Trump: "Die Feinde Amerikas sind auf der Flucht"
In den öffentlichen Schulen wird gebetet und ansonsten steht auch alles zum Besten im Land, dessen Wohlstand, Macht und Prestige unter ihm ein "großes Comeback" erleben - Die Rede zur Lage der Nation des US-Präsidenten als Bestseller-Autor
Wer kann sich Trumps Wiederwahl erfolgreich in den Weg stellen? Das ist die Frage, die sich nach dessen Ansprache zur Lage der Union wieder einmal aufdrängt.
Nachdem sich die Demokraten in Iowa schon bei der Auszählung einer Vorwahl blamiert haben und sich gegen den Spott über ihre Inkompetenz behaupten müssen, die dazu noch von Vermutungen begleitet werden, dass interne Konkurrenzkämpfe mit im Spiel waren, ist Trump in einer guten Position. Davon machte er in seiner Rede ausführlich Gebrauch.
100-prozentig Trump: "Authentische Lügen"
Es war eine Wahlkampfrede im staatsmännischen Gewand, die Demokratinnen im weißen Suffragetten-Gewand boten ihm stummes Dekor, mehr nicht. Trump holte sich aus dem Sitzungssaal des Kongresses dort platzierte Mitspieler aus der Bevölkerung, der Armee und des Grenzschutzes, um mit diesem bekannten Theatereffekt zu zeigen, dass er kein abgehobener Präsident ist, der sich über "deplorables" (bedauerliche "Abgehängte", Hillary Clinton) hinwegsetzt, sondern ein Politiker in Kontakt mit der Bevölkerung. Bei Obama hat man solches nicht gesehen.
Dass Trump mit dieser Inszenierung auch gezielt Mitgliedern der afro-amerikanischen Bevölkerung huldigte, um Wählerstimmen zu gewinnen, fiel wohl nicht nur der New York Times auf.
Geführt wurde die Rede entlang des Themas "the great american comeback", was eigentlich inhaltlich schon alles besagt, aber Trump, der angeblich seine Reden "100-prozentig" selbst verfassen soll - "Er ist ein Bestseller-Autor und ein hochtalentierter Redner" heißt es aus seinem Stab - beherrscht eine Art der Narration, die Klappentexter für Abenteuerromane in Neid erblassen lassen. Und wohl erst recht Politiker, die Erfolge bei Wählern haben wollen.
Trump erstellt in Kurzform "blühende Landschaften", deren beruhigende Wirkung so stark ist, dass kaum jemand gewillt scheint, die Illusion abzuschütteln. Er vermittelt so etwas wie authentische Lügen - jeder weiß, dass das so nicht stimmen kann, aber es ist halt Trump und diese Realität wird ihm gerne abgekauft:
Die Feinde Amerikas sind auf der Flucht … Der Niedergang ist vorbei … Wir wurden ausgenutzt, das ist vorbei … Macht und Prestige sind zurück … Wir haben das Downsizing verworfen und wir werden nie wieder in diesen Zustand zurückkehren … Wir haben die Grenzen geschlossen … die Familien blühen auf … unsere Lage ist besser als je zuvor.
Donald Trump
Zwar kann man, wie es unter den deutschen Medien etwa Die Zeit vorführt, den Kino-Plakat-Sätzen entgegenstellen, wie der Boden unter diesen blühenden Ansagen aussieht. Und zum Beispiel auf die wachsenden Defizite aufmerksam machen, auf die Neuverschuldung von über einer Billion US-Dollar im Haushalt.
Manche US-Medien strengen sich auch an, die kritische Kehrseite oder den dünnen Boden herauszustreichen, der unter dem "Jobwunder" bei gleichzeitigen Lohnsteigerungen steckt. Aber die Wirkung dieser Kritik zeigt sich nicht besonders stark. Es überwiegt selbstverständlich der Blick auf die Erfolge, die deutlich sichtbar sind und populär: mehr Arbeitsplätze, ein Anstieg der Löhne, wie es ihn lange schon nicht mehr gab. Die Kehrseite dagegen bleibt in den Nischen derjenigen, die sie erfahren, oder in den Nischen, in denen kritische Wirtschaftsspezialisten und Fachleute veröffentlichen.
Beten und Richter
So zählte Trump gestern seine Erfolge auf "pro work, pro family, pro growth, pro America", verwies auf seine Anti-immigrationspolitik, zu der einiges Übles aus der Realität anzumerken wäre, machte klar, dass Gesetz gelten (the rule of law) und seine Politik hier einiges dazu tut, um eine konservative Auslegung sicherzustellen: Unter seiner Führung seien 180 neue Richter ins Amt gekommen, zwei davon an höchste Stellen. Weitere warten in der "Pipeline". Der Prozess ist noch nicht zu Ende.
Religion und ihre Ausübung liege seiner Regierung am Herzen - "Beten in öffentlichen Schulen" - und dazu die Erlaubnis zum Waffenbesitz. Dieser Verfassungsbestandteil (second amendment) bleibe unter seiner Führung unangetastet, das könne er versprechen.
Wer, so fragt, man sich angesichts des Beifalls der Mehrheit und der Rufe aus dem Sitzungssaal "Four more years" findet eine Palette, die dieses Bild, das in der Art von Bob Ross effektvoll gespachtelt und getupft ist und grundiert mit infantilem "Faith" und größter Businesshärte, erfolgreich übermalen kann?
Erst der Mars, dann der Nahe Osten
Die Opposition sitzt in den Zuschauerrängen; deren Phlegma wird auch daran sichtbar, dass es für den "großen Friedenplan", den Trumps Schwiegersohn für den jahrzehntealten Schlüsselkonflikt im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern vorgelegt hat, keinen Gegenchor gibt, keine Alternativen vorgelegt werden, keine Gegenstimme, die sich laut und überzeugend prononciert.
Erst am Ende seiner langen Rede (bei 1:51,00) kommt Trump zum Thema Naher Osten. Seine Vorgänger räumten dem Nahen Osten sehr viel mehr Platz ein.
Dass das Thema nach dem Claim kam, wonach die amerikanische Flagge, die erste sein soll, die auf dem Mars aufgesteckt wird, ist eine weitere Pointe der Rede. Trump begnügte sich beim Middle-East-Gelände ebenfalls mit Aufstellen von Fähnchen. Wie bei einem Golf-Parcours lief er einige bedeutende Löcher ab - den Kampf gegen den radikalislamischen Terrorismus und eben den besagten großen Friedensplan. Er hielt sich aber nirgends länger auf.
Trump kostete nochmals aus, dass der frühere IS-Kalif Angst vor der US-Spezialtruppe hatte, bevor sie ihn töteten, dass der IS sein Gebiet verloren hatte (dass die IS-Kämpfer trotzdem als Guerilla strategisch gefährlich im Irak und in Teilen Syriens sowie in Afrika aufgestellt sind, ließ Trump aus dem Bild) und dass mit dem iranischen General der Revolutionswächter Soleimani ein weiterer Terrorist getötet wurde - damit war mehr oder weniger von seiner Seite alles Wichtige zur Krisenzone Naher Osten gesagt.
Man weiß, dass Trump über keine herausragenden strategischen Fähigkeiten für diese Region verfügt, was man seinen Vorgängern Obama und Bush aber auch nicht unterstellen kann. Viel hängt von seinen Beratern ab, die konsequent fortsetzen, was die Republikaner im neokonservativen Geist begonnen haben, nur dass die Trump-Administration noch weniger Truppen einsetzt und dafür stärker mit der US-Wirtschaftsmacht Krieg führt. Die Grundziele der Nahostpolitik wie die Sicherung der Ölquellen, die Sicherheitsinteressen Israels sowie strategisch gut platzierte Militärbasen bleiben auch unter dem "Disruptor Trump" verlässlich gewahrt.
Dass die Ordnung nicht kippt, dafür werden die Regionalmächte Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate stärker eingesetzt, die sich nach den Aufständen im Jahr 2011 entschlossen haben, dass an ihrem Autoritarismus nur so viel geändert wird, wie sie es zulassen. Auch die Nato soll eine größere Rolle im nahen Osten spielen.
Beobachter befürchten, dass die Entwicklungen in der Region durch den "großen Friedensplan" nicht unbedingt weniger Eskalationspotential haben, aber für den Großteil der Trump-Wähler ist, solange dies nicht in die USA hineinwirkt, anderes wichtiger.