Trotz Atom-Ausstieg gedrosselt: Was macht Kohlekraft unattraktiv?
Energie und Klima – kompakt: Auch Kohlekraftwerke laufen gedrosselt. Ginge es nur um russische Steinkohle, wären Sanktionen ein möglicher Grund. Was dagegen spricht.
Wir haben gestern darauf hingewiesen, dass die Stromproduktion in den deutschen Stein- und Braunkohlekraftwerken seit Mai gedrosselt ist, was interessanterweise mit dem Abschalten der letzten hiesigen Atomkraftwerke zusammenfiel.
In der Summe haben die beiden Ereignisse dazu geführt, dass Deutschland seit Mai erstmals seit 2011 wieder in nennenswerten Umfang Netto-Importeur von Strom ist, wenn auch nicht von französischem Atomstrom, wie immer wieder kolportiert wird, sondern von dänischem Windstrom.
Doch wie ist der Rückgang der Produktion in den Kohlekraftwerken zu erklären? Bei den Steinkohlekraftwerken könnte man mutmaßen, dass die Sanktionen gegen Russland eine Rolle spielen.
Nach den Daten des Bundesamts für Statistik war Russland bis Anfang 2022 mit Abstand Deutschlands wichtigster Kohlelieferant. Rund die Hälfte der hiesigen Importe kamen in den vergangenen Jahren von dort, was Umweltschützer übrigens schon länger kritisierten, weil der Abbau in Sibirien erhebliche Belastungen für die rund zwei Millionen Menschen in der Nachbarschaft der Gruben zur Folge hat.
2022 machten die Importe aus Russland dann nur noch ein Drittel der hiesigen Kohleeinfuhren aus, die ansonsten stabil blieben. Lieferungen aus den USA und vor allem Kolumbien haben Russlands zurückgehenden Anteil kompensiert, wobei auch in den USA und Kolumbien die Steinkohleförderung mit erheblichen Umweltzerstörungen, ähnlich desaströsen Auswirkungen auf die Gesundheit der Anwohner und zumindest im Falle Kolumbiens auch mit massiven Menschenrechtsverletzungen verbunden ist.
Auch Braunkohle wird weniger verfeuert
2023 betrugen die Einfuhren aus Russland dann bisher nur noch 2,5 Prozent der Kohleimporte. Allerdings hätte, wenn die Abnahme russischer Kohleimporte der Grund für den Rückgang wäre, die Stromproduktion der Steinkohlekraftwerke schon in der zweiten Jahreshälfte 2022 weniger werden müssen, was nicht der Fall war. Außerdem spricht die parallele Entwicklung bei den Braunkohlekraftwerken, deren Brennstoff nicht eingeführt werden muss, dafür, dass es noch einen anderen Grund gibt.
Sind es vielleicht die Kohlepreise? Nach den Angaben von destatis.de kostete im Januar 2021 eine Tonne Kohle 77 Euro, aber ein Jahr später bereits 188 Euro. Bereits 2021 war der Preis von Monat zu Monat rasant gestiegen. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges ging es dann zunächst weiter steil nach oben, bis im Juli 2022 mit 409 Euro pro Tonne ein Rekordpreis gezahlt werden musste.
Im Januar 2023 war der Tonnen-Preis dann auf 240 Euro zurückgegangen und im Juli 2023 lag er bei 234 Euro. Das ist immer noch sehr viel, aber der Preisanstieg lag lange vor dem plötzlichen Rückgang der Stromproduktion in den Kohlekraftwerken, kann also nicht der Auslöser gewesen sein. War es also vielleicht der Preis für CO2-Emissionen?
Vermutlich auch der eher nicht. Die entsprechenden Zertifikate sind zwar mit rund 80 Euro pro Tonne CO2 an den Börsen endlich in einem Bereich, wo sie den Kraftwerksbetreibern ein wenig weh tun, allerdings bewegen sie sich auf diesem Niveau annähernd gleichbleibend bereits seit dem ersten Quartal 2022.
Aber eventuell könnte es eine Kombination aus hohen Kohlepreisen, hohen CO2-Preisen und fallenden Börsenstrompreisen sein, was den Betrieb von Kohlekraftwerken unattraktiver macht. Nach dem Höhenflug im vergangenen Jahr sind die Preise an der Leipziger Strombörse ab dem vierten Quartal 23 wieder deutlich gesunken und dieser Abwärtstrend scheint noch nicht ganz zu Ende zu sein.
Der Emissionshandel wirkt endlich ein wenig
Zwar wird der Strom immer noch teurer gehandelt, als vor der Zunahme der Spannungen mit Russland ab Mitte 2021, aber offensichtlich nicht mehr teuer genug, um die gestiegenen CO2-Kosten zu kompensieren.
Soll heißen: Der Emissionshandel wirkt endlich ein wenig. Höchste Zeit also, den Ausbau der erneuerbaren Energien stärker zu forcieren – insbesondere die Windenergie, Solarenergie entwickelt sich bereits prächtig – und die Einnahmen aus dem CO2 Handel an die Bürger zurückzugeben. Wie wäre es zum Beispiel damit, ein Neun-Euro-Ticket aus diesem Topf zu finanzieren?
13,2 Milliarden Euro sind im vergangenen Jahr nach Angaben des Umweltbundesamtes aus der Versteigerung von CO2-Zertifikaten und aus der nationalen Bepreisung von CO2 Emissionen im Bereich Wärme und Verkehr in den von der Bundesregierung verwalteten "Klima- und Transformationsfonds" geflossen.
Damit ließe sich ohne weiteres ein Neun-Euro-Ticket finanziere, und nur ein Bruchteil davon wäre nötig, um das 49-Euro-Ticket abzusichern – das im Übrigen bei gleichem Zuschussbedarf auch für 29 Euro angeboten werden könnte, weil es dann mehr Abnehmer fände.
Stattdessen wird der Fonds jedoch, wie es eine Studie des Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) formuliert, zu einem Schattenhaushalt, aus dem direkte und indirekte Industriesubventionen und normale Aufgaben des Bundes finanziert werden, die nicht unbedingt etwas mit Klimaschutz zu tun haben. Auch für kleine Präsente an die wohlhabende Klientel ist der Klimatopf gut.
Zuletzt gab es im September eine kleine Nettigkeit für Besitzer von Eigenheim und Elektroauto. 300 Millionen Euro wurden aus dem Fonds an Zuschüssen für sie zur Verfügung gestellt, falls sie sich ein paar Solaranlagen auf den Carport schrauben und ihr E-Auto mit Sonnenstrom laden. 200 weitere Millionen sollen folgen. Bis zu 10.200 Euro gibt es pro Nase. Aber nur für Leute, die nicht die leiseste Ahnung haben, wie es sich anfühlt, wenn man sich eine Busfahrt nicht leisten kann.