Zäune im Cyberspace

Die neuesten Entwicklungen in der Schlacht um Domainnamen

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Oh give me land, lots of land under starry skies above,
Don't fence me in.
Let me ride through wide open country that I love,
Don't fence me in.
Let me be by myself in the evenin' breeze,
And listen to the murmur of the cottonwood trees,
Send me off forever but I ask you please,
Don't fence me in.
(Cole Porter, 1944)

Eine melancholische Sehnsucht für die längst verlorenen, offenen Weiten des Grenzlandes könnte im Cyberspace bald zum dominanten Gefühl werden, zumindest in den Ecken, wo Gefühle noch nicht völlig durch den IPO-Wahnsinn abgestumpft sind. Überall werden Zäune errichtet, die, was einst als unbegrenzter Raum erschien, in ein überfülltes und streng kontrolliertes Einkaufszentrum verwandeln. Die Topologie dieser Ansprüche ist noch im Entstehen begriffen, aber die Anwälte beeilen sich, Zäune aufzustellen. Ein kürzlich erfolgter Prozess und Internet Gesetzgebungen, die bald in Kraft treten sollen, beleuchten diesen Trend auf einem der Schlachtfelder: Domainnamen.

Am Montag, den 8. November 1999, wurde in einem kalifornischen Bezirksgericht der Prozess von eToys.com gegen etoy.com eröffnet. Das Ergebnis dieser Schlacht wird ein Indikator für die Ausgewogenheit der Machtverhältnisse zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Online-Interessen sein. In einer Ecke des Rings steht eToys.com, ein neuerer Online-Einzelhändler (Registrierung des Domainnamens am 3. November 1997), in der anderen Ecke steht das bahnbrechende, in der Schweiz angesiedelte, Bad Boy-Künstlerkollektiv etoy.com (Registrierung des Domainnamens am 13. Oktober 1995). Trotz, oder vielleicht gerade wegen ihres derzeit bevorzugten Slogans - die Realität hinter sich lassen -, könnten sie bald von einer unangenehmen Realität eingeholt werden.

eToys.com ist ein typisches Start-Up Netzunternehmen: in Kalifornien beheimatet, an die 500 Angestellte, schwache Verkäufe (30 Millionen im letzten Finanzjahr), ein IPO letzten Mai und seither extrem schwankende Aktienkurse. Für eToys.com und viele andere kämpfende Start-Ups hat die grosse Rationalisierung gerade erst begonnen, ihr Schicksal wird sich in den nächsten zwei Jahren entscheiden. Die Schaffung einer optimalen Geschäftsumgebung ist entscheidend, und Künstler mit verwirrenden Websites sind das Letzte, was ein familienfreundlicher Einzelhändler brauchen kann. Ganz besonders, wenn sich diese Künstler als die "erste Strassengang auf der Informationsautobahn" ausgeben (ein früher etoy Slogan). eToys.com möchte sie loswerden, oder sie zumindest in eine abgelegene Ecke des Netzes, also zu einem Domainnamen abschieben, der mit ihrem absolut nichts zu tun hat.

Man könnte annehmen, dass der Fall völlig klar liegt, und dass die Klage von eToys.com keine Chance hat. Das Künstlerkollektiv hat seinen Domainnamen mehr als zwei Jahre vor dem amerikanischen Einzelhändler registrieren lassen. Seit damals hat das Kollektiv - das ironischerweise eine verbissene Firma spielt, während der Einzelhändler versucht, "unterhaltend" zu erscheinen - den Domainnamen eifrig in einem Bereich benutzt, der absolut nichts mit dem Spielzeughandel zu tun hat.

"Cybersquatting"/ "Cyberbesetzungen" - das Registrieren eines Domainnamens mit der Absicht, ihn zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen - ist ganz klar eine Anklage, die gegen etoy.com nicht erhoben werden kann.

Nichtsdestotrotz beansprucht der Einzelhändler die Rechte auf den Domainnamen und lockt mit einem attraktiven Angebot, um es zu bekommen. Erst bot er für die Übertragung des Domainnamens $100.000, dann sogar mer. Nachdem diese Angebote von Etoy abgelehnt wurden, brachte das Unternehmen einen Klage wegen Verletzung eines Warenzeichens ein. Die trotzige Reaktion der Künstler auf diese Drohung:

"Sie lassen uns bluten, bis wir tot sind. Aber in etoy fliesst kein Blut, wir werden nicht bluten."

Aber sie und andere unabhängige Gruppen haben immer weniger Chancen, während auf Warenzeichen spezialisierte Anwälte die Gesetze umschreiben, die die Infrastruktur des Internet regeln. Vergraben in dem ansonsten unauffälligen "Satellite Viewers Act" hat der US Senat Anfang dieses Monats auch Verordnungen gegen das "Cybersquatting" genehmigt. Der Gesetzesentwurf geht jetzt durch das House und es wird erwartet, dass er auch dort bestätigt wird. Gemäss diesem Gesetz, das von der Motion Picture Association of America (MPPA) unterstützt wurde, können die Inhaber eingetragener Warenzeichen angebliche "Cybersquatter" in dem Land, in dem der Domainname registriert wurde, vor Gericht bringen. Das bedeutet, dass alle Streitfälle um .com, .org, .net in den Vereinigten Staaten verhandelt werden können. Darüber hinaus können die Inhaber der Warenzeichen diejenigen Personen, die den Namen in der Absicht registriert haben, ihn weiterzuverkaufen, das Warenzeichen zu verletzen oder Konsumenten in Hinblick auf die Tatsache zu verwirren, wer die Website betreibt, auf bis zu $100.000 Schadenersatz klagen. Die Aussicht $100.000 an Schadensersatzzahlungen leisten zu müssen, macht schon die Androhung einer Klage sehr schlagkräftig, und es ist wahrscheinlich, dass die Inhaber kleiner Domainnamen zur Aufgabe gezwungen werden, bevor der Prozess überhaupt begonnen hat.

Das Erstaunliche an diesem Gesetz, neben der Tatsache, dass es Teil eines umfassenden Gesetzesentwurfs zum Satellitenfernsehen ist, liegt in der Definition von "Cybersquatting" als unter anderem "einer Verwirrung der Konsumenten in Hinblick auf die Betreiber der Website." Diese wie man annehmen muss bewusst vage Definition richtet sich gegen Parodie, wie zum Beispiel die unglaublich komische gwbush.com Site von rTmark. Es könnte allerdings auch im Kampf gegen die sogenannte "Verwässerung von Warenzeichen", die Schwächung einer Markenidentität durch verwirrende Botschaften, eingesetzt werden. Gerade die Vieldeutigkeit dieser Begriffe begünstigt ganz klar die Inhaber grosser Warenzeichen und deren hochqualifizierte Rechtsabteilungen.

Eine ähnliche Initiative wird von ICANN vorangetrieben, der von der US-Regierung eingesetzten internationalen Organisation, die unter anderem auch Streitfälle um Domainnamen regeln soll. Am 26. August 1999 übernahm ICANN als eine ihrer ersten Taktiken die "Uniform Dispute Resolution Policy". Diese Politik spiegelt eindeutig die Interessen und Anliegen der Inhaber grosser Warenzeichen wieder, die der Landschaft der Domainnamen gerne ihre Grenzen aufzwingen wollen. Folgende Streitfälle sollen durch diese Verordnung geregelt werden:

"(i) ihr Domainname ist identisch mit oder einem Waren- oder Servicezeichen verwirrend ähnlich, auf das der Kläger Anspruch hat; und (ii) sie haben keine Rechte oder legitimen Interessen in Bezug auf den Domainnamen; und (iii) ihr Domainname wurde arglistig registriert und benutzt."

Die Sprache zeigt ganz deutlich die Interessen der Autoren dieser Verfahrensweise, nämlich die der zu spät gekommenen, die sich ihren Weg hinein erzwingen wollen. Genauso verhält es sich im Fall eToys.com gegen etoy.com. Wie dem auch sei, beide Verfügungen sind noch nicht in Kraft, und es ist alles andere als klar wie die Gerichte die Rechte der Warenzeicheninhaber gegen die, wie man hoffen kann, grundlegenderen Rechte der Rede- und Ausdrucksfreiheit abwägen werden. Wenn etoy.com diesen Prozess verliert, könnte das ein ernüchternder Präzedenzfall für eine ganze Reihe ähnlicher Klagen werden. Aber noch ist der Fall längst nicht verloren und etoy.com bereitet sich auf die nächste, sehr öffentliche Runde im Spielzeugkrieg vor.

Anm.: Seitdem die englische Originalfassung dieses Artikels erschien, wurde bekannt, dass die Anwälte der Spielzeugfirma Etoys den Fall an das Gericht zurückgegeben haben. Das bedeutet, dass es für die Künstlergruppe Etoy noch teurer wird, sich zu verteidigen. Zugleich wurde das ursprüngliche Angebot von 100.000 auf 160.000 Dollar erhöht. In einer Pressemeldung verlautbarten die Künstler, dass ihr Domainname keinen Preis habe und unveräußerlich sei, nicht zuletzt da die gesamte künstlerische Arbeit seit 1995 auf der Verwendung des Domainnamens aufbaut.