"Twittere..., wenn du dich traust"
Spanien wird in Straßburg wegen der Einschränkung der Meinungsfreiheit abgestraft, deren Zunahme auch Amnesty International kritisiert
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat erneut mit einem Urteil deutlich gemacht, dass es mit der Meinungsfreiheit in Spanien wahrlich schlecht steht. Und die Fälle von zwei Katalanen liegen sogar schon elf Jahre zurück. Sie wurden noch vor den Strafverschärfungen verurteilt, die es nun auch ermöglichen, Rapper unter anderem wegen ihrer Twitter-Beiträge zu langen Haftstrafen zu verurteilen. Nun kippten die Straßburger Richter aber das Urteil gegen die beiden Katalanen, die beim Besuch des spanischen Königs in Girona 2007 auf einer Demonstration gegen den Besuch des Monarchen ein Königsbild verbrannt hatten.
Girona Enric Stern und Jaume Roura waren vom Nationalen Gerichtshof in Madrid wegen "Beleidigung der Monarchie" zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil sie das Bild des von Diktator Franco erwählten Nachfolgers verbrannt hatten. Zur Vermeidung der Haftstrafe wurden sie vom Nachfahren des 1940 von der Diktatur gegründeten Sondergerichts zur "Repression gegen den Kommunismus" zu einer Geldstrafe von 2.700 Euros verurteilt, das eigentlich nur für schwerste Verbrechen zuständig sein soll. Die Haftstrafe hätten sie antreten müssen, hätten sie die Geldstrafe nicht bezahlt.
Doch nun hat Straßburg dieses undemokratische Urteil gekippt. Das Verbrennen des Fotos sei zwar provozierend, weil es um die Aufmerksamkeit der Medien für eine "politische Kritik" ging, die Aktion ist aber von der Meinungsfreiheit gedeckt, urteilt der Menschenrechtsgerichtshof. Spanien muss den Katalanen nun jeweils die 2700 Euro Strafe zurückzahlen und sie zudem mit jeweils 4500 Euro entschädigen. Das Urteil gegen Spanien wurde von den sieben Richtern einstimmig gefällt. Es ist klar, dass Spanien vor dem Menschenrechtsgerichtshof immer bekannter für sein undemokratisches Vorgehen wird, denn der Gerichtshof verurteilt das Land auch öfter auch wegen Folter und Misshandlungen.
In Straßburg wird immer bekannter, dass es mit Grundrechten wie Meinungsfreiheit in Spanien nicht sonderlich weit her ist. Die Richter sind auch gewahr, dass Spanien seine Sicherheitskräfte mit verbotenen Gummigeschossen auf Teilnehmer eines Referendums hetzt, Politiker ins Exil treibt und inhaftiert. Alsbald wird sich der Menschenrechtsgerichtshof auch damit befassen müssen, dass Menschen unter einem juristischen Deckmantel ihre zivilen Rechte abgesprochen bekommen, um den für Madrid ungewünschten Wahlausgang zu verfälschen. Gefangene Politiker, die mit fadenscheinigen Anklagen inhaftiert sind, dürfen nicht ins Parlament, um ihr Mandat auszuüben. Sogar dem Präsidentschaftskandidat Jordi Sànchez wird versagt, sich als Präsident der katalanischen Regierung wählen zu lassen.
Die spanische Regierung "kriminalisiert" ein "breites Meinungsspektrum" und missbraucht Antiterrorgesetze
Kurz bevor Straßburg Spanien erneut verurteilt hat, machte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) mit einem Bericht deutlich, dass Grundrechte wie Meinungsfreiheit in Spanien immer schneller und stärker unter die Räder kommen. Zuvor hatte AI auch kritisiert, dass die weitere Inhaftierung von Sànchez "überzogen und unverhältnismäßig" ist. Nun hat AI einen Bericht mit dem vielsagenden Namen vorgestellt: "Twittere..., wenn du dich traust".
In dem Bericht wird behandelt, wie neue Gesetze die Meinungsfreiheit in Spanien beschneiden. "Der Raum, in dem in Spanien Diskrepanz ausgedrückt werden kann, reduziert sich schnell", wird festgestellt. Die Regierung benutze "allgemeine Kategorien", wie eine angebliche "Terrorismusverherrlichung", um die Meinungsfreiheit noch weiter einzuschränken. Genau mit diesem schwammigen Vorwurf wurde der katalanische Rapper Pablo Hasel gerade erneut vom Sondergericht als Wiederholungstäter zu zwei Jahren Haft und einen Tag verurteilt. Das Urteil gegen seinen Kollegen "Valtonyc" aus Mallorca wurde sogar vor dem Obersten Gerichtshof schon bestätigt. Josep Miquel Arenas soll dreieinhalb Jahre hinter Gittern verschwinden, weil er angeblich Terrorismus verherrlicht und den König beleidigt haben soll.
Die spanische Regierung unter Mariano Rajoy "kriminalisiert" ein "breites Meinungsspektrum" und missbrauche Antiterrorgesetze. AI kritisiert massiv das Maulkorbgesetz, mit dem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt wurden. Kritisiert werden "zehntausende Geldstrafen für Demonstranten, Verteidiger von Menschenrechten und Journalisten" für Vorgänge, die über Grundrechte geschützt sein müssten.
Besonders hat die Organisation die Strafrechtsreform aus dem Jahr 2015 im Auge. Die zeitigt massive Folgen, wie die Fälle Hasel und Valtonyc vorführen. Das sind allerdings nur Beispiele, wie AI auch die Fälle des Sängers "Strawberry" und andere anführt. Die Gesetze sind, so kritisierten auch spanische Juristen, auf die Bewegungen zugeschnitten worden, die in den letzten Jahren entstanden sind (https://www.heise.de/tp/features/Eigentlich-muesste-die-UNO-laengst-Blauhelmtruppen-nach-Spanien-schicken-3369245.html).
Nun fordert auch AI die Streichung des reformierten Strafrechtsartikels 578, da er wachsweich, allgemein und unpräzise formuliert sei. Damit könne alles Mögliche zur Terrorismusverherrlichung umgedeutet werden, die Strafen wurden auf drei Jahre angehoben. Das haben Hasel, Valtonyc und andere schon zu spüren bekommen. Das Internet wirkt sich bei der Begehung dieser neu erfundenen Delikte "strafverschärfend" aus, weshalb oft Twitterer betroffen sind. Durch die Anhebung der Strafen wird auch eine Aussetzung auf Bewährung immer unwahrscheinlicher. Nur Strafen bis zu zwei Jahren werden auf Bewährung ausgesetzt. Hasel bekam deshalb extra noch einen Tag draufgepackt.