Türkei: Erdogans Mafia-Taktik
Schlechte Umfragewerte für die AKP und der Versuch, die EU zu erpressen. Kommentar
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat ein Problem, wieder mal: Noch nie waren seine Zustimmungswerte so schlecht wie in diesen Tagen. Einer Metropoll-Umfrage von Anfang März zufolge stehen nur noch knapp 30 Prozent der Türken hinter seinem völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien, knapp 49 Prozent lehnen ihn ab.
Das schlägt sich auch in der Zustimmung zu seiner Partei nieder, die einer anderen Umfrage zufolge bei nur noch 29 Prozent liegt - ein historischer Tiefstand. Die größte Oppositionspartei CHP kommt demnach auf 27 Prozent, die linksliberrale HDP auf 12 Prozent. Alle anderen Parteien würden an der Zehn-Prozent-Hürde scheitern.
Während die neu gegründete Partei von AKP-Aussteiger und Ex-Ministerpräsident Ahmet Davutoglu auf keinen grünen Zweig kommt - wohl auch, weil sie sich inhaltlich kaum von der AKP unterscheidet -, hat nun auch der im Sommer 2019 aus der Partei ausgestiegene AKP-Mitbegründer Ali Babacan seine neue Partei offiziell eintragen lassen und will in Kürze die Gründung bekanntgeben.
Da der Wirtschaftspolitiker Babacan für die frühen Reformjahre der AKP steht, dürfte er gute Chancen haben, Erdogan weitere Stimmanteile streitig zu machen, zumal Erdogan die anhaltende Wirtschaftskrise nicht in den Griff bekommt. Allerdings hat Babacan in letzter Sekunde mit Ex-Präsident Abdullah Gül einen wichtigen Unterstützer verloren.
Wie das Magazin Ahval berichtet, haben sich Gül und Babacan über die Frage zerstritten, ob man nicht auch Unzufriedene aus anderen Parteien, etwa der CHP, an Bord holen solle. Gül war demnach entschieden dagegen.
Visafreie Einreise
Dass Erdogan nun auf dem Rücken der in der Türkei lebenden Geflüchteten versucht, die EU zu erpressen, zeigt nur umso deutlicher, dass diese sich niemals auf den Deal hätte einlassen dürfen. Es zeigt aber auch die Bedrängnis, in der Erdogan sich befindet. Das Verhältnis zu Russland steht auf äußerst wackeligen Füßen, das Verhältnis zur EU ist zerrüttet.
Neben weiterem Geld im Rahmen des Flüchtlingsdeals forderte Erdogan nun einmal mehr eine visafreie Einreise in die EU für türkische Staatsbürger - wohl auch ein Versuch, die Zustimmungswerte zu verbessern. Dass die EU nun mit Gewalt ihre Grenzen gegen unbewaffnete Menschen, gegen Frauen und Kinder "verteidigt" und dass Griechenland dort die Augen vor massiver Gewalt durch Rechtsextremisten verschließt, könnte am Ende für die EU zu einem größeren Problem werden, als ein Erdogan es je sein könnte.
Denn sie knickt damit vor der gewaltbereiten Rechten und deren nationalistischen und demokratiefeindlichen Bestrebungen ein - womit sie die Existenzgrundlage des Staatenbundes an sich infrage stellt.
Falsche Zahlen von Geflüchteten in der Türkei
Interessant ist in dem Zusammenhang auch, dass konsequent mit den Zahlen des türkischen Innenministeriums hantiert wird, wonach sich in der Türkei 3,6 Millionen Geflüchtete aufhalten sollen. Dass diese Zahlen bereits seit Herbst 2019 begründet angezweifelt werden und es wohl tatsächlich gut eine Million Menschen weniger sind wird ignoriert.
Damals hatte das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung Berichten zufolge sowohl türkische als auch Zahlen des UNHCR ausgewertet und entdeckt, das das türkische Innenministerium Personen mitunter doppelt gezählt und solche, die das Land bereits wieder verlassen hatten, nicht aus der Statistik gestrichen hatte. Wenn die Türkei tatsächlich falsche Zahlen angegeben hat, dürfte der Flüchtlingsdeal ohnehin hinfällig sein.
An der türkisch.griechischen Grenze kommt es derweil zu Gewalt gegen Geflüchtete sowohl von griechischer als auch von türkischer Seite aus. Es ist die wohl gnadenloseste Machtdemonstration von Staaten, in deren Interessen die Belange von Menschen keine Rolle mehr spielen.
Dabei kann Erdogan in diesem Fall durchaus auf Zustimmung setzen - denn die Stimmung insbesondere syrischen Geflüchteten gegenüber hat sich in der Türkei zuletzt deutlich verschlechtert, was wohl auch an der Wirtschaftslage liegt, die rechte Scharfmacher für sich zu nutzen wissen. Aber nicht nur die. Auch Teile der CHP hat bereits versucht, rassistische Tendenzen für sich zu nutzen.
Mit Festnahmen gegen Kritiker und Opposition
Ob Erdogan sich aus dieser Situation so herauswinden kann, wie es ihm in den Vorjahren stets gelungen ist, ist fraglich. Gegen Kritiker und Oppositionelle geht er mit unverminderter Härte vor. Erst am Wochenende gab es erneut mehrere Festnahmen von Journalisten, darunter Mitarbeiter des kemalistisch-nationalistischen Senders Oda TV sowie der prokurdischen Zeitung Yeni Yasam.
Letztere wurden allerdings bereits nach einem Tag wieder freigelassen. Das heißt allerdings nicht viel. Der türkische Staat agiert Kritikern gegenüber seit dem Putschversuch vom Sommer 2016 absolut willkürlich.
Nachdem vergangenen Monat zahlreiche Angeklagte im Gezi-Prozess freigesprochen wurden, wird inzwischen gegen die verantwortlichen Richter ermittelt. Der seit mehr als zwei Jahren in Haft sitzende Kulturmäzen wurde unmittelbar nach dem Freispruch erneut inhaftiert. Nachdem man ihm die Vorwürfe, er habe den Gezi-Aufstand von 2013 mit organisiert, nicht beweisen konnte, wirft man ihm nun Spionage und Unterstützung der Putschisten vor - was ebenso haltlos ist wie die erste Anklage.
Es geht offensichtlich darum, Vorwürfe zu konstruieren, um seine Freilassung zu verhindern. Menschenrechtsorganisationen übten abermals deutliche Kritik an diesem Vorgehen. 2019 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Kavalas Haft für illegal erklärt. Die Türkei ist an das Urteil gebunden, ignoriert es aber.
Neben Kavala sind aktuell rund hundert Journalisten sowie mehrere Zehntausend Oppositionelle in Haft, darunter auch hunderte Mitglieder der Oppositionspartei HDP sowie zahlreiche von der AKP abgesetzte und durch Zwangsverwalter ersetzte kurdische Bürgermeister.
Ein neuer Deal mit der EU?
Die erneute Forderung des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu, den EU-Beitrittsprozess wiederaufzunehmen, ist vor diesem Hintergrund abenteuerlich. Es ist aber davon auszugehen, dass er und Erdogan genau darauf drängen werden, wenn sie in der kommenden Woche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zusammenkommen.
Erdogan und Cavusoglu wollen außerdem den Flüchtlingsdeal neu verhandeln. Bislang hat die EU mehr als drei Milliarden Euro gezahlt, 4,7 Milliarden sind zugesagt. Es wird wohl am Ende auf noch mehr Geld hinauslaufen, damit Erdogan seine Grenzen wieder dichtmacht. Gelingt ihm das, hätte er erfolgreich demonstriert, dass die EU erpressbar ist.