Türkei: Neue Parteien - neue Wahlen?

Seite 2: Die Schwergewichte verlassen die Partei

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Im Juni verließ AKP-Mitgründer Ali Babacan die Partei, im September nahm Ex-Ministerpräsident Ahmet Davutoglu seinen Hut, und sogar ein bislang treuer Parteisoldat wie Mustafa Yeneroglu hat Erdogan den Rücken gekehrt.

Es sind nicht die Hinterbänkler, sondern die Schwergewichte, die die Partei verlassen. Davutoglu und Babacan haben angekündigt, dass sie noch vor dem Jahreswechseln neue Parteien gründen wollen, und man darf davon ausgehen, dass spätestens im Frühjahr, wenn diese ihr Profil schärfen, eine weitere Austrittswelle folgen wird.

Dass Babacan und Davutoglu allerdings nicht gemeinsame Sache machen, sondern schon jetzt auf so große Differenzen verweisen, dass eine gemeinsame Parteineugründung undenkbar ist, ist symptomatisch für die Türkei und die türkische Politik.

Während Babacan bereits andeutete, dass ihm eine Partei nach dem Bild der ersten AKP-Jahre vorschwebt - mehr solide Wirtschaftspolitik, stärkere Westbindung, Ende des Präsidialsystems, Stärkung der Menschenrechte - klingt Davutoglu meist eher wie der trotzige Außenseiter, mit dem niemand mehr spielen will.

Die Wahrscheinlichkeit von vorgezogenen Neuwahlen

Dass er eine nennenswert andere Politik anstrebt als Erdogan, ist vorerst unwahrscheinlich. Aber auch Babacans Worte sind mit Vorsicht zu genießen, blieb er doch bis zum bitteren Ende bei der AKP und setzte erst zum Sprung an, als sich bereits abzeichnete, dass es mit der Partei bergab geht.

Babacan ist, bei allem Reformeifer der ersten Jahre, letztlich einer der Architekten des Systems Erdogan. Ein wirklicher Wandel ist von diesen neuen Parteien, zumindest bislang, nicht zu erhoffen.

Die Wahrscheinlichkeit von vorgezogenen Neuwahlen steigt allerdings täglich. Denn wenn die AKP tatsächlich noch weiter erodiert, wird Erdogan zwangsläufig auch seine Übermacht im Parlament verlieren - und die braucht er. Formal kann er zwar per Dekret regieren. Doch das würde schwierig, wenn ein Dauerchaos ausbräche und auch seine ehemaligen Kumpane ihm permanent Steine in den Weg werfen würden.

Und es ist davon auszugehen, dass sowohl Babacan als auch Davutoglu auf Neuwahlen drängen werden. Nach der aktuellen Lage könnte Erdogan diese Wahlen nicht gewinnen. Zumindest nicht mit sauberen Mitteln.