Triumph des Populismus - Bulgarien hat ein neues Parlament

Wahlgewinner Boiko Borsissov. Bild: F. Stier

Bei einer Wahlbeteiligung von knapp über 50 Prozent wurden ausschließlich Parteien mit unverkennbar populistischen Tendenzen ins Parlament gewählt

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Boiko Borsissov hat in den vergangenen zehn Jahren ein knappes Dutzend Wahlen in Bulgarien gewonnen. Dennoch musste überraschen, dass er bei den vorgezogenen Wahlen zur 44. Bulgarischen Volksversammlung am vergangenen Sonntag eine einfache, aber deutliche Mehrheit der Stimmen errang. Bereits zweimal hat der Vorsitzende der rechtsgerichteten Partei "Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) sein Mandat als Ministerpräsident vorzeitig aufgegeben. So stand nicht unbedingt zu erwarten, dass er mit dem Versprechen von "nachhaltiger Politik" für ein "stabiles Bulgarien" zum dritten Mal den Regierungsauftrag der Bulgaren erhalten würde.

Allerdings gingen überhaupt nur 54% der Wahlberechtigten zur Wahl gegangen, obwohl in Bulgarien offiziell Wahlpflicht herrscht. So hat tatsächlich nur jeder sechste wahlberechtigte Bulgare, Boiko Borissov zum voraussichtlich nächsten Ministerpräsidenten betimmt. Meinungsforschungsinstitute hatten eine knappe Wahlentscheidung vorausgesagt und Borissovs Kontrahentin Kornelia Ninova von der postkommunistischen "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP), Chancen eingeräumt, erste Ministerpräsidentin des Balkanlandes zu werden. Schließlich erhielt Borissovs GERB mit 32,7% der Stimmen aber gut fünf Prozent mehr als Ninovas BSP. "Die Weisheit des Wählers verpflichtet unsere Partei zu einer zügigen Regierungsbildung", erklärte Borissov in der Wahlnacht.

Außer GERB und BSP haben das nationalistische Parteienbündnis der "Vereinten Patrioten" (VP) , die Partei der bulgarischen Türken "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS) und erstmals die Partei Volja (dt. f. Willen) den Einzug ins Parlament geschafft. GERBS Koalitionspartner in der 43. Bulgarischen Volksversammlung, die linke BSP-Abspaltung "Alternative für Bulgariens Wiedergeburt" (ABW) und der traditionell konservative Reformerblock (RB), scheiterten ebenso an der 4-Prozenthürde wie die DPS-Abspaltung "Demokraten für Verantwortung, Freiheit und Toleranz" (DOST).

Mit GERB, BSP, VP und DPS und Volja sind ausschließlich Parteien mit unverkennbar populistischen Tendenzen im künftigen Parlament vertreten. Dieses ähnelt darin stark der 42. Bulgarischen Volksversammlung, die sich aus GERB, BSP, DPS und der radikalnationalistischen Partei ATAKA zusammensetzte.

Erneuter Wahlsieger ist im Kampf gegen Korruption gescheitert

Im Sommer 2009 hat Boiko Borissov seine erste Amtzeit als bulgarischer Ministerpräsident mit einem Feldzug gegen Korrruption und Organisiertes Verbrechen begonnen. In den folgenden Monaten führte sein Innenministerium zahlreiche spektakuläre Polizeioperationen mit exotischen Namen wie Oktopod (Oktopus), Killerite (Killer), Naglite (die Frechen), Peperudite (die Schmetterlinge), Fakirite (die Fakire) etc. durch. https://www.youtube.com/watch?v=Qpl6LwB-q7s Hunderte vermeintliche Verbrecher wurden dabei verhaftet, doch viele von ihnen haben Bulgarien später beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erfolgreich verklagt.

Gerade auf dem Gebiet der Korruptions- und Verbrechensbekämpfung fällt die Bilanz von Borissovs Amtszeiten als Regierungschef von 2009 bis 2013 und 2014 bis 2016 mager aus. Zuletzt hat der halbjährlich von der Europäischen Kommission vorgelegte Evalutionsbericht zum Stand Inneres im Januar 2017 das Fehlen rechtskräftiger Verurteilungen von Vertretern der höheren Etagen der politischen Macht wegen Korruption bemängelt.

Beim Transparency International's (TI) Corruption Perceptions Index 2016 rangiert Bulgarien als das am schlechtesten plazierte EU-Mitglied auf Rang 75 unter 176 Staaten, zusammen mit Tunesien, Kuwait und der Türkei. Mit seinem Index-Wert von 41 Punkten auf der Skala von 0 (hoch korrupt) bis 100 (sehr sauber) liegt das Balkanland noch unter dem Weltdurchschnitt von 43. Für Länder mit derart niedrigem Index sind laut TI nicht-vertrauenswürdige und schlecht funktionierende Institutionen, die Missachtung bestehender Gesetze und häufige Konfrontationen der Bürger mit Bestechungsforderungen charakteristisch. Hinzu kommen begrenzte Medienfreiheit und erschwerter Zugang zu öffentlich relevanten Informationen.

Statt Justizreform vermutlich Koalition mit den Patrioten

Weil GERB die von Justizminister Hristo Ivanov vom Reformerblock angestrebte Justizreform gemeinsam mit den Oppositionsparteien torpedierte, trat Ivanov im Dezember 2015 von seinem Amt zurück. Seitdem gab es Spekulationen, Borissov könne vorgezogene Neuwahlen provozieren, um die lästigen Reformer als Koalitionspartner durch die ihm genehmeren Patrioten zu ersetzen.

Ob Borissov dies tatsächlich im Sinn gehabt hat, als er im November 2016 in Reaktion auf GERBS Wahlniederlage bei den Präsidentschaftswahlen sein Regierungsmandat niederlegte und damit vorgezogene Parlamentswahlen notwendig machte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Nachfolge der Patrioten auf die Reformer als GERBS Koalitionspartner ist nun aber das wahrscheinliche Resultat dieser Parlamentswahlen. Hristo Ivanovs neugegründete, stark das Thema Rechtsstaatlichkeit fokussierende Partei "Da, Bulgaria" (Ja, Bulgaria) hat den Einzug ins Parlament verfehlt.

Traditionell stellen sich die bulgarischen Parteien in Wahlnächten der Internationalen Pressekonferenz. Vor einigen Jahren hat Boiko Borissov mit dieser Tradition gebrochen und die versammelte Journaille kurzerhand versetzt. Seitdem zieht er es vor, sich jeweils in seinem Stabsquartier einem kleinen Kreis von Reportern zu erklären.

Verwaiste Internationale Pressekonferenz in der BTA. Bild: F. Stier

Am vergangenen Sonntag sind die anderen Parteien seinem Beispiel nun gefolgt, so dass Journalisten und Kameraleute in der Bulgarischen Telegraphen-Anstalt (BTA) völlig umsonst auf Wahlsieger und Besiegte warteten. "Vielleicht ist die verwaiste Internationale Pressekonferenz in der BTA die treffendste Metapher für diese Wahl", kommentierte der Soziologe Ognjan Mintschev, einstiger Vorsitzender von Transparency International Bulgaria. Bulgarien ist in der Ära Borissov in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (ROG) von Rang 59 im Jahr 2008 auf Rang 113 abgestürzt, hat auch dort die Rote Laterne aller EU-Staaten inne.

"Wir sind die Alternative"

"Wir gratulieren GERB zum Wahlsieg, erklären aber sogleich: Sollten wir eine Einladung zum Gespräch erhalten, werden wir ein Koalitionsangebot strikt ablehnen. Wir sind die Alternative zu GERB", erklärte eine sichtlich enttäuschte BSP-Vorsitzende Kornelia Ninova in der Wahlnacht im BSP-Parteigebäude.

Erst im Mai 2016 hat sie den BSP-Vorsitz übernommen und bereits im November 2016 mit der Wahl ihres Kandidaten Rumen Radev zum Staatspräsidenten eine politische Sensation geschafft, galt die BSP doch nach ihrem Sturz von der Regierung im Sommer 2014 auf lange Sicht als erledigt. Unter Ninovas Führung hat die BSP ihr Wahlergebnis der Parlamentswahlen vom Oktober 2014 fast verdoppeln können, die erhoffte Ablösung Borissovs als Regierungschef wird ihr aber aller Voraussicht nach versagt bleiben.

Ninova hat einen auf soziale Themen fokussierten und nationalistisch angehauchten Wahlkampf geführt. Sie versprach die Abschaffung der von ihrer Partei vor zehn Jahren eingeführten Einheitssteuer auf Einkommen, ein Auftauen des eingefrorenen AKW-Projekts Belene und generell eine stärkere Einmischung des Staates in das Wirtschaftsgeschehen.

"Bulgaren, nehmen wir uns die Freiheit, die Ruhe und den Stolz zurück von Boiko Borissov", sprach sie eine Woche vor der Wahl im zentralbulgarischen Stara Zagora zu ihren Sympathisanten. "Die Demokratie hat uns viel genommen. Sie hat uns die Gesundheitsversorgung genommen, die Bildung, die Sicherheit", appelierte sie an die nostalgischen Gefühle ihrer Zuhörer. "Aber sie hat uns die Freiheit zu denken gegeben, dass wir eine Meinung haben und für unsere Rechte kämpfen. Dieser Typ hat uns auch diese Freiheit genommen", giftete sie gegen ihren politischen Gegner Borissov.

Ninova versprach, Bulgarien eine starke Wirtschaft zu verschaffen, Gesundheitsversorgung und Bildung und die Verteidigung nationaler Interessen. "Wir sagen klar in Europa, im Osten und im Süden, dass wir eine Ehre haben und Würde und es fremden Herren und Vorgesetzten nicht erlauben werden, unser Schicksal zu bestimmen", schlug sie nationalistische, an Brüssel gerichtete Töne an, die den Weg zur erklärtermaßen gewünschten Koalition mit den VP-Nationalisten ebnen sollten.

Daraus wird zumindest vorerst nichts, obliegt es doch zunächst Boiko Borissov, zu Koalitionsgesprächen einzuladen. Einem Bündnis mit der PDS hat er eine Absage erteilt, so bleiben ihm zwei Optionen; ein Zweierbündnis mit den drittplatzierten Nationalisten der VP und damit eine knappe Regierungsmehrheit von 122 der 240 Parlamentssitze. Oder eine breitere Koalition zusätzlich mit der populistischen Partei Volja, die nur knapp den Einzug ins Parlament geschafft hat. Sie ist das politische Instrument des Apotheken- und Tankenstellenbetreibers Vesselin Mareschki, der seinen Wählern vor allem billigen Sprit und günstige Medikamente versprochen hat.

"Es ändert sich nichts"

Boiko Borissovs Partei GERB trägt ihre "europäische" Orientierung bereits im Namen. Ob sie in den kommenden Jahren zusammen mit den "Vereinten Patrioten" aber eine europäischen Werten entsprechende Politik vertreten kann, scheint zweifelhaft. Noch am Tag vor der Wahl blockierten GERBS nationalistisch-patriotische Bündnispartner in spe den bulgarisch-türkischen Grenzübergang Kapitan Andreewo, um bulgarischstämmige Türken an der Einreise zur Stimmabgabe zu hindern. Antiziganistische und antitürkische Agitation gehört bei den nationalistischen Patrioten zum Programm.

"Ich kann nicht verstehen, warum die Bulgaren immer Parteien wählen, die bei ihren Versuchen, eine rechtsstaatliche Demokratie aufzubauen, die Wohlstand schafft und Korruption bekämpft, gescheitert sind", wunderte sich Klaus Schrameyer gegenüber der Deutschen Welle. Er war Anfang der 1990er Jahre als deutscher Diplomat in Sofia tätig.

Das Scheitern der BSP dauere bereits siebzig Jahre, das von GERB acht Jahre, meint Schrameyer, es seien nun keine Parteien ins Parlament eingezogen, die die Probleme des Landes lösen und notwendige Reformen durchführen könnten. "In diesem Sinne waren die gestrigen Wahlen überflüssig, wenn nicht sogar schädlich", fürchtet er ein Andauern von Instabilität und Stagnation.

Slavi Trifonov auf der Pressekonferenz. Bild: F. Stier

"Auch diese Wahlen haben gezeigt, dass immer die selben Leute ins Parlament kommen und sich nichts ändert. Ein Wechsel des Wahlsystems ist angezeigt", sprach Slavi Trifonov auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Der in Bulgarien ebenso populäre wie umstrittene Musiker und Showmaster ist Initiator einer im November 2016 gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl abgehaltenen Volksbefragung zur Einführung des Mehrheitswahlrechts und einer radikalen Reduzierung der Parteiensubventionierung.

Bei dem Referendum sprachen sich von 3,5 Millionen Teilnehmern 2,5 Millionen für einen Übergang vom Verhältnis- zum Mehrheitswahlrecht aus. Nur rund zwölftausend Stimmen fehlten, um seinem Ergebnis sofortige Gesetzeskraft zu verleihen. Wenn sich das neue Parlament nicht binnen zwei Wochen daran mache, dem "Volkswillen" zu entsprechen, werde er persönlich vor dem Parlament erscheinen, drohte Trifonov in einem Offenen Brief an die Volksvertreter nun mit öffentlichem Prostest.