Triage-Urteil zwischen den Feiertagen

Bundesverfassungsgericht entscheidet über Klage von Menschen mit Behinderung, die befürchten, in der Pandemie "medizinisch aussortiert" zu werden

Der lange nur in der Kriegsmedizin gebrauchte Begriff ist in der Corona-Krise auch wegen des kaputt gesparten Gesundheitssystems wieder an der Tagesordnung: Zwischen Weihnachten und Silvester will das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur Triage veröffentlichen.

Das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe kündigte heute an, am 28. Dezember zu bekanntzugeben, wie es über eine Klage von neun Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen, die befürchten, bei einer Überlastung der Intensivstationen wegen ihrer statistisch schlechten Überlebenschancen benachteiligt zu werden, entschieden hat.

Die Klage wird von dem Verein Ability Watch unterstützt. Die Beteiligten fordern, dass die Gesetzgebung Entscheidungskriterien für den Fall vorgibt, dass die Intensivkapazitäten in der Corona-Pandemie nicht ausreichen. Sie berufen sich auf das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem ausdrücklich steht: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Die Frage, wer im Fall nicht ausreichender Behandlungsplätze versorgt wird, sei deshalb keine rein medizinische, sondern eine gesellschaftliche, betont Ability Watch,

Ihre Verfassungsbeschwerde hatten sie bereits im vergangenen Jahr angestrengt und mit einem Eilantrag verbunden, um durchzusetzen, dass bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ein Gremium, in dem auch behinderte Menschen vertreten sind, Regelungen für die Zwischenzeit erarbeitet. Dem war der zuständige Erste Senat aber nicht nachgekommen.

Als krankenversicherte Menschen haben wir einen Anspruch auf medizinische Behandlung – gerade, wenn sie unser Leben retten kann. Diesen Anspruch haben wir gleichberechtigt mit allen anderen krankenversicherten Patienten. Wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine Situation eintreten kann, in der die Ressourcen nicht ausreichen, jede und jeden, der lebensrettender Behandlung bedarf, dementsprechend zu versorgen, muss er versuchen, Ressourcen zu erweitern.

Wenn das nicht ausreichend möglich ist, muss er zumindest selbst Kriterien entwickeln, wie diese Knappheit zu bewältigen ist. Diese Lösungen müssen in der Gesellschaft diskutiert werden und sie müssen verfassungsgemäß sein. Eine Lösung, die Menschen mit Behinderungen in so einer Situation benachteiligt – egal ob direkt oder mittelbar – ist nicht verfassungsgemäß.

Ability Watch e. V.

Medizinerinnen und Mediziner könnten entscheiden, wie eine lebensrettende Behandlung aussehen könne und für wen sie indiziert sei.

Der Fachverband der Intensivmediziner (DIVI) hatte im Frühjahr 2020 eine "Leitlinie zur Priorisierung und Triage bei akuter Ressourcenknappheit" vorgelegt. Die Fachgesellschaften hatten zwar einleitend betont, nicht aufgrund von Behinderungen oder aus Altersgründen diskriminieren zu wollen, allerdings war dies nach Ansicht der Klägerinnen und Kläger durch die Auswahl der Kriterien zumindest indirekt der Fall. Ihnen drohe nach DIVI-Kriterien die "medizinische Aussortierung".

Fehlende Impfung gilt nicht als legitimes Kriterium

Im November dieses Jahres wurde die Leitlinie zwar aktualisiert, aber nicht aufgrund der Kritik von Menschen mit Behinderungen, sondern vor allem wegen der Debatte um die mögliche Benachteiligung von ungeimpften Covid-19-Patienten und der Kritik an der massenhaften Verschiebung "planbarer" Operationen – darunter auch Krebs-Operationen – zugunsten von Covid-19-Patienten allgemein.

Eine fehlende Impfung ist demnach kein legitimes Kriterium für Triage-Entscheidungen, da laut der DIVI-Arbeitsgruppe Ethik medizinische Hilfspflichten "bei lebensbedrohlichen Erkrankungen unabhängig vom Auslöser beziehungsweise dem vorangehenden Verhalten des bedürftigen Patienten" bestehen.

Zugunsten von Covid-19-Patienten dürfen laut der aktualisierten Leitlinie zunächst nur solche Behandlungen anderer Krankheiten aufgeschoben werden, bei denen durch die Verzögerung "keine Verschlechterung der Prognose, keine irreversiblen Gesundheitsschädigungen oder gar der vorzeitige Tod" zu erwarten sind. In Grenzfällen sollen die Betroffenen zumindest nicht gegenüber Covid-19-Patienten benachteiligt werden. Die Gleichbehandlung aller zu versorgenden Patienten ist auch im Falle knapper Ressourcen zu gewährleisten, heißt es.

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