Trinity sprengte die Welt in ein neues Zeitalter
Vor 60 Jahren wurde in der Wüste von New Mexico die erste Atombombe gezündet
New Mexico, 16. Juli 1945, 05.30 Uhr. Nach akribischen Vorbereitungen und mehreren Terminverschiebungen wird auf dem Testgelände Alamogordo die erste Atombombe gezündet. Was die Menschheit seitdem in Angst und Schrecken versetzt, löst bei den wartenden Wissenschaftlern und Militärs an diesem Tag helle Begeisterung aus. "Trinity" entfaltet eine Sprengkraft von 20.000 Tonnen TNT, und die Druckwelle ist noch in 160 Kilometern Entfernung zu spüren. Als sich die Experten einige Tage später zum Point Zero vorwagen, bietet sich ihnen ein Bild der Verwüstung. Die eigens für "Trinity" gebaute Stahlkonstruktion ist verdampft, an ihrer Stelle erstreckt sich ein Krater von über 300 Metern Durchmesser. Im Umkreis ist der Boden auf eine Entfernung von mehreren Kilometern verbrannt.
"Der Krieg ist aus!" jubeln viele Beobachter und hoffen, nach Nazi-Deutschland nun auch Japan schnell zur Kapitulation zwingen zu können. Nur Julius Robert Oppenheimer, den Leiter des Manhattan-Projekts, das seit 1942 mit der Entwicklung der Atombombe beschäftigt war, bewegen angesichts der gewaltigen Zerstörungskraft, die sich vorerst nur in der Wüste von New Mexico austobt, andere Gedanken: "Ich bin zum Tod geworden, zum Zerstörer von Welten."
60 Jahre später wissen wir, dass in den unterschiedlichen Reaktionen kein Widerspruch verborgen war, sondern der von UN-Generalsekretär Kofi Annan beschriebene "janusköpfige Charakter" der Atomenergie eines ihrer wesentlichen Probleme darstellt. Drei Wochen nach der Zündung von "Trinity", am 6. August 1945, detonierte die Atombombe "Little Boy" über der japanischen Stadt Hiroshima. Drei Tage später explodierte eine zweite Bombe mit dem Spitznamen "Fat Man" über der Hafenstadt Nagasaki. Der Zweite Weltkrieg war damit beendet, doch das Leiden und Sterben ging weiter. In Nagasaki wurden über 30.000 Menschen direkt durch den Abwurf der Bombe getötet, an den radioaktiven Strahlungen starben in den kommenden Jahren weitere 100.000. Hiroshima war nach dem Abwurf zu drei Vierteln zerstört, die Zahl der Opfer soll im Laufe der Jahre auf über 200.000 angewachsen sein. Bis heute sterben Menschen an den Spätfolgen der Atomexplosion, und noch immer werden Kinder mit schweren Missbildungen geboren.
Ein Vierteljahrhundert nach den Bombardierungen beschloss die Menschheit, aus dieser Katastrophe zu lernen und den berühmten Satz, mit dem Friedrich Dürrenmatt sein Drama "Die Physiker" angereichert hatte - "Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden" - wenigstens ansatzweise zu widerlegen. 1970 trat der Atomwaffensperrvertrag in Kraft. Mit seiner Hilfe sollte einerseits die Weiterverbreitung der Massenvernichtungswaffen verhindert, dann aber auch eine nachhaltige Abrüstung der Atommächte USA, Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und China in die Wege geleitet werden. Obwohl der Vertrag mittlerweile von 180 Staaten unterzeichnet wurde, sind beide Ziele letztlich verfehlt worden. Kein Wunder also, dass sich die Weltgemeinschaft im Mai dieses Jahres zu keiner gemeinsamen Entscheidung über die Zukunft der gutgemeinten Verhandlungsgrundlage durchringen konnte.
Dass die Nonproliferation von Atomwaffen auf Dauer kaum durchgesetzt werden könnte, wurde allerdings schon 1974 deutlich, als Indien in der Wüste von Radschastan seinen ersten Test unternahm und die Beobachter anschließend die Erfolgsmeldung "Der Buddha hat gelächelt" Richtung Neu Delhi senden konnten. Der Erzrivale Pakistan fühlte sich nun ebenfalls bemüßigt, Atomwaffen zu entwickeln, und Mitte der 80er Jahre brach der israelische Techniker Mordechai Vanunu sein Schweigegelübde und informierte die Weltöffentlichkeit darüber, dass fortan auch Israel zum Kreis der Atommächte zu zählen sei. Nachdem mittlerweile noch Nordkorea im Besitz von Atomwaffen zu sein scheint, hat sich der Kreis der Auserwählten von fünf auf (mindestens) neun erhöht. Insgesamt beherbergt die Erde 60 Jahre nach der Explosion von "Trinity" schätzungsweise 27.000 Atombomben und 1.855 Tonnen Plutonium. Seit 1945 wurden weltweit knapp über 2.000 Atomwaffentests in der Atmosphäre und unterirdisch durchgeführt.
Abdul Qadeer Khan, der frühere Chef des pakistanischen Nuklearprogramms, ist ein erklärter Gegner des Atomwaffensperrvertrages. Er hat dem Iran, Libyen und Nordkorea wichtige Information über den Umgang mit waffenfähigem Uran zukommen lassen und empfindet die internationalen Vereinbarungen als "nukleare Apartheid".
Weder die Logik noch ein "common sense" sprechen dafür, dass einige wenige Länder über diese fortgeschrittene Technologie, die das Schicksal der gesamten Menschheit entscheiden kann, verfügen dürfen, während andere sich furchtsam unter diese Vormachtstellung ducken müssen. Das ist demütigend und verletzend gegenüber uns, die wir außerhalb des Westens leben.
Die einzige Möglichkeit, den Druck, der vom Westen ausgeübt wird, zu neutralisieren oder ihm zu widerstehen, besteht darin, uns unabhängig in Bezug auf die Nutzung der Technologien zu machen, die uns sonst verweigert oder nur teilweise zur Verfügung gestellt würden.
Abdul Qadeer Khan
John Pike von Global Security vermutet, wie er New Scientist sagte,, dass die jüngsten Entwicklungen im Iran und in Nordkorea weitere Begehrlichkeiten wecken. Die wirtschaftliche und energiepolitische Bedeutung der zivilen Nutzung ist für viele Staaten ebenso interessant wie der machtpolitische Mehrwert einer militärischen Anwendung:
In einem Jahrzehnt könnten auch Japan, Südkorea, Taiwan und Saudi-Arabien zum Club der Atommächte gehören.
John Pike
Seit der ersten Zündung einer Atombombe ist die Entwicklung der Massenvernichtungswaffe konsequent vorangetrieben worden. Schon sieben Jahre später, am 1. November 1952, wurde auf dem Bikini-Atoll die erste Wasserstoffbombe zur Explosion gebracht. "Ivy Mike" entfesselte eine Energie von 10,4 Megatonnen TNT und überstieg die Sprengkraft der Hiroshima Bombe um das 800-fache. Heute versuchen Wissenschaftler, unkontrollierte Kettenreaktionen zu vermeiden. Mit Mini Nukes und Bunker Bustern sollen genau definierte Ziele erreicht und zerstört werden, während sogenannte schmutzige Bomben Flächen durch radioaktiven Fallout verseuchen könnten, ohne sofort Hunderttausenden das Leben zu kosten. Von Experten wird die Möglichkeit, die Wirkung moderner Nuklearwaffen entsprechend vorherzubestimmen, allerdings bestritten (Es gibt keine harmlosen Mini-Nukes).
Dabei ist die Gefahr, die von der militärischen Nutzung der Atomenergie ausgeht, nicht auf die unmittelbaren Auswirkungen von Bombenabwürfen und das exorbitant gestiegene Bedrohungs- und Zerstörungspotenzial begrenzt. Die Organisation "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" weist in einer Stellungnahme zum 60. Jahrestag von "Trinity" darauf hin, dass der Münchner Biochemiker Roland Scholz in der Studie Bedrohung des Lebens durch radioaktive Strahlung bereits 1997 vor den dramatischen Folgen weltweiter Atomtests gewarnt hat. Scholz ging damals davon aus, dass die äußere Strahlenbelastung durch den radioaktiven Fallout drei Millionen zusätzliche Krebstote bis zum Jahr 2000 verursachen könnte. Hinzu kämen noch zahllose Opfer in Folge der Inkorporation von Radionukliden durch Nahrung und Atemluft.
Selbstredend schwanken die Schätzungen in diesem Bereich, wobei die politische Voreinstellung sicher keine untergeordnete Rolle spielt. Die International Commission on Radiological Protection setzt auf konservative Modellrechnungen und geht davon aus, dass zwischen 1945 und 1989 1,2 Millionen Menschen an Krebserkrankungen starben, die unmittelbar auf radioaktive Einflüsse zurückgeführt werden können. Das European Committee on Radiation Risk vermutet dagegen 61,7 Millionen Tote sowie 1,5 Millionen Kinder und 1,9 Millionen Babys, die bereits im Mutterleib gestorben sind. ECRR macht dafür insbesondere die Atombombentests in den Jahren 1959-63, aber auch die Abgabe von Radioisotopen durch die zivile Nutzung der Kernenergie verantwortlich.
Der westlichen Welt droht freilich noch ein weiteres Horrorszenario als Spätfolge jenes 16. Juli 1945. Weder die Vereinten Nationen, noch die Internationale Atomenergiebehörde, noch Expertenvereinigungen wie das Londoner Institut für Internationale Strategische Studien mögen ausschließen, dass über kurz oder lang auch Terroristen in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Illegale Transfers von technischem Know-how, angereicherten Uran oder Plutonium scheinen auf Dauer nicht wirksam verhindert werden zu können, und die Gefahr geht - siehe das Beispiel Abdul Qadeer Khan - durchaus nicht allein von den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion aus.
Trotzdem hat "Trinity" mit dem Atomzeitalter auch eine eigenwillige Faszinationskraft geboren, die weit über das nukleare Nebenprodukt einer zivilen Nutzung hinauszugehen scheint. Die amerikanische Post, die vor zehn Jahren eine Briefmarke mit dem Atompilz von Hiroshima und der Aufschrift "Atomic bombs hasten war's end" in Umlauf bringen wollte und erst nach zahllosen Protesten von diesem Vorhaben abgebracht werden konnte, ist kein Einzelfall. Und auch der eigenwillige Store des Atomic Testing Museum nicht.
In dem Museumsshop betreiben Atombombenfreunde einen schwunghaften Devotionalienhandel. Neben Mousepads mit form- und farbschönen Atompilzen oder dem legendären Sedan-Krater, der 1962 im Rahmen eines "zivilen" Experiments aus dem Wüstenboden von Nevada gesprengt wurde, werden Krawatten mit Atommodellen, Bombern und Flugzeugträgern feilgeboten. Doch dabei handelt es sich schließlich noch um die harmloseren Geburtstagsgeschenke ...