UN-Generaldebatte: Alleingang vs. Gemeinsinn
Trump bläst zum Angriff, Xi ruht in sich. Und Putin sucht neue Wege
Zum Auftakt der 75. Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte UNO-Generalsekretär António Guterres vor einem "Kalten Krieg" zwischen den Großmächten USA und China gewarnt. Dann betrat US-Präsident Donald Trump per Videobotschaft die Bühne und warf die Maschine der Kriegsrhetorik an, China müsse zur Rechenschaft gezogen werden. Chinas Präsident Xi Jinping plädierte für Multilateralismus, Frieden und Zusammenarbeit, um die gemeinsamen Herausforderungen der Menschheit auch gemeinsam zu bewältigen.
"Wir sind wieder einmal in einem großen globalen Kampf engagiert. Wir haben einen erbitterten Kampf gegen den unsichtbaren Feind - das China-Virus - geführt, der in 188 Ländern unzählige Menschenleben gefordert hat. In den Vereinigten Staaten haben wir die aggressivste Mobilisierung seit dem Zweiten Weltkrieg eingeleitet", sagte Trump zu Beginn seiner Ansprache. Es folgte eine Aufzählung der Erfolge: Die Produktion von Beatmungsgeräten in Rekordhöhe, neue lebensrettende Behandlungen, die die Sterblichkeitsrate um 85 Prozent reduziert, und drei neue Impfstoffe in der Endphase klinischer Studien. "Wir werden das Virus besiegen. Wir werden die Pandemie beenden. Und wir werden in eine neue Ära von beispiellosem Wohlstand, Zusammenarbeit und Frieden eintreten", sagte Trump.
Dann griff Trump den sichtbaren hinter dem "unsichtbaren" Feind an. "Während wir diese strahlende Zukunft verfolgen, müssen wir die Nation, die diese Seuche auf die Welt losgelassen hat, zur Rechenschaft ziehen: China", fügte Trump hinzu und bezog sich dabei auf das Coronavirus, das er erneut "China-Virus" nannte. China und die Weltgesundheitsorganisation, die "praktisch von China kontrolliert" werde, hätten folgenschwer gelogen. "Die Vereinten Nationen müssen China für dessen Handlungen zur Rechenschaft ziehen." Zu Beginn der "Seuche" habe China den Reiseverkehr im Inland gesperrt, gleichzeitig Flüge aus China gelassen - "und damit die Welt infiziert."
Doch für die USA verantwortet China weit mehr als nur die Pandemie: China zerstört die Erde. "Hinzu kommt, dass China jedes Jahr Millionen und Abermillionen Tonnen Plastik und Müll in die Ozeane kippt, die Gewässer anderer Länder überfischt, riesige Schwaden von Korallenriffen zerstört und mehr giftiges Quecksilber in die Atmosphäre abgibt als jedes andere Land der Welt", zählte Trump auf. "Chinas Kohlenstoffemissionen sind fast doppelt so hoch wie die der USA und sie steigen schnell an." Dagegen, so Trump, haben die USA im vergangenen Jahr die "Kohlenstoffemissionen um mehr als jedes andere Land des Abkommens reduziert". Wer demnach Amerikas Umweltbilanz angreife und gleichzeitig Chinas grassierende Umweltverschmutzung ignoriere, sei an der Umwelt nicht interessiert, sagte Trump: "Sie wollen nur Amerika bestrafen."
Nach der Tirade gegen China prahlte Trump damit, dass sein "America First"-Ansatz in der Außenpolitik der beste Weg für die USA und die Welt sei, den anderen Staatsführern riet er, es ihm gleichzutun und ebenfalls ihre Länder an erste Stelle zu setzen. "Aber nur wenn man sich um seine eigenen Bürger kümmert, wird man eine echte Grundlage für die Zusammenarbeit finden", sagte er in der vorab aufgezeichneten Ansprache, in der er auf die von den USA vermittelten Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und zwei arabischen Nationen, die laufenden Gespräche zur Beendigung des Afghanistan-Krieges und einen im Weißen Haus unterzeichneten Pakt zwischen Serbien und dem Kosovo hinwies.
"Amerika erfüllt unser Schicksal als Friedensstifter, aber es ist Frieden durch Stärke", sagte Trump. "Wir wissen auch, dass der amerikanische Wohlstand die Grundlage von Freiheit und Sicherheit in der ganzen Welt ist. In nur drei kurzen Jahren haben wir die größte Wirtschaft in der Geschichte aufgebaut, und wir tun es schnell wieder. Unser Militär hat erheblich an Umfang zugenommen: In den letzten vier Jahren haben wir 2,5 Billionen Dollar für unser Militär ausgegeben. Wir haben das mächtigste Militär der Welt." Trump beendete seine Ansprache mit "Gott segne Sie alle. Gott segne Amerika. Und Gott segne die Vereinten Nationen."
Xi Jinping
Der fulminanten Rede Trumps folgte eine gemäßigte Ansprache des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. In seiner Videobotschaft rief Xi zu gegenseitiger Achtung und Kooperation zwischen den Nationen auf, plädierte für Multilateralismus, Frieden und Zusammenarbeit.
"Die Beziehungen zwischen den Ländern und die Koordinierung ihrer Interessen dürfen nur auf Regeln und Institutionen beruhen; sie dürfen nicht von denen beherrscht werden, die anderen mit einer starken Faust drohen", sagte Xi. "Kein Land hat das Recht, globale Angelegenheiten zu beherrschen, das Schicksal anderer zu kontrollieren oder Vorteile in der Entwicklung für sich zu behalten." Wohl in Anspielung auf Trumps America-First-Politik sagte er, Unilateralismus sei eine Sackgasse. "Wir werden niemals Hegemonie und Expansion anstreben, wir werden keine Einflusssphäre anstreben, wir haben nicht die Absicht, mit irgendeinem Land einen heißen oder kalten Krieg zu führen", beteuerte Xi trotz der militärischen Ausbauten im Südchinesischen Meer in den letzten Jahren. Auch nannte Xi sein Land trotz seiner wirtschaftlichen Bedeutung ein "Entwicklungsland".
Xis Wortwahl hob sich auch bezüglich der Pandemie deutlich von der Trumps ab. Chinas Präsident sprach von einem Kampf der "gesamten Menschheit" gegen das Virus. Xi fügte hinzu, dass China weiterhin mit anderen Ländern bei der Bekämpfung zusammenarbeiten, Behandlungstechnologie und Erfahrungen austauschen und sich an der wissenschaftlichen Forschung beteiligen werde. Auch werde China sein Versprechen, den Entwicklungsländern Impfstoffe vorrangig zur Verfügung zu stellen, einhalten. Der Ausbruch des Coronavirus werde nicht die letzte Krise sein, mit der die Menschheit konfrontiert wird, die Welt müsse bereit sein, sich gemeinsam globalen Herausforderungen zu stellen, sagte Xi, der sich nicht zu einer geforderten internationalen Untersuchung des Ausbruchs der Pandemie äußerte.
Xi forderte die Länder auf, sich abseits der Pandemie auch den Herausforderungen der wirtschaftlichen Globalisierung, wie der Kluft zwischen Arm und Reich und dem Entwicklungsgefälle, zu stellen, das Konzept der Offenheit und Toleranz aufrechtzuerhalten und sich gegen Unilateralismus und Protektionismus zu wenden. Angesichts der eigenen "Großen Firewall", die ausländische Unternehmen vom heimischen Netz ausschließt, ein heikles Thema, das von dem doppelten Standard zeugt, den China gerne selbst dem Westen vorwirft.
Im Gegensatz zu Trump, der den Anschein erweckte, seinen Auftritt auf der höchsten Bühne der Diplomatie mit scharfen Worten eher für seinen Wahlkampf zu nutzen, verblieb Xis Rede, inszeniert vor einer Bildwand, die die große Mauer darstellte, stoisch zurückhaltend und nicht selten hinter diplomatischen Allgemeinplätzen. Xi Jinping verabschiedete sich mit den Worten: "Gemeinsam können wir die Welt zu einem besseren Ort für alle machen."
Wladimir Putin
Gänzlich realitätsnaher sprach der russische Präsident Vladimir Putin in seiner Videoansprache die pandemiebedingten Probleme und ihre Lösungen an. Die Pandemie habe "Millionen von Menschen direkt betroffen und das Wichtigste gefordert: das Leben von Hunderttausenden von Menschen. Quarantänen, Grenzschließungen, zahlreiche schwerwiegende Unruhen für Bürger fast aller Staaten bilden die heutige Realität. Besonders schwierig war es für ältere Menschen, die aufgrund der notwendigen Einschränkungen wochen- oder gar monatelang nicht in der Lage waren, ihre Lieben, Kinder und Enkelkinder zu umarmen." Das Ausmaß des durch die Pandemie verursachten sozialen und wirtschaftlichen Schocks und all ihrer langfristigen Folgen seien noch von Experten abzuschätzen. Dennoch habe die Pandemie auch gezeigt, dass viele Menschen gegenseitige Hilfe und Unterstützung aufbrachten, und dass diese Solidarität keine Grenzen zu kennen schien.
Die Pandemie habe auch eine Reihe von ethischen, technologischen und humanitären Fragen aufgeworfen, etwa neue digitale Technologien zur Reorganisation von Bildung, Handel und Dienstleistungen sowie zur Einrichtung von Fernlern- und Online-Kursen für Menschen unterschiedlichen Alters. Künstliche Intelligenz habe Ärzten geholfen, genauere und zeitnahe Diagnosen zu stellen und die beste Behandlung zu finden. Putin rief dazu auf, nun nach einem richtigen Gleichgewicht zwischen der Förderung der Entwicklung künstlicher Intelligenz und der vertretbaren Einschränkungen zu ihrer Begrenzung zu suchen. Technologien zum Wohle der Menschheit zu nutzen, mache es nötig, "gemeinsam auf einen Konsens im Bereich der Regulierung hinzuarbeiten, der potenzielle Bedrohungen sowohl in Bezug auf die militärische und technologische Sicherheit als auch auf Traditionen, Recht und Moral der menschlichen Kommunikation abwendet."
Angesichts der weltweiten Rezession machte Putin auf den russischen Vorschlag der Schaffung von "grünen Korridoren" aufmerksam. Diese sollen frei von Handelskriegen und Sanktionen, den Handel für lebenswichtige Güter, Lebensmittel, Medikamente und persönliche Schutzausrüstung, die zur Bekämpfung der Pandemie benötigt werden, gewähren. "Generell wäre die Befreiung des Welthandels von Barrieren, Verboten, Beschränkungen und unrechtmäßigen Sanktionen eine große Hilfe bei der Wiederbelebung des globalen Wachstums und der Verringerung der Arbeitslosigkeit", sagte Putin, dessen Land seit der Krim-Annexion mit schweren Sanktionen belegt ist.
Bezüglich eines Corona-Impfstoffes bot Putin an, Erfahrungen auszutauschen und die Zusammenarbeit mit allen Staaten und internationalen Organisationen fortzusetzen, etwa auf einer eigenen Online-Konferenz zur Entwicklung von Coronavirus-Impfstoffen. Der russische Impfstoff Sputnik-V habe sich als zuverlässig, sicher und effektiv herausgestellt. Damit allen Staaten in absehbarer Zeit ein freier Zugang zu Impfungen ermöglicht werden kann, brauche Russland die Kapazitäten der globalen Pharmaindustrie, so Putin. Zum Abschied sagte der russische Präsident: "Ich wünsche allen Völkern unseres Planeten Frieden und Wohlergehen."