UN-Rede: Lawrow attackiert Westen als "Imperium der Lügen"

Der Außenminister der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, spricht vor der UN-Generalversammlung, 23. September 2023. Bild: Cia Pak / UN
Der russische Außenminister spricht über den Ukraine-Krieg, Selenskyjs Friedensplan und das Getreideabkommen. Die Fronten sind weiter verhärtet. Wie Moskau auf die neuen globalen Kräfteverhältnisse setzt.
Sergej Lawrow, Außenminister der Russischen Föderation, sagte gestern vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, dass eine neue Weltordnung "direkt vor unseren Augen" entstehe, während die Ablehnung des Gleichheitsgrundsatzes und die völlige Unfähigkeit zu verhandeln seit Langem eine "Visitenkarte" des kollektiven Westens sei.
Wie Präsident [Wladimir] Putin sagte, ist der Westen wirklich ein "Lügenimperium".
Er erinnerte an die konkreten politischen Zusicherungen, die Moskau in Bezug auf die Nichterweiterung der Nordatlantikvertragsorganisation (Nato) gegeben wurden.
Im Jahr 2021 wurden unsere Vorschläge, Verträge über gegenseitige Sicherheitsgarantien in Europa abzuschließen, ohne den blockfreien Status der Ukraine zu ändern, grob zurückgewiesen.
Lawrow fügte hinzu, dass der Westen die Militarisierung des russlandfeindlichen Kiewer Regimes fortsetze, das durch einen blutigen Staatsstreich an die Macht gekommen sei und dazu benutzt werde, einen hybriden Krieg gegen die Russische Föderation zu führen. Er beschrieb zudem eine Reihe gemeinsamer Übungen zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Nato-Verbündeten, bei denen Szenarien für den Einsatz von Atomwaffen in Russland getestet würden.
Während der Ukraine-Krieg zunehmend zu einem Zermürbungskrieg wird, warnte Lawrow am Samstag, dass er die USA und Großbritannien sowie andere als "direkt im Krieg mit uns" ansehe.
Lawrow wies einen vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgeschlagenen Friedensrahmen als "nicht machbar" zurück. Der Zehn-Punkte-Friedensplan, der im November 2022 vorgestellt wurde und von vielen westlichen Verbündeten unterstützt wird, beinhaltet die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine, den vollständigen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine und die Freilassung aller Kriegsgefangenen und Deportierten.
Der Plan sieht nicht vor, ukrainisches Territorium an Russland abzutreten oder Kiews Bemühungen um einen Nato-Beitritt aufzugeben – zwei Kernforderungen von Moskau.
Der russische Außenminister schloss auch die Möglichkeit aus, dass Russland zum Schwarzmeer-Getreideabkommen zurückkehren könnte, da der Kreml das Gefühl habe, getäuscht worden zu sein. "Der Hauptgrund, warum wir aus diesem Abkommen ausgestiegen sind und es nicht mehr existiert, ist, dass sich alles, was uns versprochen wurde, als Täuschung herausgestellt hat", sagte Lawrow.
Das von der Türkei und den Vereinten Nationen im Juli 2022 ausgehandelte Getreideabkommen sollte ursprünglich die sichere Durchfahrt von Schiffen garantieren, die während der Invasion ukrainische Agrarexporte aus dem Schwarzen Meer transportierten.
Gegenüber UN-Generalsekretär António Guterres habe man erklärt, so Lawrow, warum seine Vorschläge nicht funktionieren werden. "Wir lehnen sie nicht ab. Sie sind einfach nicht realistisch. Sie können nicht umgesetzt werden", sagte er auf einer Pressekonferenz bei den Vereinten Nationen nach seiner Rede vor der Generalversammlung.
Getreide-Deal: Wie könnte eine Lösung aussehen?
Der Westen habe seine Versprechen gegenüber Moskau nicht eingehalten, darunter die Aufhebung der Sanktionen gegen eine russische Bank und ihre Wiederanbindung an das globale Swift-System. Lawrow wies darauf hin, dass nur drei Prozent des Getreides die ärmsten Länder Afrikas erreichten.
Der russische Außenminister forderte im Gegenzug die Europäische Kommission auf, ukrainisches Getreide zu kaufen, das von den EU-Mitgliedstaaten abgelehnt werde. Das könne man dann an afrikanische Länder weiterleiten, die unter Nahrungsmittelknappheit leiden.
"Da die Europäische Kommission zig Milliarden Dollar für die Ukraine aufbringt, könnte sie auch das Getreide, das die Ukraine verkaufen will und die EU-Länder aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit nicht kaufen wollen, erwerben und nach Afrika schicken", sagte Lawrow laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass.
Er fügte hinzu, dass ukrainisches Getreide "im Überfluss an europäische Länder geliefert wird", aber viele von ihnen es nicht kaufen wollen, weil "sie ihre eigenen Landwirte im Blick haben und nicht wollen, dass diese wegen der Konkurrenz pleitegehen."
Darüber war es insbesondere zwischen Polen und der Ukraine zum Streit gekommen, da Warschau wie Ungarn und die Slowakei ein Importstopp von ukrainischem Getreide verhängten. Selenskyj kritisierte die Länder deswegen als Gehilfen Russlands. Daraufhin kündigte Polen an, nicht weiter Waffen an Kiew zu liefern.
Lesen Sie auch:
Das Versagen der mächtigen Staaten beim G20-Gipfel
Lawrow ging in seiner UN-Rede auch auf die Veränderungen im globalen Kräfteverhältnis ein.
In den Reden vieler meiner Vorredner wurde bereits der Gedanke geäußert, dass unser gemeinsamer Planet unumkehrbare Veränderungen durchläuft und eine neue Weltordnung vor unseren Augen entsteht. … Die Konturen der Zukunft entstehen im Kampf zwischen der Mehrheit der Weltbevölkerung, die für eine gerechtere Verteilung des globalen Reichtums und der zivilisatorischen Vielfalt eintritt, und den wenigen, die neokoloniale Methoden der Unterwerfung anwenden, um ihre schwer fassbare Vorherrschaft aufrechtzuerhalten.
Der russische Außenminister betonte zugleich, dass Organisationen wie die Brics (Brasilien, Russische Föderation, Indien, China und Südafrika) und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit auf dem Vormarsch seien. Die Vereinigten Staaten und das ihnen untergeordnete "westliche Kollektiv" sorgten jedoch weiterhin für Konflikte, die die Menschheit künstlich in feindliche Blöcke aufteilen. Der Westen glaube immer noch, dem Rest der Menschheit überlegen zu sein.
Lawrow verwies in seiner Rede auf eine Reihe von Forderungen. Die Blockade Havannas und die Politik der ökonomischen Strangulierung Venezuelas durch die USA sowie die Sanktionen gegen Syrien müssten beendet werden. Zudem warteten die Palästinenser seit über 70 Jahren auf einen eigenen Staat.
Außerdem sei es notwendig, den Sicherheitsrat zu erweitern. Der russische Außenminister mahnte an, dass die Länder der Weltmehrheit – Asien, Afrika und Lateinamerika – angemessen repräsentiert sein müssten.