "böse Kapitalisten" verdächtigt zu werden. Der Unterschied ist, dass dieses "Spiel" 1996 noch relativ frisch wirkte, der Internet-Hype gerade abzuheben begann und die etoy-Jungs als Boysband mit ihrer Corporate Identity auch Charme zu versprühen wussten. Nun beginnt das Konzept langsam ebenso alt auszusehen wie die "New Economy". Noch ein Toywar und bald könnte es heißen "es ist Krieg aber niemand geht hin". Und vielleicht ist das Schicksal von etoy viel enger mit dem unglücklichen E-Handelsunternehmen eToys verknüpft, als ihnen lieb ist. Mit der Entzauberung der "New Economy" könnten etoy, wenn ihnen kein neuer Dreh einfällt, konzeptuell bald so überflüssig sein wie eToys, denen sie gerade den Todesstoß zu versetzen glauben.