Türkei: Staatliche Homophobie?
Diyanet-Leiter Erbas hetzt in Ramadan-Eröffnungspredigt gegen Homosexuelle. Die Staatsanwaltschaft in Ankara ermittelt gegen Anwaltskammer, die die Rede scharf kritisierte
Diyanet ist die einflussreichste Behörde mit dem größten Etat in der Türkei. Sie betreibt mit dem Islamverband DITIB in Deutschland eine Quasi-Außenstelle, denn die in den knapp 1.000 Ditib-Moscheen tätigen Imame in Deutschland werden von Diyanet bezahlt und sind an die Weisungen der Religionsbehörde gebunden. Die Freitagspredigten werden Ditib direkt von Diyanet übermittelt und tragen somit zur Indoktrination auf Erdogans islamistischen Kurs auch in Deutschland bei.
Erbas bezeichnete in seiner Predigt Homosexualität als "Unzucht" und machte Homosexuelle indirekt für den Ausbruch des Coronavirus wie auch für die an AIDS gestorbenen Menschen verantwortlich. "Sie verfault die Generation und bringt Krankheiten", zitiert die Deutsche Welle Erbas.
Präsident Erdogan bezeichnete die Hetze des homophoben Staats-Imam als "von vorne bis hinten korrekt" und stellte Angriffe, also Kritik an dem Imam, mit einem Angriff gegen den Staat gleich. Die Staatsanwaltschaft in Ankara schritt sogleich zur Tat und leitete ein Ermittlungsverfahren gegen die Anwaltskammer von Ankara ein.
Die Anwaltskammer kritisierte die Hetze des Imam scharf und erinnerte in diesem Zusammenhang an die frauenfeindliche Grundhaltung des Imams: Er verschließe beide Augen vor Kindervergewaltigern und versuche, Frauenfeindschaft und Gewalt gegen Frauen durch religiöse Diskurse zu legitimieren. Zudem würden solche Äußerungen Gewalttaten in der Gesellschaft legitimieren.
Homophobie ist in der Türkei weit verbreitet
Dies zeigt sich auch in der Begründung des Ermittlungsverfahrens gegen die Anwaltskammer. Die Kritik an den Äußerungen des Imams sei "Beleidigung religiöser Werte, die von einem Großteil der Bevölkerung geteilt werden". Die Äußerungen des Staatspredigers wurden durch die Anhänger der konservativ-islamistischen Regierungspartei AKP - darunter der Sprecher des türkischen Präsidenten, Ibrahim Kalin, und AKP-Sprecher Ömer Celik - per Twitter mit dem Hashtag "Ali Erbas ist nicht allein" noch befeuert.
Elifcan Demirtas, die Spezialistin für LGBTIQ+-Rechte in der Anwaltskammer bezeichnet das Ermittlungsverfahren als "…trauriges Beispiel dafür, wie weit der Hass bereits verbreitet ist". Seit Jahren gehen die Behörden massiv gegen die LGBTIQ+-Szene vor, wie zum Beispiel bei den gewalttätigen Polizeiübergriffen auf die nicht genehmigte Istanbuler Gay-Pride-Parade im Sommer letzten Jahres.
Die letzte genehmigte Gay-Pride-Parade fand 2014 in Istanbul statt. Das Jahr 2014 steht für Erdogans Kurswechsel hin zu einem autoritären Muslimbruderstaat. 2002, als in Istanbul die erste Gay Pride Parade stattfand, sprach sich Erdogan, damals Oppositionspolitiker, dafür aus, "auch die Rechte der Homosexuellen zu gewährleisten".
Seit dem abrupten Kurswechsel von Erdogan 2014 wurden immer mehr demokratische, zivilgesellschaftliche Organisationen verboten, die kritischen Medien mundtot gemacht und die linke und demokratische Opposition kriminalisiert. Die staatliche Homophobie ist ein Beispiel dafür.
Ditib in Deutschland - verlängerter Arm der Religionsbehörde Diyanet
Die Äußerungen des Staats-Imams der Türkei sorgten auch für Kritik bei deutschen Politikern. Seit langem gibt es kontroverse Diskussionen über eine Beteiligung von Ditib am islamischen Religionsunterricht und den Migrationsbeiräten in deutschen Kommunen. Hessen hat sich nun endgültig gegen eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem Moscheeverband entschieden.
Dies teilte Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) in Wiesbaden mit. Gutachter hätten bei Ditib Strukturen offengelegt, "die unserem Gedanken von Unabhängigkeit entgegenstehen ... Ditib bildet das letzte Glied einer Weisungskette, die über den Bundesverband zur türkischen Religionsbehörde Diyanet führt, die ihrerseits unmittelbar dem türkischen Staatspräsidenten untersteht", zitiert die Hessenschau Kultusminister Lorz.
Als Konsequenz hat Hessen nun in diesem Schuljahr das Fach Islamunterricht für Schüler ab der 7. Klasse als Schulversuch eingerichtet, das keiner muslimischen Partnerorganisation bedarf. In der Politik wird die Entscheidung kontrovers diskutiert.
Die FDP begrüßte die Entscheidung mit Blick auf die Entwicklung des türkischen Staates hin zu einem heutigen autokratischen Regime. Die Linke in Hessen "sieht hingegen mit dem Aussetzen des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts für Muslime ein Grundrecht in Frage gestellt".
Sie empfindet "die Weisungsbefugnis des türkischen Staatsapparates auch auf die Ditib Hessen äußerst problematisch", aber die Landesregierung müsse das Grundrecht auf Religionsfreiheit sicherstellen. Falls die schwarz-grüne Landesregierung dieses Grundrecht in Frage stellen wolle, müsse sie es per Bundesratsinitiative tun, "und nicht durch eine Schlechterstellung muslimischer Schülerinnen und Schüler", meinte die hessische Linke.