Trauerspiel: Wie in Deutschland ein Megaprojekt für Erneuerbare verhindert wird

Seite 2: Ahrtal als Erneuerbare-Energien-Modellregion

Bereits im August 2021 befürchtete der Runde Tisch Erneuerbare Energien (RT-EE), dass der energetische Wiederaufbau in traditioneller Art nur mit fossilen Energieträgern erfolgen wird, die genau solche Klimakatastrophen wie die Überschwemmungen in Deutschland weiter verstärken wird.

Daher diskutierte ein Team von Expert:innen – Vertreter:innen vieler Erneuerbaren-Energien-Vereinigungen mit Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen – die große Chance für einen energetischen Wiederaufbau im Ahrtal mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien (EE) und damit die Schaffung einer EE-Modellregion im Ahrtal. Das müsste doch auch ganz im Sinn der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer und diverser Minister:innen sein, die betonten, dass aus dem zerstörten Ahrtal eine Modellregion werden sollte. Jedenfalls dachten wir so.

Fünf Wissenschaftler:innen aus dem Umfeld der Scientists for Future erarbeiteten mit Unterstützung des RT-EE das Impulskonzept "Aus Ahrtal wird SolAHRtal". Das Konzept wurde im unmittelbaren Anschluss von mehr als zwanzig bundesweiten gemeinnützigen Umwelt-, Klima- und Erneuerbare-Energien-Organisationen sowie der Energieagentur RLP unterstützt.

Das Impulskonzept nutzte die Freie Wählergemeinschaft des Landkreises Ahrweiler als Hintergrundpapier für ihren Antrag zur Einrichtung einer Projektgruppe "Energiebewusstes Bauen und Nutzung regenerativer Energien im Ahrtal" vom 24. August 2021 für den Kreis- und Umweltausschuss (KUA). Mit nur einer Gegenstimme beschlossen alle Fraktionen in der Sitzung des Kreis- und Umweltausschusses am 13. September 2021 Folgendes:

Die Kreisverwaltung wird beauftragt, die Energieagentur Rheinland-Pfalz zu bitten, Kontakt zu den fachlich zuständigen Ministerien bei Bund und Land aufzunehmen. Ziel ist, das beschriebene Projekt schnellstmöglich umzusetzen. Neben der Finanzierung geht es auch um den Abbau rechtlicher Hemmnisse in Abstimmung mit den zuständigen Landes- und Bundesbehörden. Im weiteren Verlauf sollte die Energieagentur prüfen, ob und wie externe Institute oder Fachbüros in die Projektgruppe integriert werden können. Auf Basis dieser Ergebnisse werden die konkrete Projektorganisation sowie der genaue Projektauftrag dem KUA erneut zur Entscheidung vorgelegt.

SolAHRtal-Initiative: In wenigen Jahren auf 100 Prozent Erneuerbar

Auf der Basis dieses wohl deutschlandweit einzigartigen Beschlusses aller Fraktionen begann eine große Koordinierungsgruppe mit über vierzig Teilnehmer:innen, in projektähnlicher Arbeitsweise den kommunalpolitisch beschlossenen Projekt-Vorschlag "Nachhaltiger Wiederaufbau und Nutzung regenerativer Energien im Kreis Ahrweiler" zu erarbeiten. Im Laufe der mehrmonatigen ehrenamtlichen Erarbeitung des Vorschlags entstand die Bezeichnung "SolAHRtal-Initiative".

Die SolAHRtal-Initiative möchte mit ihrem Konzept "Nachhaltiger Wiederaufbau und Nutzung regenerativer Energien im Kreis Ahrweiler" modellhaft vormachen, wie eine integrierte kommunale Infrastrukturplanung funktionieren kann. Die Erneuerbaren Energien – insbesondere die Sonnen- und die Windenergie in Kombination mit Biomasse – sollen für eine erneuerbare Stromversorgung bedarfsdeckend ausgebaut, durch ein virtuelles Kraftwerk verknüpft und überwiegend lokal genutzt werden.

Es soll darüber hinaus unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten eine erneuerbare Wärmeversorgung sichergestellt werden: durch Wärmenetze oder durch Wärmepumpen, auf Basis einer fachlich fundierten kommunalen Wärmeplanung.

Zwischen den Bereichen Strom und Wärme und einer – im Rahmen einer Mobilität der Zukunft – zunehmenden Elektromobilität, müssen die Sektoren gemeinsam zukunftsfähig aufgestellt werden. Hier gibt es direkte technische Wechselwirkungen über das Stromnetz. Andererseits sind in diese Entwicklungen auch die Bürger:innen (Akzeptanz und Mitmach-Effekte) und die kommunalen Ebenen einbezogen (zum Beispiel in der Flächenplanung und der Vergabe von Konzessionen).

Diesen Prozess schnellstmöglich in einem Gesamtkonzept anzugehen und alle gesellschaftlichen Akteur:innen in kommunikativen und partizipativen Formaten einzubeziehen, ist Inhalt des Projekt-Vorschlags und gleichzeitig die Aufgabe aller Kommunen in Deutschland im aktuellen Jahrzehnt.

Allerdings gibt es für eine derart umfassende, inhaltlich und zeitlich anspruchsvolle Herangehensweise keine Patentrezepte, weil jede Region ihre eigenen Anforderungen formulieren und ihren Umsetzungsfahrplan generieren muss.

Übereinstimmende Auffassung der großen Koordinierungsgruppe und von Fachleuten der Kreisverwaltung und der Energieagentur Rheinland-Pfalz ist, dass die ambitionierten Ziele "100 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030" für Strom und Verkehr und allerspätestens 2035 für Wärme nicht in einer Verwaltungslinienarbeit erreicht werden können.

Hierfür ist die Arbeitsform "Mega-Projekt" genau passend. Bekannte Muster für Mega-Projekte, bei denen Bund und Länder gemeinsam agieren, gibt es längst. In solchen Mega-Projekten werden bestens geeignete Personalentscheidungen und Organisationsstrukturen aufgesetzt. Damit werden relevante Projekt-Bestandteile (Meilenstein-, Qualitäts-, Risiko-, Budgetplanung, Lenkungsausschuss, Steuerungskreis usw.) erarbeitet und etabliert.