Tückische Überlebensstrategie
Wissenschaftler haben die Evolution des Typhus-Erregers erforscht und warnen vor der Ausbreitung resistenter Stämme
Die Symptome reichen von Kopfschmerzen, hohem Fieber, Durchfall, Bewusstseinsstörungen bis zu Milzschwellung und Hautausschlag, auch Haarausfall, Knocheneiterungen und Hirnhautentzündung sind nicht ungewöhnlich. Typhus ist ein hochinfektiöses an den Menschen gebundenes bakterielles Pathogen, das jährlich für 21 Millionen Erkrankungen und 200.000 Todesfälle sorgt.
Vor allem in Asien, Afrika und Südamerika (vgl. Grafik der WHO), wo die hygienischen Zustände vielerorts mangelhaft sind, findet das Bakterium einen optimalen Nährboden. Ursache der Erkrankung sind Bakterien vom Typ Salmonella typhi. Jetzt hat sich eine internationale Forschergruppe die Stammesgeschichte dieses Bakteriums angesehen und festgestellt, dass so genannte Dauerträger bei Evolution und Verbreitung des Erregers eine wichtige Rolle gespielt haben.
Als "Mr. N the Milker" oder "Typhoid Mary" haben sie traurige Berühmtheit erlangt - Menschen, die Dauerausscheider eines infektiösen Erregers sind, selbst aber nicht daran erkranken. Der unglückselige "Mr. N the Milker" war in der Milchproduktion tätig und hat über einen Zeitraum von zirka 10 Jahren rund 250 Menschen in Großbritannien mit Typhus infiziert; "Typhoid Mary" hat zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts als Köchin über 20 Personen angesteckt und musste dafür schließlich mit lebenslanger Quarantäne büßen. Angesichts solcher gesunden Träger hat der Mediziner und Mikrobiologe Robert Koch schon 1902 prophezeit, dass weder die Behandlung mit Antibiotika noch eine globale Impfkampagne jemals ausreichen werden, um die Krankheit auszurotten.
Ungewöhnliche Populationsstruktur
In der aktuellen Ausgabe von Science stellt ein internationales Team von Wissenschaftlern der Max-Planck-Gesellschaft, des Wellcome Trust (Großbritannien) und des Institut Pasteur (Frankreich) eine Studie vor, die diese Prognose bestätigt. Die Forscher haben sich auf die Spuren von Salmonella typhi begeben und versucht, dessen Evolution und Populationsstruktur nachzuvollziehen.
In einem gemeinsamen Kraftakt haben sie 150 global repräsentative Erregerstämme zusammengetragen, daraus 90.00 Basenpaare isoliert und einer Sequenzanalyse unterzogen. Für ihre Studie interessierten sich die Forscher vor allem für so genannte Polymorphismen, das sind die Stellen, an denen ein Basenaustausch in der DNS stattfindet und an denen man Verwandtschaftsverhältnisse der Erregerstämme erkennen kann: Je mehr gemeinsame Polymorphismen, desto enger die Verwandtschaft.
Die Wissenschaftler um Mark Achtmann und Philippe Roumagnac vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie entdeckten auf diese Weise 88 informative Sequenzpolymorphismen, an denen sie ablesen konnten, wie sich die Populationsstruktur von Typhus in den vergangenen 10.000 bis 43.000 Jahren entwickelte. Zu ihrem Erstaunen fanden sie dabei heraus, dass sowohl der Urstamm als auch mehrere seiner direkten Nachkommen bis heute überlebt haben. Diese ursprünglichen Erregertypen sind überall auf der Welt zu finden - für die Forscher ein Beweis, dass sich der Erreger in mehreren Wellen über die Erde verbreitete.
"Wir vermuten, dass diese ungewöhnliche Populationsstruktur von Typhi bedingt wird durch die Dauerträger, ein Phänomen, das erstmalig intensiv in Deutschland zwischen 1902 und 1910 untersucht wurde", schreibt Achtmann. Diese Dauerträger, haben dem Bakterium das Überleben unter Jägern und Sammlern erlaubt, noch bevor die Siedlungsdichte mit der Entstehung und Verbreitung von Bauerngesellschaften vor 10.000 Jahren anstieg. Darüber hinaus haben diese gesunden Träger Salmonella typhi das Überleben über Jahrzehnte in einzelnen Ländern ermöglicht.
Zunehmende Antibiotika-Resistenzen
Die Untersuchung der Populationsstruktur hat aber noch ein Weiteres gezeigt. Die zunehmende Resistenz einzelner Erreger gegen Antibiotika erschwert die Behandlung von Typhus zunehmend. Die Behandlung mit Fluoroquinolonen wurde, weil kostengünstig, zum globalen Standard. In mehreren asiatischen Ländern sind diese Breitband-Antibiotika nicht einmal rezeptpflichtig und werden daher oft unreguliert eingesetzt. Die hohe Nutzung dieser Antibiotika hat damit gleichzeitig zu einem Anstieg der Zahl resistenter Typhus-Erreger geführt.
Die Untersuchung von Stämmen aus Südostasien ergab, dass dort die Resistenz gegen Nalidixinsäure (ein bestimmtes Fluoroquinolon) durch unabhängige Mutationen zu neuen Genotypen geführt hat. Einer davon, H58, hat sich in der Region bereits dramatisch ausgebreitet. Wie die Forscher schreiben, sind in Vietnam inzwischen bis 95 Prozent der Typhi-Stämme unempfindlich gegen viele Antibiotika. Und leider zieht H58 weiter und ist bereits nach Afrika vorgedrungen. Es gibt zwar immer noch wirksame Antibiotika und sie helfen auch gegen H58. Doch sie sind teuer und für arme Länder damit nicht erschwinglich. Für Afrika, das durch AIDS genug belastet ist, sind das keine guten Nachrichten.
Die Ergebnisse dieser Studie sind damit auch ein Appell an die Politik, den sorglosen Einsatz bestimmter Antibiotika gut zu überdenken, und sie sind eine Mahnung an alle potenziell gefährdeten und leider schlecht gerüsteten Länder der Dritten Welt, zu überlegen, welche Maßnahmen sie im Falle einer weiteren Ausbreitung ergreifen könnten.