Traue niemandem!
Geheimwissen - Verschwörungstheorien - Neomythen
Das Misstrauen beginnt am Eingang. Doppelte Glastür, Kamera, Pförtner. Einlass nur nach Gesichtskontrolle. Garderobe ganz hinten links. Keine Wertgegenstände in den Jackentaschen lassen. Die Sicherheitsmaßnahmen passen zum Thema der Tagung: 'Traue niemandem!'. Mit Ausrufezeichen.
Untertitel der dreitägigen Veranstaltung: 'Geheimwissen - Verschwörungstheorien - Neomythen'. Auf dem Programm stehen Vorträge zur so genannten Generation Mystery, zu den wahren Hintergründen des 11. September 2001, zu Verschwörungstheorien im Allgemeinen, zu Nostradamus und Neomythen. Eine wilde Mischung, deren Notwendigkeit sich bis zum Ende der Tagung nicht wirklich erschließt. Abgesehen davon, dass die genannten Themen alle irgendwas mit Wissen, Wissen-Wollen, Nicht-Wissen, Nicht-Wissen-Wollen und (vermeintlichem) Geheimwissen zu tun haben. Verantwortlich für die Auswahl ist der Veranstalter, und das ist in diesem Fall die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). Ein Organ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit der Lizenz zur Erforschung des ganz normalen Wahnsinns.
Generation Mystery
Die EZW ist laut Selbstauskunft nichts weniger als "die zentrale wissenschaftliche Studien-, Dokumentations-, Auskunfts- und Beratungsstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die religiösen und weltanschaulichen Strömungen der Gegenwart. Sie hat den Auftrag, diese Zeitströmungen zu beobachten und zu beurteilen." Außerdem will die EZW "zur christlichen Orientierung im religiösen und weltanschaulichen Pluralismus beitragen, einen sachgemäßen Dialog mit Anders- und Nichtglaubenden fördern, über Entwicklungen und Tendenzen der religiösen Landschaft in Deutschland informieren." Um den vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden, gliedert sich die EZW in fünf Referate. Initiatoren und Veranstalter der Tagung zu Verschwörungstheorien & Co. sind Andreas Fincke vom Referat 'Christliche Sondergemeinschaften' und Matthias Pöhlmann vom Referat 'Esoterik, Okkultismus, Spiritismus'. Die rund 30 Teilnehmer kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und sind mehrheitlich evangelisch. Von Beruf sind sie Beauftragte für Weltanschauungsfragen, Mitarbeiter aus Sektenberatungsstellen, Psychologen, Pädagogen, Theologen, Pfarrer, Kriminalbeamte. Teilweise kennt man sich von früheren Veranstaltungen.
Allein die Rahmenbedingungen machen klar, dass dies eine recht spezielle Tagung ist. Eine Art Insider-Treffen, das Einblick gewährt in die Mechanik der Aufklärung. Schließlich sind die Teilnehmer nicht irgendwer, sondern Multiplikatoren innerhalb ihrer jeweiligen Institution. Zusammenfassend die wesentlichen Thesen zu den drei Oberbegriffen 'Geheimwissen - Verschwörungstheorien - Neomythen':
Was von selbsternannten Eingeweihten als Geheimwissen angepriesen und verkauft wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Ansammlung kruder Behauptungen; Verschwörungstheorien bieten einfache Erklärungen für komplexe Ereignisse, wobei die jeweilige Verschwörungstheorie selbst durchaus komplex sein kann; im Zuge der allgemeinen Abkehr vom Glauben nehmen Neomythen die Rolle traditioneller Mythen ein.
Verschwörungsmythen
Der Fokus der Vorträge lag auf einer Beschreibung des jeweiligen Phänomens einerseits und der ideologischen Einordnung der relevanten Merkmale andererseits. Beispielsweise wurde eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien benannt und mehr oder weniger ausführlich dargestellt - um dann der Frage nachzugehen, welches Weltbild damit transportiert wird. Was an einzelnen Verschwörungstheorien dran sein könnte, war nebensächlich. Gefragt waren Erklärungsmuster. Was dazu führte, dass Verschwörungstheorien jeglicher Couleur in einem ersten Schritt mehr oder weniger gleichgesetzt und in einem zweiten Schritt quasi wegrationalisiert wurden. Wobei Mit-Veranstalter und Referent Matthias Pöhlmann lieber von Verschwörungsmythen als von Verschwörungstheorien spricht. Weil sie seiner Ansicht nach eher den Charakter eines Mythos als einer Theorie haben.
Referent Lutz Lemhöfer sieht das ähnlich und definiert Verschwörungsmythen als "Fiktionen, von deren Realität einzelne Gruppen überzeugt sind." Dass es sich bei den Anhängern um eine Gruppe handelt, sei entscheidend - andernfalls könne ein Verschwörungsmythos keine gesellschaftliche Relevanz erlangen. Typisch sei ein vereinfachtes Weltbild, das keinen Zufall zulässt. Stalin zum Beispiel war überzeugt davon, dass nicht Pannen, sondern Sabotage schuld waren am wirtschaftlichen Misserfolg. Im Grunde seien Verschwörungsmythen nichts anderes als eine säkularisierte Form des Teufelsglaubes. Das Böse hat seinen Sitz nicht mehr in der Hölle, vielmehr lauern die Bösen überall und sind allmächtig. Kennt man jedoch ihren Namen, kann man sie in exorzistischer Manier vertreiben. Wobei die an sich sinnvolle Frage nach dem Nutznießer (cui bono?) zum 'analytischen Schlüssel aufgeblasen' wird, weil umgekehrt gilt: der Nutznießer muss der Anstifter sein. Sinn und Zweck von Verschwörungsmythen ist die Kontingenzbewältigung, mit anderen Worten: die Wirklichkeit wird entbanalisiert.
Die Frage nach dem Weltbild spielte auch bei Mathias Niendorfs historischem Überblick über Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle: je nachdem, ob man an Vorsehung glaubt oder nicht, passen Verschwörungstheorien ins eigene Weltbild. Glaubt man an Vorsehung, dann muss es so etwas wie einen Plan geben, der sich in historischen Ereignissen manifestiert. Aufgabe des Verschwörungstheoretikers ist die Aufdeckung dieses mehr oder weniger geheimen Plans. Schließt man Vorsehung aus und hält alles für zufällig, haben Verschwörungstheorien keine Chance. Weil historische Ereignisse das Ergebnis einer Kette von Zufällen ist. Übertragen auf dem 11. September 2001 ließe sich damit das beispiellose Versagen der US-amerikanischen Luftabwehr ohne weiteres erklären.
Dreistigkeit und ein Computer
In Sachen Geheimwissen rangiert Nostradamus bereits seit geraumer Zeit an erster Stelle, deshalb fahndeten esoterisch angehauchte Zeitgenossen nach dem 11. September 2001 nach passenden Vorhersagen des mittelalterlichen Pestarztes (vgl. Nostradamus war der meistgesuchte Mann des Jahres). Wobei die so genannten Prophezeiungen des Nostradamus weitaus weniger hergeben, als seine zahlreichen Exegeten glauben machen möchten. An einer ganzen Reihe von Beispielen führte Bernd Harder von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V. (GWUP) vor, dass sich aus den ominösen Versen des Sprachjongleurs Nostradamus so ziemlich alles herauslesen lässt. Alles was man braucht, ist eine gehörige Portion Selbstvertrauen.
Zur Not reichen auch Dreistigkeit und ein Computer, wie die 'Methode Dimde' beweist: Erst gebe man den ganzen Nostradamus ohne Punkt und Komma ein, streiche ein paar Buchstaben hier, ersetze ein paar Vokale da und verdrehe dann das Ganze mittels diverser Verfahren. Auf diese Weise konnte der Esoteriker Manfred Dimde eine ganze Reihe obskurer Botschaften produzieren und sich selbst ganz nebenbei erfolgreich vermarkten. Ganz ähnlich verfuhr Michael Drosnin mit der Bibel und zauberte prompt ein paar Promi-Namen nebst Todesbotschaften hervor. Freilich braucht es weder Bibel noch Nostradamus, um Texten rätselhafte Botschaften abzuringen: man kann auch - wie Harders GWUP-Kollege Wolfgang Hund - den Text von Rotkäppchen nehmen, alle Leer- und Satzzeichen entfernen und die Buchstaben nach Rätselheftmanier so anordnen, dass sie den Satz "Uri is in LA in march to meet US CIA men on old UFO" ergeben. Was das alles beweist? Dass man mit dem uns bekannten Alphabet jede Menge Text produzieren kann. Was vereinzelte Zeitgenossen nicht davon abhalten wird, an die prophetischen Fähigkeiten der Brüder Grimm zu glauben.