Türkische Mittelmeerpläne: Libyen als "Trojanisches Pferd"
Erdgas vor Zypern und Militärbasen in Libyen: Die türkische Regierung unterstreicht ihren geopolitischen Machtanspruch
Die Reihe derer, denen die Türkei mit einem Maritim-Abkommen, auf die Füße tritt, ist lang: Angefangen von der Republik Zypern, Griechenland, der EU und Israel reicht die Liste bis zum libyschen Feldmarschall Haftar und seiner LNA-Miliz, großen libyschen Stämmen, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten, der russischen Führung und dem französischen Präsidenten Macron. Dass das zuletzt genannte Frankreich auch zu den Gegnern des Abkommens zwischen der Türkei und der libyschen Einheitsregierung gehört, bedeutet, dass die Interessenskonflikte auch mitten in der Nato sitzen.
Das Memorandum of Understanding (MOU), das die Türkei am 27. November mit der Regierung Sarradsch (al-Serraj oder Serradsch) unterzeichnete, legt Grenzen fest, die mit Rechten zur Ausbeutung reicher Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer zu tun haben. Zum anderen gibt es darüberhinaus noch einen Sicherheitspakt zwischen Ankara und der libyschen Einheitsregierung GNA (Government of National Accord), der die militärische Einmischung der Türkei in Libyen auf eine neue Basis stellt.
Das Abkommen, vom libyschen Medium al-Marsad in englischer Sprache im Wortlaut wiedergegeben, birgt Konfliktstoff, so viel ist sicher. Unsicher sind die Rechtskraft, seine internationale Verbindlichkeit und die politischen Folgen.
[Update: Die EU plant für ihren kommenden Gipfel angeblich eine Erklärung mit dem Wortlaut: "Das Memorandum of Understanding (...) verletzt die Hoheitsrechte von Drittstaaten, steht nicht mit dem Seerecht im Einklang und kann deswegen keinerlei Rechtsfolgen für Drittstaaten haben"]
Die großen Erdgas-Felder im östlichen Mittelmeer
Ausgangspunkt ist zum einen Zypern und der schon länger andauernden Streit zwischen der Türkei, der Republik Zypern, Griechenland und der EU über Bohrrechte und Ausbeutung der Erdgasfelder vor der zyprischen Küste. Die Türkei zieht hier andere Grenzlinien als die EU und folgert daraus Ansprüche, die sie in dem Memorandum mit der Regierung Sarradsch festlegt.
Aufmerken lässt, dass die Grenzen, die in dem gegenseitigen Abkommen festgeschrieben werden, über das Gebiet um Zypern hinausgehen und als rechtlichen Anspruch die Festlandsmasse zugrunde legen, "den Kontinentalschelf". Auch die Grenzen der "Ausschließlichen Wirtschaftszone" werden darin nach eigenen Vorstellungen "punktgenau" festgelegt.
Beides steht gegen die EU-Interpretation, die die türkischen Anspruchsgrundlagen vor Zypern nicht anerkennt und angesichts der Präsenz türkischer Bohrschiffe seit Sommer dieses Jahres mit Strafen droht (Türkei bohrt vor Zypern - EU plant Strafen). Die Republik Zypern, Griechenland und Ägypten verurteilten den Inhalt des Memorandums als "ernsthafte Verletzung internationaler Gesetze". Hier werde gegen das Seerecht verstoßen und "Geografie gefälscht".
Die Türkei will mit der "neuen selbstverordneten türkische Seegrenze im Mittelmeer" Fakten schaffen, wird ihr vorgeworfen. Der türkische Präsident widerspricht dem gar nicht, sondern, wie er gestern im türkischen Fernsehen betonte, hält er dem vielmehr einen legitimen Schutzanspruch eigener Interessen entgegen. Die Regierung in Ankara sei fest entschlossen, "ihre Rechte unter internationalem Recht zu schützen".
Die Ansprüche der Türkei ...
Dabei hob er als Anspruch heraus: "Andere internationale Akteure können keine Erschließungs-Aktivitäten in den Gebieten unternehmen, die im Memorandum bezeichnet werden." Und:
Griechische Zyprioten, Ägypten und Israel können ohne die Zustimmung der Türkei keine Pipeline zum Transport von Erdgas einrichten.
Recep Tayyip Erdogan
... und der militärische Beistand für Sarradsch
Auch zum anderen politisch brisanten Aspekt der Vereinbarungen zwischen der GNA und der Türkei - der militärischen Hilfe für die Regierung Sarradsch - äußerte sich Erdogan. Die libysche Regierung habe der Türkei das Recht gegeben, auf eine militärische Beistandshilfe zu antworten, so Erdogan. Im Falle einer solchen Einladung werde die Türkei dann selbst entscheiden, wie sie reagiere. (Ergänzung: Angeblich hat Erdogan dies später dahingehend präzisiert, dass die Türkei bereit sei, "Truppen zur Unterstützung von Sarraj nach Libyen zu entsenden").
Bei seinem TV-Auftritt fügte der türkische Präsident hinzu, dass Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten das UN-Waffenembargo verletzen, indem sie die Streitkräfte Haftars unterstützen. Jede Unterstützung Haftars sei illegal wie auch dessen Streitkräfte.
"Das ist Kolonialpolitik!"
Im Memorandum-Text, soweit er von al-Marsad übermittelt wird, ist von militärischer Hilfe keine Rede, aber angeblich gibt es dazu eine eigene Abmachung, was Erdogan mit seinen Äußerungen bestätigt. Die Rede ist davon, dass die Türkei Militärbasen in Libyen errichten darf, wie Der Freitag, gestützt auf tunesische Quellen berichtet. Im Freitag heißt es, dass der Werfalla-Stamm und der Tarhuna-Stamm, die beide die "große Bevölkerungsmehrheit in Libyen" stellen, das Abkommen zurückweisen und als "gegenstandlos" deklarieren.
Die Stämme werfen der Türkei in scharfen Worten Einmischung in innere Angelegenheiten und "Kolonialpolitik" vor. Deutlich wird in den Statements die Gegnerschaft zur Einheitsregierung, die sich ihrer Auffassung als "Projekt der Muslimbrüderschaft" verdingt. Erdogan benutze Libyen als "Trojanisches Pferd, um dubiosen Pläne im östlichen Mittelmeer durchzusetzen".
Die dubiosen Pläne werden von türkischen Medien, die nah an der Regierung sind, offenbar begeistert mit einem geopolitischen Rahmen versehen, der diejenigen bestätigt, die bei der türkischen Führung einen neo-osmanischen Macht- und Expansionsdrang beobachten:
In Yeni Safak schwärmt das Erdoğan-Sprachrohr İbrahim Karagül davon, dass die Türkei ihre aufs Festland konzentrierte Selbstwahrnehmung ablegen und die Meeresflächen und in einem weiteren Schritt türkische ethnische Gebiete anderswo mitdenken müsse. Entgegen dem offiziellen Narrativ sagt Karagül auch, dass es bei der türkischen Invasion in Nordsyrien nicht um die PKK oder Terrorbekämpfung gegangen sei, sondern darum, die "Einkreisung" der Türkei zu durchbrechen.
Gudrun Harrer, Der Standard
Kritik aus Russland
Nüchterner und zurückhaltender, aber dennoch deutlich reagierte die Sprecherin des russischen Außenministeriums Marija Sacharowa auf die Unterzeichnung des Memorandums und der "Sicherheitskooperation" zwischen der Türkei und der GNA. Das bestätige Vorwürfe, wonach die Türkei ihre militärische Unterstützung für die Regierung in Tripolis zu legitimieren versuche, einschließlich einer offenkundigen "Verletzung des UN-Waffenembargos". Beide Parteien sollten politische Vorsicht walten lassen.
Zwar legt man innerhalb der russischen Führung zu Libyen nach wie vor Wert auf einen vielschichtigen Ansatz, der auch konstruktive Beziehungen zur GNA einschließt, wie etwa Maxim Suchkov von al-Monitor darlegt.
Aber nach seinen Beobachtungen gibt es deutliche Indizien für die russische Unterstützung des LNA-Führers Haftar - auch wenn faktische Nachweise dafür ausstehen, inwieweit etwa die privaten Wagner-Milizen, die aufgrund vieler Indizien aufseiten Haftars kämpfen, tatsächlich vom Kreml unterstützt werden. Haftars LNA bestreitet ausländische Unterstützung.
Darüber, dass Haftar von Frankreich, von Ägypten und von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird, gibt es hingegen wenig Ambivalentes zu berichten. Paris ist Haftar näher. Im Fall Ägyptens und der Vereinigten Emirate ist die Parteinahme ohnehin klar. Das macht sie im Proxy-Krieg in Libyen, bei dem sich keine auswärtigen Unterstützer um das Waffenembargo kümmern, zu Gegnern der Türkei. Deutlich wurde dies in den letzten Wochen bei den Luftoperationen, die einen Showdown des Arsenals der Vereinigten Arabischen Emirate und der Türkei darstellen.
Da sich die USA ziemlich im Hintergrund halten - und dies als weiteres Signal dafür gewertet wird, dass der MENA-Region von der Trump-Administration weniger Beachtung zugewiesen wird, als dies bei früheren US-Regierungen der Fall war, gibt es mehr Raum für die Vereinigten Arabischen Emirate, für die Libyen wichtiger wird. Ihr großer Gegenspieler ist die Türkei. Für die Libyen-Konferenz, die im Januar in Deutschland stattfinden soll, wird die Sache nicht einfacher.