Türkische Luftangriffe auf Ziele im Nordirak
Die Operation "Adlerklaue" wird von Jesiden und Kurden als kriegerische Aggression verurteilt, die ein friedliches Gebiet zu einer Kriegszone mache. Die Türkei spricht von Angriffen auf PKK-"Nester"
"Adlerklaue" nennt die Türkei ihre Luftangriffe auf Ziele im Nordirak. Offiziell sind PKK-"Verstecke" Ziel der neuesten türkischen Angriffe auf fremden Boden. 81 Ziele, "PKK-Hideouts", sollen nach Angaben des türkischen Verteidigungsministers Hulusi Akar zerstört worden sein. Die Auflistung der eingesetzten Waffen, von denen der türkische Sender TRT-World berichtet, suggeriert Präzision: Kampfflugzeuge, Drohnen, unterstützt von Satelliten und Tankflugzeugen.
Die türkische Nachrichtenagentur Anadolou Agency präsentiert zu den mitternächtlichen Angriffen einen anderthalbminütigen Waffenwerbungs-Clip, unterlegt mit martialisch-stampfender Trommelmusik. Als Ziele werden die Kandilberge, Sindschar, Karacak, Zap, Avasin-Basyan und Hakurk genannt.
Das andere Bild zum Geschehen kommt in Deutschland von Sevim Dagdelen, der außenpolitischen Expertin der Linken im Bundestag. Dagdelen wirft der Türkei vor, dass die Bombardements "Überlebende des IS-Terrors in jesidischen Dörfern der Sindschar und das kurdische Flüchtlingslager Machmur, in dem rund 12.000 Menschen unter dem Schutz des UNHCR leben", angreifen. Es handle sich um einen völkerrechtswidrigen Akt der Aggression. Die Bundesregierung müsse das Vorgehen "in aller Schärfe verurteilen und erneute Massenvertreibungen durch Erdogans Truppen wie im Norden Syriens verhindern helfen".
Das Nachrichtenportal Rudaw, das der Regierung der Autonomen Region Kurdistan nahesteht, zitiert Augenzeugen, die von Einschlägen in unmittelbarer Nähe des Flüchtlingslagers Machmur (kurdisch: Mexmur), 50 oder 100 Meter entfernt, berichten. Von Verletzten wird nicht berichtet. Ob die Präzision dieser Angriffe in Einschüchterung und Angsteinjagen bestand?
In dem Camp sollen sich 12.000 kurdische Flüchtlinge aufhalten, "die ihrer Verfolgung in der Türkei entflohen sind, meist in den 1990er Jahren". Mehr zur Geschichte des Lagers, einer "26-jährigen Fluchtgeschichte", aus kurdischer Sicht ist bei AFN-Deutsch zu lesen.
Das Lager, so Rudaw, werde durch Einheiten bewacht, die Makhmour Protection Units, die 2014 als Reaktion auf Angriffe von IS-Milizen geschaffen wurden. "Diese Einheiten sollen Verbindungen zur PKK haben", erklärt das Medium ganz im Sinne der türkischen Regierung, die bekanntlich auch der YPG den Terroristen-Stempel aufdrückt. Hinzugefügt wird an anderer Stelle, dass Verbündete der PKK in Sindschar niemals Angriffe auf die Türkei ausgeübt haben.
Geht es nach Nadia Murad, einer Jesidin (auch: Esidin) aus dem Sindschar, die 2018 durch die Verleihung des Friedensnobelpreises der internationalen Öffentlichkeit bekannt wurde, haben türkische Kampflieger mehrere Orte im Sindschar angegriffen. Der Mount Sinjar sei nun eine Kriegszone, schreibt sie. Auch sie appelliert an die Internationale Gemeinschaft, um Sicherheitsfragen im Sindschar zu lösen. Der türkische Botschafter im Irak, Fatih Yildiz, ist von solchen zivilen "Sicherheitsfragen" offensichtlich wenig angefochten; er twitterte, dass die "PKK" nun zerstört werden müsse.
Die Bombardierung fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem die jesidische Gemeinde die Rückkehr von 200 Jesiden aus Flüchtlingslagern feierte. Vertreter der Jesiden werten dies als Teil eines türkischen Plans, die Rückkehr von Flüchtlingen zu erschweren, wie aus einem Bericht der Kurdistan News hervorgeht. Die nächtlichen Luftangriffe würden bezeugen, dass die Türkei "kein Interesse am Frieden in der Region" habe. Sie soll Kriegszone bleiben, wird der Chefredakteur von Ezidi-Press zitiert. Laut deren Informationskanal auf Twitter ist bislang nichts über mögliche Verletzte bekannt.
Das kurdischen Medium ANF berichtet von Angriffen von mindestens 50 Kampfflugzeugen auf das Flüchtlingslager Maxmur, die Bradost-Region und Gebiete in Schengal im Nordirak. Dort heißt es, dass "Angaben über die Anzahl der Verletzten und Toten (…) noch nicht vor(liegen)" - eine Formulierung, die augenscheinlich damit rechnet, dass die Angriffe Opfer gefordert haben. Der ANF-Bericht spricht von Angriffen "gegen Krankenhäuser und Flüchtlingscamps, offenbar unter Billigung internationaler Kräfte - das ist eine Kriegserklärung gegen alle demokratischen Kräfte".
Der türkische Angriff unter dem Namen "Adlerklaue" (türk. "Pençe-Kartal") wird dort als Einleitung einer neuen "Besatzungsoffensive" bezeichnet.