Türkei fliegt Luftangriffe auf kurdische Stellungen in Syrien
Juncker will derzeit nicht über türkische Menschenrechtsverletzungen reden
Seit Montagabend bombardiert die türkische Luftwaffe Stellungen der YPG/YPJ in Syrien, weil diese eine Offensive gegen den IS bei Jarabulus, einem der letzten Schlupflöcher des IS zur Türkei, westlich von Kobane, gestartet haben. Die US-Koalition unterstützt die Kurden aus der Luft. Scharfschützen der türkischen Armee sollen von türkischem Territorium auf YPG/YPJ-Stellungen nahe dem syrischen Dorf Zormaghar, westlich von Kobane, geschossen haben. Gleichzeitig hat der IS Selbstmordattentäter gegen die Stellungen der YPG geschickt. Ein Zufall?
Nein. Die Türkei hatte mehrfach angekündigt, dass sie einen nächsten Zusammenschluss, wie bei den Gebieten von Kobane nach Cizire, was den Durchgang von IS-Kämpfern und Waffen unterbunden hatte, von kurdischen Gebieten im Grenzbereich zur Türkei auf syrischem (!) Territorium Richtung Afrin nicht zulassen werde. Ministerpräsident Davutoglu sagte:
Wir haben die PYD zwei Mal bombardiert. (...) Die PYD wird den Euphrat-Fluss Richtung Westen nicht überqueren. Wir haben in der Vergangenheit angekündigt, dass wir sie bei dem Versuch bombardieren werden. Und nun haben wir sie zwei Mal bombardiert.
Eigentlich ein Unding: Ein Nato-Staat greift einen Nachbarstaat an, ohne dass von diesem eine Aggression ausging, ohne Nato-Mandat. Diese Grenzgebiete sind kein Hoheitsgebiet der Türkei, obwohl Erdogan als Lösung der Flüchtlingskrise angeboten hatte, zwischen Kobane und Afrin eine Sicherheits- und Siedlungszone für arabische syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufbauen zu wollen.
Die kurdischen Autonomiegebiete im Norden Syriens haben immer klare Position bezogen: Bei aller Kritik am Assad-Regime begreifen sie sich als Teil des syrischen Staates und wünschen sich eine demokratische, konförderalistische Lösung unter Beteiligung aller Ethnien und religiösen Minderheiten in Syrien. Erdogan will mit seiner Idee der Schutzzone die ethnische und religiöse Zusammensetzung dieser Region dominieren - zur Schwächung der Kurden und des Modells Rojava- und sein Territorium ausbauen. Auch Assad hatte im Norden ähnliche Pläne, die jedoch gescheitert sind. Mittlerweile kämpfen Araber und Kurden gemeinsam dort gegen den IS.
Laut UN-Charta ist das, was die Türkei gerade macht, ein Angriffskrieg. Das Nato-Land Türkei hält sich ganz offensichtlich nicht an die internationalen Vereinbarungen, auch die Bombardierungen der PKK-Stellungen im Nordirak sind völkerrechtlich nicht legitimiert und verstoßen ebenso gegen die UN-Charta. Nur da gibt es keinen Kläger, weil Kurdenpräsident Barzani wirtschaftlich von der Türkei abhängig ist und die irakische Regierung sich in diesem Territorium raushält, weil sie andere Baustellen hat. Und trotzdem schweigt Europa und auch die USA, wenn das Nato-Land Türkei seinen Alleingang macht.
Wie geht das, fragt man sich. Da spielen andere Interessen eine weit größere Rolle, zum Beispiel meint EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zur Kooperation mit der Türkei: Jetzt, vor den Wahlen, sei nicht die Zeit, Verstöße gegen Menschenrechte zu besprechen. Das heißt im Klartext: Wir wollen nicht genau hinschauen, solange die Türkei uns die Flüchtlinge vom Hals hält. Das erinnert an den Genozid an den Armeniern, wo das Deutsche Reich seine geopolitischen Kriegsinteressen auch über die Menschenrechtsverletzungen, an denen das Deutsche Reich direkt beteiligt war, gesetzt hat (vgl. Völkermord an den Armeniern).
Bleibt im Moment nur zu hoffen, dass Russland oder auch China auf die Bühne treten, um Erdogan Einhalt zu gebieten. Der Westen wird’s nicht richten und eine Eskalation riskieren. Im Kampf gegen den IS hat sich Russland mittlerweile als der effektivste Partner herausgestellt.