Türkischer Krieg um Gas und Öl im östlichen Mittelmeer

Türkische Bayraktar-Drohne. Bild (2014): Bayhaluk/CC BY-SA 4.0

Im Streit um die Öl- und Gasvorkommen vor der Küste Zyperns provoziert die Türkei immer mehr militärische Zwischenfälle. Ankaras militärisches Engagement in Libyen steht mit dem Gasstreit ebenfalls in Verbindung

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Das levantinische Becken liegt im östlichen Mittelmeer, im Norden begrenzt von der türkischen Küste, im Westen von Kreta, im Süden von Libyen und Ägypten und im Osten von Syrien, Libanon, Israel und dem Gazastreifen. In der Mitte liegt Zypern. Geologen entdecken immer mehr Öl- und Gasvorkommen in der Region, Tausende Meter unter dem Meeresspiegel.

Experten vermuten im Levantinischen Becken Gasvorkommen, die nicht nur den Bedarf der Anrainerstaaten auf viele Jahrzehnte decken könnten. Sie könnten auch zur Energieversorgung Westeuropas beitragen und die Kassen der klammen Anrainerstaaten füllen. Aber die Ausbeutung dieser letzten fossilen Ressourcen könnten auch zu einem Krieg zwischen Griechenland und der Türkei führen.

Im größten Erdgasfeld Leviathan werden die Ressourcen auf rund 605 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Größter Abnehmer wird voraussichtlich Ägypten sein. Über eine Unterwasser-Pipeline soll das Gas von der israelischen Stadt Aschkelon nach Ägypten fließen. Das US-Unternehmen Noble Energy und die israelische Firma Delek Drilling schlossen schon im Vorfeld einen über 15 Jahre laufenden Vertrag mit den ägyptischen Unternehmen East Gas und Dolphinus ab, der ein Volumen von 19,5 Milliarden Dollar hat.

Das Gasfeld Aphrodite bei Zypern wurde 2011 auf ein Volumen von 200 Milliarden Kubikmetern geschätzt. Insgesamt sollen im östlichen Mittelmeer rund 3,5 Billionen Kubikmeter Erdgas und 1,7 Milliarden Barrel Erdöl lagern.

"Wir bauen eine Brücke mit der Energie nach Europa gebracht wird", frohlockte der griechische Regierungschef Mitsotakis nach der Unterzeichnung des Abkommens zwischen Zypern, Griechenland und Israel und äußerte die Hoffnung, dass die geplante Pipeline Wohlstand für die Menschen in der Region bringen würde.

Seit Jahren bohren Griechenland, Israel und Ägypten vor der zypriotischen Küste nach Gas. Die Türkei schickt ihrerseits Bohrschiffe vor die Küste. Immer wieder gibt es deswegen militärische Scharmützel. Erdogan hat deutlich gemacht, dass er eine Öl- und Gasförderung vor seiner Nase durch die griechischen Zyprioten nicht dulden werde. Diese schlossen Verträge zur Erforschung der Vorkommen mit Konzernen wie ENI aus Italien, Total aus Frankreich und ExxonMobil aus den USA.

Das Abkommen sieht vor, eine Pipeline zu bauen. 2.000 Kilometer lang soll die Pipeline Eastmed sein und in bis zu 3.000 Metern Tiefe durch das Mittelmeer verlaufen. Die Pipeline soll von Israel nach Zypern und von dort aus nach Kreta zum griechischen Festland reichen. Von dort soll dann Italien Erdgas über eine andere Erdgasleitung erhalten.

Türkei und Libyen schaffen imaginären Seekorridor auf dem Papier

Als Antwort auf das griechisch-israelisch-zypriotische Abkommen schloss die Türkei mit Libyen ein Abkommen, welches die Seegrenzen und damit die Wirtschaftszonen der Türkei im östlichen Mittelmeer erheblich verändert, obwohl Libyen und die Türkei geographisch keine Nachbarn sind.

Dabei erfanden die beiden Regierungschefs einen imaginären Seekorridor, der die Türkei und Libyen verbinden soll. Innerhalb dieses Korridors wollen sich Erdogan und der libysche Ministerpräsident Sarradsch (oft auch: Sarraj) die zu fördernden Ressourcen teilen. Dass sich in dem fiktiven Korridor griechische Inseln wie z.B. Kreta befinden, passt auch zu Erdogans neo-osmanischen Ambitionen.

Nach Ansicht der Türkei finden die Bohrungen auf türkischem Kontinentalschelf statt - die Türkei gesteht weder Zypern noch Kreta einen Kontinentalsockel zu -, daher hätte nur die Türkei ein Anrecht auf die Öl- und Gasvorkommen vor Kreta und Zypern. Die Zuordnung, wo sich wessen Kontinentalsockel befindet, ist eine wichtige (Streit-)Frage, denn diese bezieht sich auf die exklusiven Wirtschaftszonen (EEZ) im Meer, die den jeweiligen Ländern das Recht auf die Ressourcen zuspricht. Die Inseln Kreta und Zypern gehören nach Aussagen von Wissenschaftlern ziemlich sicher zur griechischen EEZ.

Die türkische regierungsnahe Tageszeitung Sabah berichtete unter Berufung auf den türkischen Außenminister, nach dem Abschluss des türkisch-libyschen Abkommens könne weder Israel noch Ägypten, Griechenland oder ein anderer Anrainerstaat ohne die ausdrückliche Billigung aus Ankara seine Ressourcen auf den Weltmarkt bringen.

EU-Sanktionen gegen die Türkei

Die EU steht hier im Widerspruch zu Erdogan und beschloss nun Sanktionen gegen die Türkei: Zwei türkische Staatsbürger, die an den türkischen Bohrungen beteiligt sind, sollen mit Einreisesperren belegt und ihre Vermögen eingefroren werden. Dies geht auf einen Beschluss der EU-Außenminister aus dem November 2019 zurück.

Das Abkommen verletze die Hoheitsrechte von Drittstaaten und stehe nicht im Einklang mit dem Seerecht. Daher könne es keinerlei Rechtsfolgen für Drittstaaten haben. Schließlich seien Griechenland und Zypern Mitgliedstaaten der EU, hieß es in der EU-Erklärung. Selbst die US-Regierung nannte das Abkommen einen "provokativen" Deal, der Sicherheitsexperte Craig Hooper sprach gar von einer "aggressiven Landnahme auf hoher See durch die Türkei".

Griechenland und die Türkei sind seit langem Erzfeinde. Die jüngere Geschichte ist gesäumt von gegenseitigen Provokationen. Ein militärischer Konflikt konnte bislang vermieden werden, weil man keinen Krieg zwischen zwei Nato-Staaten wollte. Mit der aktuellen aggressiven Außenpolitik von Erdogan könnte sich das bald ändern, denn die EU ist eher ein zahnloser Tiger, denn ein ernst zu nehmender Akteur. Die beschlossenen Sanktionen sind eher Peanuts und diplomatisches Geplänkel, wie sich auch an dem derzeitigen Konflikt um die syrische Provinz Idlib zeigt. Man möchte Erdogan doch nicht wirklich zu sehr erzürnen.

Ein schönes Beispiel dafür ist die Libyen-Konferenz im Januar in Berlin. Erdogans Engagement in Libyen hat eindeutig mit seinen Öl- und Gasförderplänen im östlichen Mittelmeer zu tun. Griechenland war als ein Akteur in diesem Spektakel nicht zur Konferenz in Berlin eingeladen. Es wurde versucht, alles auf den Konflikt zwischen dem libyschen General Haftar, der den Großteil Libyens unter Kontrolle hat, und dem libyschen Präsidenten und Anhänger der Moslembruderschaft, Fayez Sarradsch, zu reduzieren.

Die geopolitischen Interessen

Aber dies wird der politischen Dimension nicht gerecht. Auch hier geht es um geopolitische Interessen. Haftar wird von Ägypten, Saudi-Arabien, von den Vereinigten Emiraten, von Frankreich und von Russland unterstützt, Sarradsch von der Türkei und unter anderem von Deutschland. Die auf der Konferenz von 16 Ländern bemühte Waffenruhe und das dort bekräftigte Verbot von Waffenlieferungen und der Einmischung von außen, etwa durch die Entsendung von Söldnern nach Libyen, wurde von Anfang an von der Türkei nicht eingehalten.

Der französische Präsident Macron wirft Erdogan vor, weiterhin Waffen und islamistische Söldner nach Libyen zu schicken, um Präsident Fayez Sarradsch, der nur noch Tripolis unter Kontrolle hat, zu stützen. Und warum? Weil er mit dem türkisch-libyschen Abkommen des "Seekorridors" der Garant für Erdogans Pläne im östlichen Mittelmeer ist.

Dafür gab es als Gegenleistung das zweite türkisch-libysche Abkommen, welches besagt, dass die Türkei Sarradsch militärisch mit Waffenlieferungen und türkischen Soldaten beisteht. Für Sarradsch ist die militärische Unterstützung durch die Türkei existentiell, für Erdogan ist das Überleben des libyschen Premiers in Bezug auf die Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer existentiell, um innenpolitisch zu punkten.

Die türkische Bevölkerung kann die AKP-Außenpolitik nicht mehr nachvollziehen

Immer mehr türkische Soldaten sterben in den verschiedenen Brandherden, die Erdogan gelegt hat. Einfache Soldaten aus einfachen Verhältnissen. Denn die türkische Elite kauft sich in der Regel vom türkischen Wehrdienst frei.

Die ländliche Bevölkerung in der Türkei, die eine wichtige Säule des Systems von Erdogan ist und die eher für einfache "Gut-und-Böse-Muster" zugänglich ist, fragt sich zu Recht, wie es sein kann, dass die Türkei in Libyen gegen Russland und für Europa den libyschen Präsidenten unterstützt, in Nordostsyrien aber mit Russland gemeinsame Patrouillen in den besetzten Gebieten abhält und wenige Kilometer entfernt, im Nordwesten in Idlib wiederum gegen russische Interessen opponiert.

Schon hängen Transparente in Izmir an den Häuserfronten mit der Aufschrift: "Was haben wir in Syrien zu suchen?". Viele fragen sich auch, warum sich die Türkei im östlichen Mittelmeer wegen der Öl- und Gasvorkommen mit der EU anlegt und gleichzeitig von der EU und der Nato Beistand im Syrien-Krieg fordert. Für sie ist nicht mehr nachvollziehbar, warum Erdogan einerseits russische Waffensysteme kauft und andererseits die USA und Europa um Unterstützung gegen die russische Politik in Libyen und Nordwestsyrien bittet und mehr Waffen fordert.

Gleichzeitig haben diese Menschen immer weniger zu essen, weil die Lebensmittelpreise astronomische Höhen erreicht haben. Noch gelingt es der AKP-Propaganda, dafür die Flüchtlinge und die angeblich mangelnde finanzielle Unterstützung der EU verantwortlich zu machen.

Es ist eine Frage der Zeit, bis die Bevölkerung versteht, dass die Millionen Euro, die die Türkei für die Millionen Flüchtlinge im Land erhalten hat, nicht bei denen angekommen sind, weshalb die EU-Staaten richtigerweise die Gelder an NGOs im Flüchtlingsbereich überwiesen haben statt an die AKP-Regierung, wo es offensichtlich sehr große schwarze Löcher gab, wohin die Millionen an Euros verschwunden sind.