UK: Streit um Plan B für Nordirland

Grafik: TP

London will den Regionen ehemalige EU-Kompetenzen zuweisen aber gleichzeitig dafür sorgen, dass sie Waren aus anderen Teilen des Vereinigten Königreichs akzeptieren

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Gestern hat die britische Regierung einen Gesetzesentwurf für eine Internal Markets Bill vorgelegt, der greifen soll, wenn sich das Königreich während der bis zum 31. Dezember dauernden Übergangsfrist nicht auf ein Partnerschaftsabkommen mit der EU einigt. Dieses Binnenmarktgesetz überträgt Kompetenzen zur Energieeffizienz von Gebäuden, zur Luftqualität, zum Tierschutz und eine Reihe weiterer Zuständigkeiten, die bislang bei der EU liegen, auf die vier britischen Landesteile England, Schottland, Wales und Nordirland.

Minister bekommen Befugnis, Regeln zum Warenverkehr und zu Subventionen zu modifizieren oder nicht anzuwenden

Die neuen von den Regionen gesetzten Standards dürfen dem Willen der britischen Regierung nach aber nicht dazu führen, dass Produkte aus einem britischen Landesteil nicht mehr in jedem anderen verkauft werden dürfen. Deshalb will sie eine neue britische Binnenmarktbehörde einrichten - das "Office for the Internal Market". Diese Behörde soll - nicht bindende - Empfehlungen an Regionalparlamente und das Parlament in Westminster aussprechen.

Bei Waren, die aus England, Wales oder Schottland nach Nordirland gehen, sollen britische Minister darüber entscheiden, ob das "Risiko" eines Weiterverkaufs in die EU so groß ist, dass sie mit EU-Zöllen belegt werden. Außerdem bekommen die Londoner Minister die Befugnis, Regeln zum Warenverkehr und zu Subventionen zu modifizieren oder nicht anzuwenden.

Johnson: "rechtliches Sicherheitsnetzes gegen extreme oder irrationale Interpretationen"

Boris Johnson begründete das Einbringen dieses Gesetzes gestern mit der Notwendigkeit eines "rechtlichen Sicherheitsnetzes gegen extreme oder irrationale Interpretationen des [Nordirland-]Protokolls [im Ausstiegsvertrag], die seiner Ansicht nach sonst dazu führen könnten, "das in der Irischen See eine Grenze entsteht, die sich nachteilig auf das Karfreitagsabkommen und nachteilig auf den Frieden auswirkt".

Bereits vor der Präsentation hatte man in der Downing Street betont, dass die Internal Markets Bill lediglich "kleine Klarstellungen" in "ausgesprochen begrenzten Bereichen" liefern und "Mehrdeutigkeiten beseitigen" soll. Es sei nicht dazu gedacht, das Ausstiegsabkommen auszuhebeln, welches im Januar zu internationalem Recht wurde.

Innerparteiliche Opposition

Nordirlandminister Brandon Lewis zeigte sich am Dienstag bei einer Anhörung im Parlament nicht ganz dieser Meinung. Als ihn der konservative Abgeordnete Bob Neill fragte, ob sichergestellt sei, dass "nichts, was in diesem Gesetz vorgeschlagen wird, internationale Verpflichtungen oder internationale rechtliche Vorbereitungen bricht oder potenziell brechen könnte", antwortete er, dass internationales Recht nur sehr begrenzt gebrochen werde.

Mehrere andere Politiker der Tories - darunter die ehemalige Premierministerin Theresa May, der ehemalige Premierminister John Major, der Außenpolitikstaatssekretär Tobias Ellwood und der Außenausschussvorsitzende Tom Tugendhat - warnten darauf hin, der Schritt könne das Vertrauen anderer Staatsführungen in die Verlässlichkeit britischer Zusagen unterminieren und so geplante Handelsabkommen gefährden. Ein anderer prominenter Tory - der ehemalige Parteichef Iain Duncan Smith, verwies dagegen auf eine Klausel im Ausstiegsvertrag, die britischen Staatsführungen ein Recht auf Klarstellungen gewährt.

Auch Sturgeon und Miles sind unzufrieden

In Nordirland selbst gaben sich Vertreter der beiden großen Konfessionsparteien, die dort dem Karfreitagsabkommen nach gemeinsam die Regionalregierung bilden müssen, ganz unterschiedlicher Meinung zum Binnenmarktgesetz: Während die katholische Regionalregierungschefin Michelle O'Neill vor einem "irreparablen Schaden für die gesamte irische Wirtschaft" warnte, zeigte sich Sammy Wilson, der Brexit-Sprecher der protestantischen Democratic Unionist Party, "zufrieden".

International weniger beachtet werden derzeit die negative Reaktionen der Führungen der anderen beiden nichtenglischen Regionen auf den Binnenmarktsgesetzentwurf: Die schottische Regionalregierungschefin Nicola Sturegon sieht ihn ihm keine Nettoübertragung neuer Kompetenzen, sondern eine Nettowegnahme, weil London nun auch solche Standards aushebeln könne, die schon seit längerer Zeit in Edinburgh festgelegt werden. Sie hält sich deshalb den Rechtsweg offen. Der walisische Brexit-Minister Jeremy Miles, der der Labour Party angehört, zeigte sich ebenfalls unzufrieden und warf London eine "Attacke auf die Demokratie" vor.

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